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Sonntag, 11. Mai 2008

Die einprägsamste Philosophie und eine wunderbare Pfingstweisheit

stammt für mich nicht von Sokrates oder Platon, nicht von Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche oder dem Dalai Lama, sondern von Matthias Claudius (1740-1815), dem bekannten Dichter volksliedhafter Strophen.

Im wahrsten Sinne des Wortes ist er ein Freund der Weisheit, ein Philosoph also, und zwar insbesondere in seinem Abendlied

Der Mond ist aufgegangen.

Es sind wirklich Perlen der Weisheit, die wir z.B. in der 3. Strophe finden:



Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen
weil unsere Augen sie nicht sehn.


Zumeist sehen wir nur eine Seite einer Medaille. Wenn wir die andere sehen wollen, müssen wir die Medaille umdrehen. Genauso ist es, wenn wir in einem Hauseingang stehen: Wir können nur nach innen oder nach außen schauen. Deshalb gaben die Römer dem Kopf ihres Gottes Janus, der über den Hauseingängen wachte, zwei Gesichter; so konnte er beide Richtungen wahrnehmen, doch in seinem Kopf vermochten sich beide Sichtweisen zu vereinen.

Der Mond versinnbildlicht uns genau diese Wahrheit: Selbst wenn er nur halb zu sehen ist, ist doch auch bei genauem, umfassendem Hinschauen der unbeleuchtete Teil des Mondes, unser Erdtrabant also ganz zu sehen.

Wenn wir den Mond anschauen, wissen wir um die Wahrheit: Alles ist immer vorhanden, wir müssen nur genau hinsehen; manches schlummert eben im scheinbar Verborgenen.

In unserem Leben ist es auch so: Wir leiden oft, weil wir die gesamte Wahrheit nicht sehen. Wenn sie uns zur Verfügung steht, sehen wir, dass alles seinen Sinn hat, alles rund und schön ist.

Matthias Claudius hat dieser großen Wahrheit ganz schlicht und gerade deshalb so überzeugend Ausdruck verliehen.

Das gilt auch für die folgende Weisheit:


Gott lass Dein Reich uns schauen,
auf nichts Vergänglich´s trauen,
nicht Eitelkeit uns freun!
Lass uns einfältig werden
und vor Dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Einfältig: Das ist kein negatives Attribut, im Gegenteil, es ist höchstes Ziel, denn
einfältig bedeutet: in eins gefaltet, in EINS gefaltet, in Gott.
Dort kommt alles zur Ruhe.


Lass uns in DIR, GOTT stille, lass uns einfältig werden, so betet Matthias Claudius.Und er weiß, dass der Weg nur dorthin führt, wenn der Mensch nicht mehr zwiegefaltet, zwei-gefaltet ist, nicht zwei-felt, was er deshalb tut, weil er nicht sieht, dass der Mond und die Dinge in ihrer Gesamtheit rund und schön sind.Wer nur das Vordergründige sieht, zweifelt, ist in sich zwei-gefaltet, gespalten.
 

Wer die Ganzheit sieht, sieht den Sinn hinter allem, in allem.
 

Matthias Claudius rät, fromm zu sein wie ein Kind. Nur ein Kind und ein kindliches Gemüt können diese Wahrheit intuitiv erfassen, mit dem Herzen.
Dem Verstand bleibt sie ewig verschlossen.
Der Mond ist aufgegangen ...
 

Im Buch der Natur, der irdischen und der kosmischen, sehen wir die Rätsel des Lebens

gelöst.

2 Kommentare:

ZWERGENSCHÖN hat gesagt…

...wie wunderbar! ja wir "modernen" Menschen müssen immer alles SEHEN um zu glauben, "wer glaubt wird seelig", ein allseits bekannter Spottspruch, für mich jedoch nicht. Ganz im Gegenteil! Es gibt noch so unendlich viele guten Sprüche, z.B. "der Glaube versetzt Berge" usw. Wir sollten tatsächlich wieder mehr Dinge glauben, die nicht genau vor unser Nase sichtbar sind... Ich danke Dir für Deine wunderbaren Worte in meinem "Birken-Betula"-Post. Deine Welt hier ist so interessant und weise. Welch wohltuender Kontrast zu meinen glitzerbunten Phantasie-Märchen-Traumwelten :-)
Herzensgrüsse, Silke

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Liebe Silke,
die Birke ist in ihren vielen flüsternden Blättern auch unglaublich verspielt so wie Deine Traumwelten und dennoch ist sie fest verwurzelt; nach einem Sturm sieht man keine entwurzelte Birke!
Ich finde Deine Bilder zum Beispiel wunderschön; sie sind ja zugleich real, denn sie sind auch in Dir.
Danke für Deine lieben Worte und ein schönes Wochenende.