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Mittwoch, 26. Dezember 2012

Leben heißt: Sich ohne Ende wandeln. / Wer am Alten hängt, der wird nicht alt ...

Das sind Zeilen aus Günter Kunerts Ballade Wie ich ein Fisch wurde.

Klingt so ein bisschen nach Hermann Hesses Stufen und seinem Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten ...

Nein, bei Kunert ist die Wandlung gar nicht heiter, bei ihm mutiert der Mensch zum sprach- und tonlosen Fisch, schwimmt träge unter Wasser und hat Angst, wieder Mensch zu werden.
 

Mich erinnert diese Ballade an meinen verstorbenen Freund Thomas, den ich einmal bei einer Fête in Stuttgart Bad Cannstatt kennenlernte, ich, staunender Besucher einer bemerkenswert intakten und echt sympathischen WG, eingeladen von meinem damals neuen Kollegen Frank, er, Thomas, Mitbewohner der WG, Fahrrad-Freak und Sportler durch und durch mit Hang zur Lyrik.
 

Mit der Zeit kam es, dass wir, Thomas und ich, viele gemeinsame Fahrrad-Touren unternahmen. Höhepunkte waren sicherlich unser Fahrrad-Urlaub auf dem österlichen Sardinien - den Lavendelduft in der Luft, als wir von der Fähre runterfuhren, vergesse ich nie - und die Alpenüberquerung, als wir meinten, mit dem Splügen-Pass hätten wir das Schlimmste geschafft. Was sich als Irrtum erwies, das ständige bergauf und -ab der Toscana war viel schlimmer; nicht weit weg hast Du ein Dorf gesehen und dich auf einen Capuccino gefreut; was man eben nicht sah, waren die vertikalen Kurven bis dorthin :-)).

Thomas ist vor einigen Jahren einem Krebsleiden erlegen.


Deshalb denke ich ein wenig wehmütig an obiges Gedicht. Als er nämlich mit seiner Freundin nach Berlin gezogen war, konnten wir uns nur noch selten treffen, und wenn wir uns trafen, die Fahrräder aufs Dach geschnallt hatten und es abging, z.B. Richtung Dordogne, dann war es zum Brauch geworden, dass jeder dem Anderen auf der Fahrt im Auto ein neu erlerntes Gedicht vortrug. Und Kunerts Wie ich ein Fisch wurde hat meinen lieben Freund unglaublich beeeindruckt.

Daran muss ich denken, wenn ich mir diese Ballade, die ich immer noch auswendig kann und mit der ich manchmal, auswendig vorgetragen, einer Klasse imponiere :-)), wieder durch den Kopf gehen lasse - und durchs Herz.

Zu sehr sind wir doch manchmal Fisch, zu wenig Mensch; kein Wunder schreibt Kunert in der letzten Strophe seiner Ballade:


Denn aufs Neue wieder Mensch zu werden,
Wenn man´s lange Zeit nicht mehr gewesen ist,
Das ist schwer für unsereins auf Erden,
Weil das Menschsein sich so leicht vergisst.

PS Möge es Dir gut gehen, Thomas; ich vermisse Dich immer noch ...


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