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Samstag, 4. Juli 2009

Unser Herz als Wünschelrute: zu Paul Gerhardts "Geh aus mein Herz und suche Freud ..."




Selten ist aus so übervollem Herzen gedichtet worden wie von jenem Mann, dem wir Volks- und Kirchenlieder wie O Haupt voll Blut und Wunden, Nun ruhen alle Wälder, Auf auf mein Herz mit Freuden oder auch Nun danket all´ und bringet Ehr verdanken: Paul Gerhardt.
Er war beileibe kein verklärter Sakristei- oder Hofpoet, sondern ein Mann mit Zivilcourage, der dem Kurfürsten von Brandenburg dermaßen Widerstand leistete, dass diesem Hören und Sehen vergehen sollte: Als nämlich jener von seinen Geistlichen eine Unterschrift unter ein Revers verlangte, sich religiöser Streitgespräche zu enthalten, verweigerte sie Paul Gerhardt und wurde daraufhin seines Amtes enthoben.

Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, Strophen zu dichten wie jene, die viele früher noch auswendig lernten und die beim Kirchenausflug der Kirchengemeinde, in der meine Eltern sich heimisch fühlten, vom ganzen Bus gesungen wurde. Als Kind hatte ich damals immer das Gefühl, dass sogar der Bus samt Fahrgestell und Sitzen mitsang und beschwingter fuhr:

Geh aus, mein Herz, und suche Freud
In dieser lieben Sommerzeit
An deines GOttes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.

Wirklich wird hier das Herz zur Wünschelrute, die weiß, dass das Wasser des Lebens im Grunde die Freude ist.
Die ganze erste Strophe ist ein einziger großer Schwung von Bildern und so ist es oft auch im Rahmen der 14 folgenden:
Die ersten drei Zeilen gleichen einem staunenden Einatmen, die folgenden drei Zeilen gleichen einem Ausatmen, wobei uns Folgen und Wirkungen dessen bewusst werden, was wir aufgenommen, eingeatmet haben:
Die Bäume stehen voller Laub,
Das Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünen Kleide;
Narcissus und die Tulipan,
Die ziehen sich viel schöner an
Als Salomonis Seide.

Auf Schritt und Tritt begegnet man in den Strophen, von denen meistens nur die Strophen 1-3 und 8 gedruckt werden, jenem Meister der Dichtkunst, der stilistische Mittel in Hülle und Fülle einzusetzen wusste, sicherlich eher unbewusst:
So wird das Herz, die Quelle unseres Lebens, gleich zu Beginn direkt angesprochen, gewiss schon ein Kunstgriff; es steht aber nur - pars pro toto - als Teil für das Ganze, den ganzen Menschen, den Paul Gerhardt erreichen will.
Wenig später verleiht der Poet sogar dem Herzen Augen (Geh aus mein Herz ... Schau an ...), möchte er doch, dass die Herz-Augen wahrnehmen: Für Dich, mein Herz, und für mich ist diese Pracht gestaltet.
So ernst nimmt der Dichter sein Herz! So ernst nimmt er sein ganzes Sein!

Alliterationen finden sich in Hülle und Fülle und diese gleichen Anlaute bringen nun einmal die Seele zum Klingen wie die G-Anlaute in Gottes Gaben, das Schau der schönen Gärten oder Salomonis Seide.

Die Lerche schwingt sich in die Luft,
Das Täublein fleugt aus seiner Kluft
Und macht sich in die Wälder;
Die hochbegabte Nachtigall
Ergetzt und füllt mir ihrem Schall
Berg, Hügel, Talbot und Felder.

Fast selbstverständlich will da erscheinen - was für diese Zeit übrigens noch ganz und gar nicht üblich war -, dass die Natur menschliche Züge trägt oder - wie man zu sagen pflegt - personifiziert ist:
Das Erdreich bedeckt sich, ein menschlicher Vorgang, oder Narzissus und Tulipan bekleiden sich.
Der junge Goethe oder die Romantiker werden auf diese Weise wie selbstverständlich schreiben, in der Zeit des Barock war das ganz und gar nicht gang und gäbe, zumal Paul Gerhardt in eine Zeit geboren wurde, die zu den unwirtlichsten gehören sollte, die Deutschland jemals erlebte:
Elf Jahre nach seiner Geburt brach der Dreißigjährige Krieg aus und nicht nur die Heere Wallensteins und Gustav Adolfs von Schweden zogen durch die Lande, sondern auch die Pest. 
Trotz alledem ist für Paul Gerhardts Herzgesang alleiniger Maßstab das, was dem Höchsten klingt:

Ich selbsten kann und mag nicht ruhn;
Des großen GOttes großes Tun
Erweckt mir alle Sinnen;
Ich singe mit, wenn alles singt,
Und lasse, was dem Höchsten klingt,
Aus meinem Herzen rinnen.



Übrigens kam es in Berlin wegen der Amtsenthebung von Paul Gerhardt zu einer großen Unruhe, war doch unser Dichter als Prediger und Poet angesehen und beliebt. Auf vielseitiges Drängen entschloss sich deshalb der Kurfürst, auf die Unterschrift Paul Gerhardts zu verzichten, damit dieser weiter seines Amtes walten könne.
Doch dieser verzichtete ebenfalls - auf sein Amt!
Paul Gerhardt hatte gewiss kein leichtes Leben. Als er nach Ende des Dreißigjährigen Krieges heiratete, gebar ihm seine Frau Anna Maria fünf Kinder, von denen nur eines überlebte. 
Nach 17 Jahren Ehe starb seine Frau an einer damals unheilbaren Lungentuberkulose.
Und dennoch dichtet unser Dichter:

Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
Hier trage dieses Leibes Joch,
Auch nicht gar stille schweigen;
Mein Herze soll sich fort und fort
An diesem und an allem Ort
Zu deinem Lobe neigen:

Hilf mir und segne meinen Geist
Mit Segen, der vom Himmel fleußt,
Daß ich dir stetig blühe!
Gib, daß der Sommer deiner Gnad
In meiner Seelen früh und spat
Viele Glaubensfrücht erziehe!


Post zum Lied mit vollständigem Text hier

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