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Donnerstag, 9. Februar 2012

... dabei stößt man auf etwas Wunderbares, etwas nicht zur Gänze Erfassliches! – Clarissa Pinkola Estés´ "Die Wolfsfrau". Über die Kraft weiblicher Urinstinkte.


"Nicht nur die wilden Tiere, auch die wilden Frauen dieser Erde sind vom Aussterben bedroht. Im Lauf mehrerer Jahrtausende wurden die weiblichen Urinstinkte systematisch plattgewalzt, abgeholzt ausgeplündert, unterdrückt, oft auch zubetoniert", so schreibt Clarissa Pinkola Estés in der Einleitung zu ihrem Buch, und sie fährt fort:
"Die selbsternannten Verwalter der Erde hielten alles Ursprüngliche, alles Instinktive und Intuitive für eine Bedrohung ihrer Position und folglich auch nicht für erhaltenswert. Auf diese Weise wurde das urwüchsige Instinktive, das allen Frauen innewohnt, in eine der dunkelsten Ecken ihrer untergründigen Seelenlandschaften verbannt.
Es ist durchaus kein Zufall, dass wildwuchernde Naturgebiete auf der Erde mit der gleichen Geschwindigkeit dezimiert werden wie die Erinnerung an unser eigenes innewohnendes Wildwesen nachlässt."

Im Grunde wendet sich die gebürtige Mexikanerin und Jung-Schülerin demselben Thema zu, dass Robert Bly für die Männerwelt in seinem Buch Eisenhans bearbeitet hat, wenn er anhand des Grimm-Märchens aufzeigt, wie wichtig es ist, dass ein Mann sich von der Mutter löst und in sich den wilden Mann zulässt.
Die Zuwendung zum Wilden bedeutet nicht, dass da stehengebliebene Altachtundsechziger am Werk sind, sondern dass es in uns etwas gibt, was ganz ursprünglich ist, was uns zu unserer Kraft der Intuition führt und dann zur Folge hat, was Clarissa Pinkola Estés für Frauen mit einem Satz erfasst: "Frauen, die der Natur nahestehen, leuchten von innen heraus".
In der Tat, sie finden zu ihrer Naturseele, zu dem Ozeanischen in sich, wie die erfahrene Psychotherapeutin und cantadora es auch formuliert.
Cantadora, das ist sie aus Berufung; sie erzählt Geschichten und Märchen, die die Urwüchsigkeit ihrer Kultur noch in sich tragen.

In vielen Kulturen gibt es Namen für die Wolfsfrau; bei den Navajos heißt sie Spinnenfrau oder, wie sie auch genannt wird, Fluss unter dem Fluss, im Spanischen lautet einer ihrer Namen Licht des Abgrunds, in Ungarn Die vom Wald ...
Sie lebt "Am Grunde des Brunnens, im Oberlauf des Flusses, vor unserer Zeit. Sie lebt in der Träne und im Ozean. Sie lebt in den Bäumen. Sie gehört der Zukunft an und existiert seit Beginn der Zeit."
Frauen, die sie in sich finden, lassen die Fähigkeit wiedererstehen, die Seele sichtbar werden zu lassen. "Selbst das angepassteste, hygienisch einwandfreieste Wesen hält insgeheim einen Platz in ihrem Untergrund für die Wilde bereit und hofft im Stillen auf eine Öffnung, ein Loch im Netz, eine undichte Stelle im Räderwerk, durch die das Wilde und Alte ins Freie schlüpfen kann."

Gut, wenn ein Mann, der einer Frau, die den Fluss unter dem Fluss in sich leben lässt, begegnet, den eigenen wilden Mann aus dem Käfig, der im Hof des Schlosses steht, befreit hat.

Weder die Frau noch der Mann sind ja auf einmal wild, sondern sie beginnen Pfade zu gehen, die andere gar nicht sehen, nur das Knacken der Äste, wenn sie durch die Schonung gehen, oder der Rauch ihres Lagerfeuers lässt die anderen merken, dass es da etwas gibt, was sie nicht leben.
Gleichwohl sitzen beide tagsüber im Büro oder unterrichten ganz brav Schüler.
Über das Wilde redet niemand, er und sie entdecken es in sich; er oder sie zeigen es nicht; es ist nicht dafür da, um anderen zu imponieren, es dient nicht dem Ego, es dient dazu zu lernen, aus den Tiefen des eigenen Brunnens zu trinken.

Clarissa Pinkola Estés erzählt Geschichten, die sie gesammelt hat oder selbst in sich gefunden, und mittels deren sie über den Weg der wilden Frau Aufschluss geben will. Sie schreibt über die Doppelnatur der Frau, über den unbekannten Retter, über Seelenliebe, über den Zorn als Lehrmeister und vieles mehr.

Das alles mag wohl auch für die weibliche Seite eines Mannes hilfreich sein, genauso wie eine Frau für ihre männliche Seite von Eisenhans lernen kann.

2 Kommentare:

Beate Neufeld hat gesagt…

Lieber Johannes,
ich habe dieses Buch schon ziemlich lange in meinem Bücherregal stehen. Als ich es mir kaufte, habe ich nur einen kleinen Teil davon gelesen, und dann weggelegt. So ging es mir früher schon manches Mal, dass ich ein Buch dann nach Jahren wieder zur Hand nahm, und dann hat es mich berührt, dann war die Zeit gekommen.
Alles hat eben seine Zeit ;-)
Du schreibst so interessant und berührend über dieses Buch, dass ich mich motiviert fühle, darin zu lesen. Aber auch für " Eisenhans" ist mein Interesse geweckt.
Sei herzlich gegrüßt von:
Beate

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Ich finde auch, dass "Wolfsfrau" ein Buch ist, das man vielleicht in Raten liest - mir geht es jedenfalls so. Es enthält so viele Informationen und Ergebnisse einer fast lebenslangen Arbeit dieser Frau.
Und "Eisenhans" lohnt sich echt :-))
Liebe Grüße,
Johannes