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Samstag, 31. Mai 2008

Goethes "Vermächtnis altpersischen Glaubens": Offenbarung durch Tätigsein

Wie lernen wir?
Wodurch geht uns ein Licht auf?
Wie kann uns etwas offenbar werden?

Durch wertvolle Bücher und ihr gründliches Studium?
Durch ein Nach-innen-Hören?
Durch Gespräche mit Menschen?


In Goethes großartiger Gedichtsammlung West-Östlicher Divan finden wir im Buch der Parsen, also in jenem Buch, das den Anhängern der Religion des Zarathustra gewidmet ist, ein faszinierendes Gedicht, es ist überschrieben:

Vermächtnis altpersischen Glaubens.

Faszinierend ist es für mich, weil es in einfacher Form eine große Lebensweisheit birgt, von einem alten Parsen gesprochen.


Seine siebte Strophe lautet:

Und nun sei ein heiliges Vermächtnis
Brüderlichem Wollen und Gedächtnis:
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.

Im täglichen Bewahren der Dienste, die wir tun, wird uns das zuteil, was wir benötigen. Darin liegt das Wahre, das wir be-wahr-en sollten: zu erkennen, wie im Tun alltäglicher Dinge sich das Große zeigt. Im täglichen Tun liegt alle notwendige Offenbarung: das ist ein heiliges Vermächtnis.

Und es folgen Beispiele:

Schleppt ihr Holz herbei, so tuts mit Wonne!
Denn ihr tragt den Samen irdscher Sonne,
Pflückt ihr Pambeh, mögt ihr traulich sagen:
»Diese wird als Docht das Heilge tragen.

So schlicht es sein mag, Pambeh, also Baumwolle zu pflücken, so bedeutungsvoll ist dies, denn sie wird als Docht uns Licht bringen, und Licht ist heilig!
Wie wertvoll also ist das Pflücken von Baumwolle!
Und weiter heißt es:

Werdet ihr in jeder Lampe Brennen
Fromm den Abglanz höhern Lichts erkennen,
Soll euch nie ein Missgeschick verwehren
Gottes Thron am Morgen zu verehren.

In jenem Licht, das sich im Brennen eines Baumwolldochtes zeigt, liegt ein Verweis auf jenes große Licht, das in wohl allen Religionen mit dem Göttlichen gleichgesetzt wird. Es liegt an uns, im schlichten Leuchten einer Lampe zu erkennen, dass ihr Licht für Höheres leuchtet. Der Mann, der in einer Marienkapelle für seine schwer kranke Frau ein Licht anzündet, wendet sich an jenes große Licht, genauso wie jene Mutter, die zu Hause für ihren Sohn eine Kerze anzündet, damit er heil aus Afghanistan oder dem Irak zurückkehre möge. All jene Menschen, die dies auch in diesem Moment tun, glauben fest an die Wirkung ihres Lichts.


Es ist uns nicht möglich, in das große Licht zu sehen, wir können es nur indirekt wahrnehmen, wir können nur seinen Abglanz schauen. JedesTun von uns kann jedoch somit zugleich den Glanz des Höchsten spiegeln.
Diese Sicht auf unser Leben ist der religiöse Bass, der in Goethes Schaffen schwingt, ja, es trägt.


In jenem Werk, an dem der große Weimarer über fünf Jahrzehnte seines Lebens schrieb - die letzten Zeilen mit 80 Jahren - finden wir Entsprechendes:


Zu Beginn des zweiten Teils von Faust ist dieser aus einem Heilschlaf erwacht, in den ihn der Engel Ariel und dessen Gehilfen versetzt hatten. Nach den vier Todesfällen am Ende von Faust, Teil I, hatte dieser große Suchende den Heilschlaf bitter nötig. Er war ja u.a. maßgeblich daran beteiligt, dass Margarethe, die Frau, die ihn so liebte und auch für ihn ein Kind unter ihrem Herzen trug, sterben musste, weil sie glaubte, ihr gemeinsames Kind nicht austragen zu können; Faust hatte sie schmählich im Stich gelassen.


Nun wacht er auf, seine Seele ist geläutert, er befindet sich auf einer Gebirgshöhe und gerade geht die Sonne auf, Faust sieht, wie ihr Strahlen in und aus den Felsgründen höher und höher steigen, er ist fasziniert von dem Flammenübermaß der Sonne, das er ahnt, und genau in dem Moment, den er so ersehnt, nämlich, als er in das höchste Licht, das wir als Menschen auf der Erde kennen, schauen will, muss er bemerken:

Sie tritt hervor! - und, leider schon geblendet,
Kehr' ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
Erfüllungspforten findet flügeloffen;
Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!
[...]
So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau' ich an mit wachsendem Entzücken.
Von Sturz zu Stürzen wälzt er jetzt in tausend,
Dann abertausend Strömen sich ergießend,
Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend,
Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.
Wir können nicht direkt in das Licht sehen, aber wie groß kann unsere Freude, unser Entzücken sein, wenn wir den Regenbogen sehen, der sich im Schaum des Wasserfalls in die Luft zeichnet. Ihn können wir sehen, er verweist uns auf das große Licht. Seine Farben, wie alle Farben des Lebens, verweisen uns auf den eigentlichen Glanz.
In den Farben des Lebens liegt die höhere Bedeutung dessen, was wir tun:

Die Mutter, die ihre Kinder nährt und erzieht, arbeitet im Dienst des Ewig-Weiblichen;
der Schäfer, der sich um seine Schafe kümmert, schützt die Unschuld des Lebens;
der Computerspezialist, der ein neues Programm erarbeitet, dient der Fortentwicklung der menschlichen Gesellschaft, für die es keinen Stillstand geben kann;
die Putzfrau trägt Sorge, dass alles in Reinheit geschieht.

Alles, was wir tun, hat seine Bedeutung, wenn wir in der Lage sind, ihm diese Bedeutung zu geben.
Nicht irgendjemand von außen kann dem, was wir tun, wirklich seine Bedeutung geben; wir müssen sie selbst erkennen.
Das Tätigsein im Dienste des Menschlichen verleiht unserem Leben seinen Glanz, seine Farbe.

Wenn wir das so sehen können und wollen...
Ich empfinde dies als eine tiefe Wahrheit.

Auch den täglichen Dienst im Sinne Goethes wahr-zunehmen, halte ich für eine bedeutende Möglichkeit unserer Entwicklung. Ob sie allerdings bei den vielen familiären Verstrickungen, den vielen Programmen bzw. Blockaden im Bereich der Scham und den Verletzungen des inneren Kindes ausreicht - vielleicht für Goethe, für mich nicht.
Ich bedurfte und bedarf mehr -

davon ein andermal.


Wer das ganze Gedicht Vermächtnis altpersischen Glaubens lesen möchte: hier 

Freitag, 23. Mai 2008

Ein Delphin rettet zwei Wale vor dem sicheren Tod

Es hat mich echt berührt, was in verschiedenen Zeitungen über ein Geschehen an der Küste Neuseelands zu lesen war:
Malcolm Smith vom örtlichen Tier– und Umweltschutzamt war alarmiert worden, weil ein drei Meter großer Zwergpottwal mit einem 1,5 Meter langen Kalb gestrandet waren. Über eine Stunde lang versuchten er und seine Helfer, die Tiere in Richtung Meer zu schieben, aber es gelang nicht; die beiden Wale bewegten sich nicht vom Strand fort und schwammen immer wieder auf eine lang gestreckte Sandbank auf. Die Helfer vor Ort glaubten schon, die zwei Tiere einschläfern zu müssen, um ihnen einen qualvollen Tod zu ersparen, denn die Wale verloren offensichtlich immer wieder die Orientierung.
Da tauchte plötzlich ein Delfin auf, der vor Ort kein Unbekannter ist und den die Anwohner liebevoll Moko nennen, ein wild lebender Großer Tümmler. Die Tiere nahmen Kontakt untereinander auf, Laute von dem Delfin und den Walen waren zu hören. Dann führte der Delfin die Wale 200 Meter an der Sandbank entlang und durch eine schmale Stelle hindurch, wobei die Wale eine 90-Grad-Wendung machen mussten, ins offene Meer.
Ins offene Meer.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Wenn die Scham kommt, geht die Freude


Vor vielen Jahren sitze ich mit meiner Tochter auf einer auf dem Boden ausgebreiteten Decke und wir spielen und balgen; meine Tochter kräht vor Freude, Bälle und Gegenstände fliegen durch die Luft und plötzlich höre ich mich sagen: >Komm, wir hören auf, sonst passiert noch was<.
Dieser Satz verblüffte mich total, denn es war ein Satz aus dem Repertoire meiner Mutter: Immer, wenn ich mit meiner eineinhalb Jahre älteren Schwester als Kind richtig herumtollte, kam dieser Satz oder ein vergleichbarer wie: >Hört auf, gleich gibt es ein Unglück!<
Heute wundert es mich nicht mehr, dass dann meistens auch etwas passierte, was unser Spiel abrupt unterbrach und meine Mutter entsprechend zetern ließ.
Wie es auch immer ausging: Dieser Satz bedeutete das Ende der Freude.

Immer wieder begegne ich Menschen, die mir bestätigen - oder sie schreiben es mir -, wie gewinnbringend für sie die Beschäftigung mit dem Thema des inneren Kindes oder dem der Scham war und ist. Das ist auch der Grund, warum ich hier das ein oder andere persönliche Detail wiedergebe: Was ich an bzw. in der eigenen Seele erfahren habe, ist mir am unmittelbarsten bewusst; und eine authentische Erfahrung kann auch jemandem anderen eine Anregung sein - mir jedenfalls geht es diesbezüglich so. 
Ich habe das Interesse als Mensch, dass die Mechanismen der Scham aus dem Land und vor allem aus der Erziehung gejagt, besser: dass sie transformiert werden und dass wir lernen, mit unseren schambesetzten inneren Kindern Freundschaft zu schließen, ja, sie zu erlösen.

An anderer Stelle habe ich schon kurz über das Elternhaus meiner Mutter geschrieben; dort gab es keine Ausgelassenheit, keine Freude, die auch einmal überborden durfte …
Warum sollte Freude nicht auch überborden dürfen …
Wie oft schlägt die Gicht des Meeres über die Balustraden und an den Gesteinen der Ufer hoch: auch ein Meer freut sich … so freut sich auch die Seele …
Meiner Mutter war es nicht möglich, die ausgelassene Freude ihrer Kinder zu ertragen; zu groß war der Schmerz, dass diese Freude für sie immer ein Tabu gewesen war; wer sich in ihrem Elternhaus getraut hätte, sie zu zeigen, hätte sich - in übertragenem Sinne oder real - in die Ecke stellen müssen; doch die familiäre Atmosphäre sorgte schon immer dafür, dass in diese Verlegenheit keines der 10 Familienmitglieder kam
Diesen Schmerz, keine Freude leben zu dürfen, muss die Seele wegsperren - nur gebremste Freude leben zu dürfen ist unerträglich; so wird dieses Bewusstsein weggesperrt, wird zu einer dunklen Seite des inneren Kindes, die sich in den unterschiedlichsten Formen beim Erwachsenen aktivieren kann, wenn sie ausgelöst wird; bei meiner Mutter wurde sie durch die eigenen Kinder ausgelöst.
Sie konnte nicht anders, als deren überbordende Freude zu stornieren.
Alles andere war für ihr verletztes inneres Kind unerträglich.
Eigentlich unfassbar, dass die Freude der eigenen Kinder unerträglich ist; aber der familiäre Hintergrund meiner Mutter macht es verständlich.

In aller Regel lösen Kinder dunkle Seiten unseres inneren Kindes aus; deshalb ist dieses Wissen gerade für Lehrer so wichtig.
Da in dem Elternhaus meiner Mutter und entsprechend auch in meinem eigenen eine sehr traditionelle Religiosität gepflegt wurde, hatte Ausgelassenheit auch etwas Verruchtes an sich.

Damals wurde mir schlagartig bewusst, dass ich im Moment dabei war, dieses Scham-Muster an meine Tochter weiterzugeben: Freude, die an Scham gekoppelt und damit aussätzig war.
Wie die Pest!

Als ich mich mit dem Buch Bradshaws über die Scham auseinandersetzte, wurde mir bewusst, dass diese Thematik viel umfassender ist, als ich geahnt hatte, denn Freude gibt es ja nicht nur im Spiel, sondern: es gibt die Spielfreude, es gibt aber auch die Lebensfreude …
Auch Lebensfreude kann storniert werden - durch die Eltern!
Spätestens da wird das Thema existentiell …

Noch ein Nachtrag:
Jede Familie hat ihre eigenen Schamregularien und –gesetze.
Wenn zwei Menschen nun zusammenfinden, treffen auch die Regelsysteme zweier Familien zusammen. Das kann im Bereich der Scham bedeuten, dass sich recht einverständig geschämt wird, weil die Regeln relativ deckungsgleich sind … es muss aber nicht sein … dann gibt´s Probleme.
Nicht selten mag es so sein, dass nicht die Liebe scheitert, sondern dass sich die Scham-Systeme als nicht kompatibel erweisen … aber das ist ein anderes Thema … wie sagte Herr von Briest in Theodor Fontanes Roman Effi Briest, dessen Tochter u.a. an diesem Problem zugrundeging: "Ein weites Feld". 
Deshalb lebte diese Familie auch das "kleine Glück", die kleine Freude. 
Für die Tochter hatte dieses "kleine Glück" zu wenig Lebensenergie; sie starb zu früh. 
Sie trug die 
Scham
 auch ihrer Eltern mit.

Und noch eine Anmerkung:
Ich glaube, dass Mütter unbewusst (oder manchmal sogar bewusst) tatsächlich einen Wohnzimmer-Unfall energetisch inszenieren können.
Für den ein oder anderen mag das übertrieben sein, esoterisch (gemeint in einem abfälligen Sinn).
Aber man frage sich mal, warum jemand - ggf. immer wieder - "zufällig" das Messer mit offener Schneide zum Partner hinlegt oder warum manche Menschen ihre Brille immer auf die Gläser legen.
Menschen sind leider manchmal viel machtvoller, als wir glauben. Jeder kennt Beispiele, wie sehr sich jemand im Beisein eines Anderen oder durch das Zusammensein mit ihm verändert ...
Zugleich aber gilt das Gegenteil: Eine Mutter kann ein wahrer Schutzmantel für ihr Kind sein.

Samstag, 17. Mai 2008

Zeit der Reife - Zeit der Fülle



In der mythischen Symbolik der Völker versinnbildlicht >das kosmische Ei< nicht die Schöpfung selbst, sondern die stetige Wiederholung der Schöpfung.
Selten steht in den heiligen Schriften der Menschheit ein mythischer Vorgang für einen Einzelfall. Das "Es werde Licht" der Bibel steht im Grunde für jeden Bewusstseinsvorgang, der Licht ins Dunkel bringt. Jeder Bewusstseinsvorgang multipliziert sich zu vielen weiteren – auch in uns.
Mein aus dem Unbewussten Gemalt-Gezeichnetes zeigt das …
Das Motiv des kosmischen Eis kennen wir aus Polynesien, Altindien, Griechenland, Phönizien, bei den Pangwe Westafrikas, in Mittelamerika und an der Westküste Südamerikas.
Nun ist es auch in meinem Blog angekommen :-))
Die je nach Gegend mit bunten Eiern geschmückten Bäume an Neujahr, Johannis oder der Maibaum symbolisieren die Fruchtbarkeit der Natur und die unerschöpfliche Fruchtbarkeit des Kosmos – auch in diesem Moment wird ein Stern geboren …

Mütter: Meine Mutter

Ich veröffentliche diesen Post, weil ich glaube, dass es manchem anderen ähnlich gegangen ist wie mir im Hinblick auf seine Kindheit. Unsere Eltern hatten keinen Zugang zu den Forschungen und dem Wissen, das uns heute über die Seele des Menschen zur Verfügung steht und die Basis für eigene Betrachtungen sein kann. Diejenigen, die über sie geforscht haben – heißen sie Freud, Jung, Adler, Piaget, Lowen, Bradshaw und viele andere -, zeichnet ein notwendiger Respekt und eine gewisse Demut aus im Hinblick auf das, was wir Seele nennen. Diese Haltung teile ich. Und ich stehe auch voller Respekt und Wertschätzung meinen Eltern gegenüber und dem, was sie leisten konnten.
Wenn ich hier über sie und mich schreibe, dann deshalb, weil ich es für unsere eigene Entwicklung wichtig finde, dass wir uns mit dem Beginn unseres Lebens auseinandersetzen. Gerade auf dem Hintergrund der Entdeckung der Spiegelneuronen sehen wir, wie bedeutsam es ist zu erkennen, was überhaupt sich in uns spiegeln kann. – Dazu möchte ich Mut machen und anregen.
Es ist nun schon eine Weile her, dass meine Mutter in das Leben nach dem Leben gewechselt ist und wenn ich heute auf ihr Leben zurückblicke, verstehe ich einige ihrer Verhaltensweisen und Reaktionen und ich bin ihr für vieles, unter dem ich als Kind sehr litt, nicht mehr gram.
Als Jüngste von acht Kindern in einer Bauernfamilie hatte sie es nicht leicht. Immer hat sie in ihrem Leben auf den Märchenprinzen gehofft, der sie aus ihrer Familie herausholen sollte, und als mein Vater diese Rolle übernahm, inszenierte sich einmal mehr das Märchen vom Froschkönig und der Prinzessin, nur dass es kein glückliches Ende fand. Was Freude am Leben ist, durfte meine Mutter kaum erfahren und obwohl sie viel von dem Leid, das ihre Seele in ihrer Kindheit erfahren musste, an ihre Kinder weitergab, liebe ich sie heute; sie hat mir für mein Dasein auf der Erde das Wertvollste geschenkt: mein Leben.
Lange war mir nicht bewusst, was meine Mutter mir alles nicht mitgegeben hat; gerade auf dem Hintergrund des Wissens über die Bedeutung der Spiegelneuronen und wie sehr uns frühkindliches Verhalten prägt, ist dies ja besonders wichtig zu wissen. Es zu erkennen, ist deshalb so schwer, weil man ja selten um einen Mangel weiß. Wenn man etwas nie besessen hat, fällt einem nur schwer auf, was einem fehlt. Fehlt einem z.B. die Fähigkeit zu wahrer Freude, dann hält man die eigene für den Limitbereich und neigt dazu, andere, die mehr Freude zeigen und empfinden können, beispielsweise als kindisch abzuqualifizieren, fehlt einem Selbstliebe, dann qualifiziert man Menschen, die sie haben, gern als arrogant ab.
So fällt der ehrlich-analytische Blick auf das eigene Inventar nicht leicht.
Es kommt hinzu, dass man um seine eigene Unzulänglichkeit eigentlich nicht wissen will. Wer will schon wissen, dass das eigene Inventar an Gefühlen eher spärlich war, dass die eigenen Eltern einem weitergegeben haben.
Zudem stellt sich die Frage, ob man denn, was einem fehlt, überhaupt sich aneignen kann.
> Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. <
Dieser Satz mag im Bereich des Körperlichen zutreffen. Wenn jemand mit 5 oder 8 Jahren seine Rollen auf dem Boden nicht gelernt hat oder auch einen Salto, ist es ziemlich sicher ungünstig, wenn er mit 50 meint, sich nun als Turner beweisen zu müssen.
Wie sieht es im seelischen Bereich aus?
Für mich gilt der Satz von Hänschen und Hans da nicht, und der Schlüssel ist die Aussage Jesu:
> Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …. <

Also ist es möglich, wieder ein Kind zu werden …
Ist es dann auch möglich, neuronale und seelische Prägungen vorzunehmen wie in einer Kinderseele?
Dazu sage ich > Ja <.
Nur gibt es ein Problem: Wo die Selbstliebe hin sollte, da sitzt der Selbsthass.
Wo die tiefen Gefühle sein sollten, da hocken die flachen und gaukeln einem womöglich vor, wie tief man lieben und Wärme geben und herzlich sein kann. Und wer gesteht sich schon gerne ein, dass er weniger ein Meister des Mitleids als vielmehr des Selbstmitleids ist, mehr verkopft als beherzt ist …
Froschkönige und Prinzessinnen haben oft ein großes Ego, sind beispielsweise Narzissten par excellence, aber von ihren wahren Gefühlen, von ihrem wahren Selbst sind sie weit entfernt.
Zwei Voraussetzungen, sich neu zu prägen, möchte ich ansprechen:
Eine Voraussetzung sind Freunde, oft mag es ein einziger Freund, eine Freundin sein, die ehrlich sind und vor der Wahrheit nicht zurückschrecken; dieses Glück hatte ich und habe ich.
Ich erinnere mich, dass ich von einer lieben Freundin eine Karte erhielt, als ich innerlich erheblich grummelte, weil sie mir etwas schwer Verdauliches gesagt hatte, doch war es so, wie sie sagte:
> Verletzt ist nur Dein Ego, Dein wahres Selbst kann niemand verletzen. <
Und sie schickte mir diese Karte:

Eine Freundin, ein Freund muss sagen können:
Ich vermisse, dass Du Dich mitfreust …

Bade nicht dauernd in Deinem Selbstmitleid …
Hör auf, andere ständig zu bewerten – und Dich!
Das ist eine Seite echter Freundschaft, dass Schwächen des anderen, wenn es angebracht ist, schonungslos aus der Schonung getrieben werden …
Claqueure, die unser Ego verstärken, gibt es genug; sie nennen sich Freunde, sie sind es aber nicht. –
Freunde sagen natürlich genauso von Herzen gern und ohne Neid, wenn ihnen etwas an uns gefällt.
Eine weitere Voraussetzung, die ich noch nennen möchte, ist staunen zu können wie ein Kind.
Ich schließe mich den Worten Albert Einsteins an:
Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, dass an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.
Wer staunen kann, kann Dinge auf eine neue Art und Weise wahr-nehmen, als Wahrheit annehmen.
Dann findet eine Neu-Prägung statt.



Freitag, 16. Mai 2008

In Kontakt zu Gefühlen: Die Bedeutung von Vater und Mutter

Die Basis für den Gefühlsreichtum und die Vielfalt der Gefühle wird im Menschen sehr früh angelegt und entscheidet darüber, was ihm später als emotionale Intelligenz und als emotionales Lebensbudget zur Verfügung steht. Ob dieses Budget nachrüstbar ist, dazu möchte ich später Stellung nehmen.
Auf was im Folgenden Joachim Bauer hinweist, gilt nicht nur für frühkindliche Spiegelaktionen, sondern auch für das, was wir die Prägung von Gefühlen nennen können und erklärt, warum Menschen so Unterschiedliches unter Liebe, unter Zorn, unter Mitleid, unter Wärme, unter Sanftmut, unter Freude und vielem anderen verstehen;
es erklärt aber auch, warum wir letzten Endes manche Menschen nicht verstehen: Sie sprechen nicht unsere emotionale Sprache.
Hier noch ein Zitat aus J. Bauers Buch, das ich allen zum Verständnis von sich selbst und für ein Bewusstsein, was in der Erziehung von Kindern wichtig ist, ans Herz legen möchte – eines der wichtigsten und besten Bücher, das ich gelesen habe; es zeigt, dass auch ein Naturwissenschaftler lebendig und leicht verstehbar schreiben kann:
Bei richtig gewähltem Abstand beginnen Säuglinge wenige Stunden bis Tage nach der Geburt, bestimmte Gesichtsaus­drücke, die sie sehen, spontan zu imitieren. Öffnet das ihnen entgegenblickende Gesicht den Mund, tun sie dasselbe. Auf ein Gesicht mit gespitztem Mund reagiert das Neugeborene, indem es selbst die Lippen kräuselt, und es streckt seine Zunge heraus, wenn man ihm dies vormacht. Mit seiner erstaun­lichen Fähigkeit zur Imitation hat der Säugling bereits von den ersten Lebenstagen an die Möglichkeit, sich auf ein wech­selseitiges Spiel einzulassen, welches dazu führt, dass sich erste zwischenmenschliche Bindungen entwickeln können. Die neurobiologisch angelegte Bereitschaft zu spontanen Imitationsakten ist das Grundgerüst, um das herum sich die Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson entwickelt. Zwischen dem Neugeborenen und der Hauptbezugsper­son – in der Regel die Mutter - beginnt nun etwas, dessen Zauber nur noch mit der Situation von Frischverliebten zu vergleichen ist. Und tat­sächlich passiert aus neurobiologischer Sicht in beiden Fäl­len etwas sehr Ähnliches: ein wechselseitiges Aufnehmen und spiegelndes Zurückgeben von Signalen, ein Abtasten und Erfühlen dessen, was den anderen gerade, im wahrsten Sinne des Wortes, bewegt, begleitet vom Versuch, selbst Signale auszusenden und zu schauen, inwieweit sie vom Gegenüber zurückgespiegelt, das heißt erwidert werden. Dieses Spiel steht nicht nur am Anfang einer Liebesbezie­hung, es bildet, in weniger intensiver Form, den Startpunkt jeder zwischenmenschlichen Beziehung […]
Damit das ganze wunderbare Spiegelspiel überhaupt be­ginnen kann, benötigt der Säugling Bezugspersonen, aller­dings nicht irgendein Gegenüber, nicht irgendeine Trai­ningswand, sondern echte »Mitspieler«, die selbst spiegeln können. Die meisten Kinder haben geeignete Mitspieler: Bezugspersonen mit einer normal entwickelten Fähigkeit, mit Liebe, Sensibilität und Wärme auf den Säugling ein­zugehen. Die besten Mitspieler sind die Eltern […]
Das Gegenstück zu den Imitationsübungen des Säug­lings besteht darin, dass die Mutter und Bezugspersonen ihrerseits eine intuitive Tendenz haben, den Säugling zu imitieren und ihm damit die Signale zurückzuspiegeln, die er selbst aussendet. Dabei reflektieren sie sein Verhalten nicht eins zu eins, sondern in einer erweiterten, um zusätz­liche Elemente angereicherten Form, ein Vorgang, der als Markierung bezeichnet wird […]
Frühe Spiegelungen führen also nicht nur zu seelischem, sondern auch zu körperlichem Glück. Umgekehrt ruft eine absichtlich verweigerte Spiegelung massive Unlustre­aktionen hervor. Dies macht ein Experiment deutlich, das in der Fachliteratur als »still face procedure« bezeichnet wird. Die Bezugsperson bringt ihr Gesicht in den richtigen Abstand zum Gesicht des Kindes. Wenn der Erwachsene nun, entgegen seiner eigenen emotionalen Intuition, seine Miene absichtlich völlig regungslos beibehält, dann wen­det sich das Kind impulsiv ab. Wird die Prozedur mehrere Male wiederholt, hat dies einen emotionalen Rückzug zur Folge: Die Bereitschaft des Säuglings nimmt ab, nach wei­teren Möglichkeiten für mimischen Signalaustausch zu su­chen.
Aus Beobachtungen dieser Art darf und muss die Schluss­folgerung gezogen werden, dass Versuche, Neugeborene bzw. Kleinkinder emotionslos, nach rein »rationalen« oder »vernünftigen« Kriterien zu versorgen, verheerende Folgen haben. Sie ruinieren die Fähigkeit des Kindes, mit anderen Menschen in emotionalen Kontakt zu kommen und sich mit ihnen intuitiv verbunden zu fühlen. Das frühe Spiel mit spiegelnden Imitationen schafft die Grundlage dessen, was Daniel Goleman als emotionale Intelligenz beschrieben hat.

Ausführlicher ist diese Passage aus dem Buch Bauers in meinem Blog Spiegelneuronen und Gefühle zitiert.

Mittwoch, 14. Mai 2008

Spiegelneuronen: ein Schlüssel zum Verständnis innerer Prozesse


Warum verstehen wir manche anderen Menschen intuitiv?
Warum sind wir genau in diese Liebe verliebt, die ein anderer uns gibt?
Warum ist für manche Liebe tief wie das Meer und andere nennen schon eine Gefühlsaufwallung Liebe?
Warum hingegen lehnen Menschen andere Menschen ab, die wirklich große Liebe geben?

Warum kann sich der ein oder andere nicht vor dem Zorn eines anderen schützen?
Warum erkennt Schneewittchen den Hass der bösen Königin nicht?

Warum hört ein Jugendlicher nicht auf, einen am Boden Liegenden zu treten?

Warum steckt Gähnen an?
Warum verziehen manche keine Miene, während bei anderen sich alles im Gesicht spiegelt?
Warum sind manche emotionslos und andere hochsensibel?
Ein Kind, mit dem man nicht mit Worten spricht, wird nicht sprechen, es wird nur lallen.
Ein Kind, mit dem Erwachsene auf der Gefühlsebene nicht "sprechen", wird gefühlsmäßig womöglich sein Leben lang nur lallen können.
Seit die Wissenschaft die Spiegelneuronen entdeckt hat, wissen wir, warum das so ist. Dieselben Neuronen, die veranlassen, dass ich etwas tue, reagieren, wenn ein anderer Vergleichbares tut. Den Spiegelneuronen ist es gleichgültig, ob ich selbst etwas tue oder ein anderer - sie reagieren gleichermaßen.
Nur entsprechend meinem neuronalen Reservoir kann ich auf jemand anderes reagieren, sonst "verstehe" ich sein Gefühl oder Verhalten nicht. Entscheidend ist also, wie ich in meiner Kindheit von meinen Eltern neuronal geprägt wurde.
Wir haben auf dieser Ebene eine Erklärung dafür, warum die Menschen vor 2000 Jahren mit der Liebe Jesu nicht umgehen konnten und ihn töteten.
Wir wissen, warum ein Jugendlicher nicht aufhört zuzutreten, auch wenn sein Opfer auf dem Boden schon halb bewusstlos ist. Die Erklärung ist:
Er empfindet nicht, was sein Opfer empfindet. Normalerweise müssten Spiegelneuronen in ihm auf das Leid seines Opfers reagieren, doch es gibt sie nicht. Der Täter ist gefühllos. Für dieses Geschehen hat er keine Neuronen, genauer: keine Spiegelneuronen, die sich anschalten und sagen: Der da unten empfindet Schmerz, hör auf, er geht zugrunde. Ebenfalls schlimm aber ist im Grunde auch die Tatsache: Auch für sich selbst empfindet dieser Mensch ja nichts. Nur was er bei sich selbst empfindet, kann er ja auch bei anderen empfinden. Neuronen reagieren auf das eigene Leid und sie spiegeln auch das Leid anderer; nicht alle Nervenzellen tun das, aber doch einige zig-tausend, die man bisher entdeckt hat.
Je realistischer in den Videofilmen und im Fernsehen z.B. brutales Geschehen ist, desto eher springen Spiegelneuronen an und verstärken diejenigen Neuronen, die mit Hass und Morden zu tun haben bzw.: Bei Kindern werden sie erst geprägt.
Für Kinder wird dann Gewalt unter "interessant" und – da die Filme ja von Papa und Mama sind bzw. diese sie abends mit ansehen – auch unter "erlaubt" abgespeichert.
Alles Gerede davon, dass ein Zusammenhang zwischen Medienkonsum und aktiver Gewalt nicht beweisbar sei, wird hier ad absurdum geführt. Es sind dieselben Zellen, die den Befehl zum Schlagen geben, die vorher ebenfalls reagiert haben, wenn im Film jemand geschlagen wurde.

Antworten auf die Fragen oben demnächst
sowie Zeitungsartikel und Buchauszug zu den Spiegelneuronen schon jetzt

Montag, 12. Mai 2008

Ich liebe dich, weil ich dich brauche ...



... so heißt ein Buchtitel von Hans Jellouschek zum Thema der Froschkönig-Prinzessinnen-Beziehungen (e.e. = echt empfehlenswert).

Da verspricht der Froschkönig – immerhin ist es auch ein König, hat er doch eine Krone auf – der Prinzessin die goldene Kugel unter gewissen Bedingungen aus dem Brunnen zu holen, aber als dann der Alltag kommt und der Froschkönig sein Recht verlangt, nämlich u.a. ins Bett mitgenommen zu werden, da fallen der Prinzessin die Tomaten von den Augen und sie merkt, wie wenig sie da einen Mann geangelt hat, wie sehr einen Frosch.
- Also scheiden?

Wer jetzt denkt: "Das ist doch ein Märchen" - klar, was denn sonst ...
Wo waren wir ... ja, beim Scheiden ... Nein, das geht auch nicht, denn die Prinzessin weiß genau, dass sie immer nur einen Frosch oder einen Froschkönig kriegt. Immer war und ist es dasselbe: Kugel in den Brunnen, Froschkönig als Retter – und dann die Enttäuschung. Immer ein glibberiger Frosch. Das kratzt auch am Selbstwertgefühl; irgendwie weiß sie: das mit dem Prinzen wird nichts, irgendwas fehlt … also doch nur ein Leben als Froschfrau?

– Keine Antwort ist auch eine Antwort.

Aus Bedürftigkeit heiraten beide. In der Zeit der wilden Leidenschaft – was sie so Leidenschaft nannten, ohne zu wissen, was für ein emotionales Budget ihnen wirklich zur Verfügung stand – also in der Zeit der ach so wilden Leidenschaft nannten sie Liebe, was in Wirklichkeit nichts als eine Bananenschale war, in der allerdings noch nie eine Banane gewesen war – die kannten beide nur vom Hörensagen. Aber von Liebe sprachen sie trotzdem. Und wenn im Fernsehen ein Liebesfilm zu sehen war oder sowas mit Leidenschaft (es war ja auch nur gespielt) schwiegen beide in sich hinein.

Dann kam doch das Kind. Endlich hatte die Mutter ein Opfer für Liebe und Leidenschaft. Sie nannte ihre kinderfreundlichen Gefühlsaufwallungen Liebe. Und auch ihr Kind nannte Liebe, was es so von seiner Mutter gelernt hatte Liebe zu nennen (der Vater sprach von sowas nicht, der hielt sich raus). Und das Kind lehrte auch seine Kinder die Liebe … was man halt so Liebe nennt … und diese Kinder lehrten dann ihre Kinder auch später die Liebe …
Wie in einem anderen Post schon bemerkt: Liebe ist eines der meist benutzten Wörter, aber eines der unbekanntesten Gefühle.
Dabei ist Liebe eigentlich mehr als ein Gefühl … Das aber könnte die Prinzessin wirklich nur lernen, wenn sie den Froschkönig ganz wirklich gewaltig gegen die Wand klatscht … so, dass sie selbst davon aufwacht … (und der Herr König auch) ... das wäre dann wenigstens mal leidenschaftlich gewesen … bis zur Liebe wäre es dann immer noch ein weiter Weg … aber ein Anfang wäre gemacht …

Sonntag, 11. Mai 2008

Die einprägsamste Philosophie und eine wunderbare Pfingstweisheit

stammt für mich nicht von Sokrates oder Platon, nicht von Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche oder dem Dalai Lama, sondern von Matthias Claudius (1740-1815), dem bekannten Dichter volksliedhafter Strophen.

Im wahrsten Sinne des Wortes ist er ein Freund der Weisheit, ein Philosoph also, und zwar insbesondere in seinem Abendlied

Der Mond ist aufgegangen.

Es sind wirklich Perlen der Weisheit, die wir z.B. in der 3. Strophe finden:



Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen
weil unsere Augen sie nicht sehn.


Zumeist sehen wir nur eine Seite einer Medaille. Wenn wir die andere sehen wollen, müssen wir die Medaille umdrehen. Genauso ist es, wenn wir in einem Hauseingang stehen: Wir können nur nach innen oder nach außen schauen. Deshalb gaben die Römer dem Kopf ihres Gottes Janus, der über den Hauseingängen wachte, zwei Gesichter; so konnte er beide Richtungen wahrnehmen, doch in seinem Kopf vermochten sich beide Sichtweisen zu vereinen.

Der Mond versinnbildlicht uns genau diese Wahrheit: Selbst wenn er nur halb zu sehen ist, ist doch auch bei genauem, umfassendem Hinschauen der unbeleuchtete Teil des Mondes, unser Erdtrabant also ganz zu sehen.

Wenn wir den Mond anschauen, wissen wir um die Wahrheit: Alles ist immer vorhanden, wir müssen nur genau hinsehen; manches schlummert eben im scheinbar Verborgenen.

In unserem Leben ist es auch so: Wir leiden oft, weil wir die gesamte Wahrheit nicht sehen. Wenn sie uns zur Verfügung steht, sehen wir, dass alles seinen Sinn hat, alles rund und schön ist.

Matthias Claudius hat dieser großen Wahrheit ganz schlicht und gerade deshalb so überzeugend Ausdruck verliehen.

Das gilt auch für die folgende Weisheit:


Gott lass Dein Reich uns schauen,
auf nichts Vergänglich´s trauen,
nicht Eitelkeit uns freun!
Lass uns einfältig werden
und vor Dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Einfältig: Das ist kein negatives Attribut, im Gegenteil, es ist höchstes Ziel, denn
einfältig bedeutet: in eins gefaltet, in EINS gefaltet, in Gott.
Dort kommt alles zur Ruhe.


Lass uns in DIR, GOTT stille, lass uns einfältig werden, so betet Matthias Claudius.Und er weiß, dass der Weg nur dorthin führt, wenn der Mensch nicht mehr zwiegefaltet, zwei-gefaltet ist, nicht zwei-felt, was er deshalb tut, weil er nicht sieht, dass der Mond und die Dinge in ihrer Gesamtheit rund und schön sind.Wer nur das Vordergründige sieht, zweifelt, ist in sich zwei-gefaltet, gespalten.
 

Wer die Ganzheit sieht, sieht den Sinn hinter allem, in allem.
 

Matthias Claudius rät, fromm zu sein wie ein Kind. Nur ein Kind und ein kindliches Gemüt können diese Wahrheit intuitiv erfassen, mit dem Herzen.
Dem Verstand bleibt sie ewig verschlossen.
Der Mond ist aufgegangen ...
 

Im Buch der Natur, der irdischen und der kosmischen, sehen wir die Rätsel des Lebens

gelöst.

Freitag, 9. Mai 2008

Erziehen lernen oder: vom Flug des Pfeils

Greifen wir das Bild von Kahlil Gibran auf: Eltern sind der Bogen, von denen die Kinder - als Pfeile - ins Leben fliegen.

Wir alle kennen sie - meist sind es männliche Zeitgenossen -, die per Fernsteuerung ihre Modellflugzeuge fliegen lassen.

Die Eltern, also der Bogen, haben zwar keinen solchen Apparat, aber energetisch bleiben Bogen und Pfeil immer miteinander verbunden und jeder Gedanke wirkt sich auf den Flug des Pfeils aus. So steuern - mehr oder minder stark - die Eltern den Lebensflug ihres Kindes.

Zwar bringt jede Seele einen unbewussten Speicher früherer Leben auf diese Erde mit, was ja auch erklärt, warum Kinder so unterschiedlich sind und dass sie manchmal schon in jungen Jahren unglaublich reflektiert und in gewisser Weise weise sind; das wäre, wenn sie wirklich bei Null begönnen, einfach unmöglich.

Aber die Eltern nehmen maßgeblich Einfluss auf den Flug, wie gesagt: mit jedem Gedanken.

Einer Freundin habe ich einmal erzählt, mir sei aufgefallen, dass ich, wenn ich im Sportunterricht ein Kind lobe, es dann des Öfteren anschließend einen Fehler mache, so dass ich mir wirklich schon Gedanken machte, ob ich das Loben bleiben lassen soll. Meine Freundin sagte mir daraufhin, dass die Seele des Kindes genau spüre, ob das Lob aus dem Herzen komme oder so dahingesagt sei; Letzteres hat den Fehler zur Folge!

Seitdem lobe ich anders, bewusst, mit dem Herzen, und ich sehe auch – im normalen Schulunterricht ist das natürlich besser zu erkennen als im Sport - den Augen der Kinder an, dass sie spüren, dass mein Lob aus dem Herzen kommt. Das setzt Zuwendung voraus, auch im wörtlichen Sinne: kein Lob en passant, sondern bewusster Augen-Blick, bewusstes Zu-Wenden.

Das Gegenteil ist schrecklich:

Es sind die Zweifel, die Eltern und Lehrer säen in die Seele des Kindes.

Kaum etwas zerstört die Seele von Kinder mehr als Zweifel. Das wirkt wie schlimmstes Pflanzengift in einem bunten Blumengarten.

Wenn ich jemand seiner Kraft berauben will, zweifle ich ihn an. Das wirkt immer! Zweifel wirken zersetzend.

Persönlichkeitszersetzend. - Warum?

Die Erklärung findet sich im Wort selbst. Zwei-fel bedeutet: in zwei gefaltet; man ist nicht mehr bei sich: in eins gefaltet – letztendlich wäre das ein göttlicher Zustand -, sondern gespalten in zwei Teile.
Zweifel trennen vor allem ein Kind von seinem innersten Wesen.

Wer Kinder mit Zweifeln belastet, zerstört ihre innere Größe.

Erwachsene tun das gern dann, wenn ihnen selbst in ihrer Kindheit ihre Größe, ihr Selbstwert geraubt wurde; diese Verletzung geben sie unbewusst weiter:

Lass es, Du kannst es doch nicht …
Ich weiß nicht, ob Du das hinkriegst …
Ich möchte einmal erleben, dass du etwas beim ersten Mal kapierst …

Wer kennt solche Sprüche nicht?!


Lob dagegen,
Lob von Herzen,
baut eine Brücke zum inneren Selbst!


Bildquelle: Sundragon, Schweiz

zu: Hier irrt Khalil Gibran

Mittwoch, 7. Mai 2008

Khalil Gibran, Von den Kindern


Bildverweis zu Tippi Degrè: hier

Und eine Frau, die einen Säugling an ihre Brust drückte, sagte:
Sprich zu uns von den Kindern.
Und er sagte:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Sie kommen durch euch, doch nicht aus euch,
Und sind sie auch bei euch, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,
doch nicht eure Ge­danken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihren Körpern dürft ihr eine Wohnstatt bereiten,
doch nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus der Zukunft,
und das bleibt euch verschlossen, selbst in euren Träumen.
Ihr dürft danach streben, ihnen ähnlich zu werden,
doch versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben schreitet nicht zurück, noch ver­weilt es beim Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebendige Pfeile abgeschnellt werden.
Der Schütze sieht die Zielscheibe auf dem Pfad des Unendlichen,
und Er beugt euch mit Macht,
damit Seine Pfeile umso geschwinder und weiter fliegen.
Freut euch der Beugung, 
die euch die Hand des Bogenschützen aufzwingt;
denn so wie Er den flüchtigen Pfeil liebt, 
liebt er auch den verharrenden Bogen.


Khalil Gibran (1883-1931), Dichter, Philosoph und Künstler, wurde im Libanon geboren und emigrierte in jungen Jahren in die USA. Sein Lebenswerk galt der Versöhnung der westlichen und der arabischen Welt.

Mehr zu Khalil Gibran: Hier und Hier



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