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Donnerstag, 28. Juni 2012

Warum gabst Du uns die tiefen Blicke ... Goethes unvergessene Worte an Charlotte von Stein.




Aus einer anderen Welt muss ich dich kennen,
lass uns in dieser Welt nie wieder trennen ...

Wenn ich solche Zeilen des unvergessenen Adamo höre, wie es gestern der Fall war, kommen mir wie von selbst der gute Goethe und seine Frau von Stein in den Sinn.
Über sie hat Goethe dem von ihm so geschätzten Christoph Martin Wieland geschrieben:

Ich kann mir die Bedeutsamkeit, die Macht, die diese Frau über mich hat, anders nicht erklären als durch die Seelenwanderung. - Ja, wir waren einst Mann und Weib! - Nun wissen wir von uns - verhüllt, in Geisterduft.
Ihr hat er die Zeilen, die sich schon in ihren ersten Worten so unvergesslich machen, gewidmet, einer Frau, die ihrem Mann sieben Kinder gebar, er Oberstallmeister in Weimar, sie, eine unglaublich sensible, beherrschte, der Idee des Reinen zugetanen Frau.
Was wollte sie in Goethe leben? Genoss sie vor allem seine Zuneigung, seine durchaus stürmende Liebe? Genoss sie Gefühle, die sie bei ihrem Mann schon immer vermisst hatte?

Sieben Jahre älter war sie, aber war sie für Goethe dennoch eine Muttergestalt, vielleicht auch gerade deshalb, weil sie sich in sexueller Hinsicht so rar, so uneinnehmbar machte?
Viel ist über die beiden geschrieben worden. In Wirklichkeit haben wir nicht sehr viel Zeugnisse in Bezug auf ihre Liebe.
Goethe hat sich immer wieder in der Annäherung an das scheinbar Unerreichbare geübt.

Am 14. April 1776 schickt der 27-Jährige ihr ein langes Gedicht, das erst 16 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurde - dadurch ist es wie ein Vermächtnis. Goethe fragt auf eine auffallend intensive Art - vermittelt durch das anaphorische "Warum" - fast flehend das Schicksal:

Warum gabst du uns die tiefen Blicke, 
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun, 
Unsrer Liebe, unsrem Erdenglücke 
Wähnend selig nimmer hinzutraun? 
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle, 
Uns einander in das Herz zu sehn, 
Um durch all die seltenen Gewühle 
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?


Goethe ist voller Fragen, er spürt die Intensität, die Gewissheit der Herzen, und doch deutet sich eine leise Resignation an. Ihm fehlt die Erfüllung, die sie nicht zulässt, nicht einmal ein Du im Umgang miteinander lässt sie zu. Umso bitterer ist das, als er weiß:

Kanntest jeden Zug in meinem Wesen, 
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt, 
Konntest mich mit einem Blicke lesen, 
Den so schwer ein sterblich Aug´ durchdringt; 
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute, 
Richtetest den wilden irren Lauf, 
Und in deinen Engelsarmen ruhte 
Die zerstörte Brust sich wieder auf; 

Hieltest zauberleicht ihn angebunden 
Und vergaukeltest ihm manchen Tag. 
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden, 
Da er dankbar dir zu Füßen lag, 
Fühlt´ sein Herz an deinem Herzen schwellen, 
Fühlte sich in deinem Auge gut, 
Alle seine Sinne sich erhellen 
und beruhigen sein brausend Blut!

Goethe hätte diese Beruhigung nicht gewollt, auch das nicht, was er als vergaukeln, leicht beschönigt klingend, versteckt. Da liest sich kein Vorwurf hinein, aber es deutet sich an, warum Goethe nach seiner italienischen Reise so deutlich Abstand von Frau von Stein nehmen wird, ein Abstand, den sie ihm nie so recht verzeihen konnte.


Und von allem dem schwebt ein Erinnern
Nur noch um das ungewisse Herz,

Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,

Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, dass das Schicksal, das uns quälet,
Uns doch nich verändern mag.

Goethe wird hier lernen, dass Sehnsucht eine Sucht ist und bleibt und dass sie auf Dauer keiner Seele gut tut. Dazu war Goethe viel zu gesund, als dass er sich verzehren wollte in Nicht-Erfüllung.
In seiner Marienbader Elegie, in der er auch Verzicht üben muss, wird er wissen, was es mit der Liebe und dem Fromm-Sein auf sich hat.
Ich glaube, weder in Frau von Stein noch in seiner Frau Christiane Vulpius hat er die ihm zugehörige Seele gefunden. Und dennoch ist er auf der Leiter des Bewusstseins zu wahrer Liebe unendlich hoch gestiegen.
Er wusste um das Ewig-Weibliche.




Das ganze Gedicht findet sich am Ende des hier verlinkten Posts
Die Skulpturen habe ich auf dem Pfad der Baumgiganten
oberhalb von Bad Kissingen aufgenommen.
Sobald ich den Künstler erkundet habe, trage ich ihn hier nach.

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