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Samstag, 30. März 2013

"Ich war tot und sieh ich lebe; / leben, leben sollst auch Du" ... – ... noch eine Kindheitserinnerung

Guercino (1591-1666): Der ungläubige Thomas

Im letzten Post bin ich auf das Karfreitagslied von Friedrich von Bodelschwingh eingegangen; inzwischen habe ich es mir sogar bei ITunes herunterladen können :-)

Auch mit dem Osterlied, das ich heute abdrucke, verbindet sich für mich eine Kindheitserinnerung.
Dank meiner Eltern durfte - oder sagen wir: musste - ich jeden Sonntag in die Kirche gehen. Es gab aber einen besonderen Moment im Verlauf des Kirchenjahres, der mir immer einen Schauer über den Rücken hat laufen lassen, und zwar einen gewaltigen, und ich bin sicher, dass ich deshalb extra nochmal nach Frankfurt in die Nord-Ost-Gemeinde fahre, und zwar in den Ostersonntags-Gottesdienst.
An dessen Ende wurde von der Gemeinde nämlich immer ein Lied gesungen, dessen Text in das Gesangbuch eigens für diese Gelegenheit eingeklebt war (hoffentlich heute auch noch) und von einem mittlerweile wenig bekannten Lyriker und evangelischen Prediger stammt, Friedrich Mohn (1762-1830); immerhin ist in Ratingen eine Straße nach ihm benannt, weil er dort zu seiner Zeit tätig war. 
Vertont hat das Lied Karl Gotthelf Gläser (1781-1830); ich fand den Text und die Vertonung unglaublich berührend! – Auch heute geht es mir noch so, wenn Worte und Melodie in mir aufklingen.

Vor allem die letzte Strophe. Und das hat einen ganz simplen und doch wahnsinnig mächtigen Grund:
Die Nord-Ost-Gemeinde hatte sich zu der Zeit, als wir dort in den Gottesdienst gingen, eine neue Orgel zugelegt im Zusammenhang mit dem Neubau der Kirche. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als sei diese Orgel für die Kirche sehr großzügig ausgelegt gewesen (ich hoffe, sie gibt es heute noch). Denn wenn der Organist die entsprechenden Register zog, bebten die Kirchenmauern und die Empore schien mir klein und kleiner zu werden und kaum mehr in der Lage, die Orgel tragen zu können.
Jedenfalls: Immer in der letzten Strophe dieses im Folgenden abgedruckten Liedes war das der Fall – ein kurzer geübter Griff des Organisten in die Registratur und die Kirche verwandelte sich in ein gewaltiges Tonmeer. Auf diesen Moment wartete ich das ganze Jahr: Das war so ein gewaltiger Sound, einfach unglaublich; das muss man erlebt haben, wenn eine große Orgel braust und alles gibt. Das ist Gänsehaut-Feeling. Klar, da muss sich jedes Grab öffnen. 
Ich hatte immer den Eindruck: Nun muss wirklich alles auferstehen. Auch ich! 

Es war ein Moment, es waren Minuten, an die werde ich mich noch im nächsten Leben erinnern.
Leider gibt es den Text nicht vertont, nicht bei You Tube, nicht bei ITunes, aber egal ...

Hier nun der Lied-Text:

Auferstanden,
auferstanden ist der Herr
|: und in ewgem Lichtgewande
der Verklärung wandelt er. :|

Keiner bebe!
Der Erhöhte ruft uns zu:
|: Ich war tot und sieh ich lebe;
leben, leben sollst auch du. :|

O ihr Gräber, 
nein vor euch erbeb ich nicht,
|: weil des Höhern Lebens Gabe
euch erhellt mit seinem Licht. :|

Und nun das Brausen wie vom Himmel :-)

Auferstehen, 
auferstehen werd auch ich
|: und den Auferstandnen sehen,
denn er kommt und wecket mich. :|

Freitag, 29. März 2013

Nun in heilgem Stilleschweigen stehen wir auf Golgatha.

Wegkreuz bei Merklingen am Rande des Schwarzwaldes
Für den Karfreitagsgottesdienst des Jahres 1927 schrieb ein Mann, den ich seit Kindestagen verehre, das folgende Lied, zweifellos einer der mutigsten Deutschen, die je gelebt haben. Ich glaube, es war mein erster Religionslehrer auf dem Gymnasium, der damalige Pfarrer der Heilandsgemeinde im Frankfurter Ortsteil Bornheim, Ernst Klöß, der uns dieses Lied auswendig lernen ließ und mir diesen Mann nahebrachte.
Warum das so intensiv geschehen konnte, lag, so denke ich heute, auch an dessen Namen, der - genauso wie seine Arbeitsstätte, die den wunderschönen Namen Bethel, Haus Gottes, trägt - für mich einfach klingt und schwingt:

Friedrich von Bodelschwingh.
Ein Mann, den man nicht vergisst!

Voller Hochachtung verbinde ich mit seinem Namen, dass er sich so mannhaft bewährte in der Zeit seines persönlichen Golgatha, als er den Schergen des Nationalsozialismus den Mut seines Glaubens entgegensetzte, ja, sich in einer persönlichen Begegnung mit Hitler für die ihm anvertrauten Kranken und Behinderten und Juden einsetzte. 
Immer wieder mag ihm das Psalmwort, das im Chorbogen der Zionskirche von Bethel zu lesen ist, ein Rückhalt gewesen sein:
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, 
werden wir sein wie die Träumenden.

Mutig trat er öffentlich der Euthanasie entgegen, gab nicht die Behinderten und Kranken Bethels heraus und rettete so vielen Hunderten - manche sprechen von Tausenden - Menschen das Leben.

Warum er das konnte und durchhielt, vermittelt sein Lied; ich glaube sogar, es ist das einzige, das Pastor Fritz - wie Bodelschwingh liebevoll genannt wurde - geschrieben hat. 

Heute verfasste Kirchenlieder verwenden ein anderes Vokabular. In die damalige Zeit haben Bodelschwinghs Worte gepasst. 
Sie lassen uns gewahr werden, wo - vielleicht nicht nur an Karfreitag - unser Standort zu sein hat: auf Golgatha.

Bodelschwinghs Worte haben nicht nur in seine Zeit gepasst; sie sollten sich als prophetisch erweisen:


Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha, 
der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah,
das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschen Schuld, 
das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld.

Nun in heilgem Stilleschweigen stehen wir auf Golgatha. 
Tief und tiefer wir uns neigen vor dem Wunder, das geschah,
als der Freie ward zum Knechte und der Größte ganz gering,  
als für Sünder der Gerechte in des Todes Rachen ging.

Doch ob tausend Todesnächte liegen über Golgatha, 

ob der Hölle Lügenmächte triumphieren fern und nah, 
dennoch dringt als Überwinder Christus durch des Sterbens Tor; 
und die sonst des Todes Kinder, führt zum Leben er empor.

Schweigen müssen nun die Feinde vor dem Sieg von Golgatha.

Die begnadigte Gemeinde sagt zu Christi Wegen: Ja!
Ja, wir danken deinen Schmerzen; ja, wir preisen deine Treu; 
ja, wir dienen dir von Herzen; ja, du machst einst alles neu.

Mittwoch, 27. März 2013

"o welch ein Lieben war wie seines heiß?" – Annette von Droste Hülfshoffs "Gethsemane"

Gethsemane ist ein bis heute wenig beachtetes Gedicht Annette von Droste-Hülshoffs. Doch ist es ein Meisterwerk, das die Tiefe des Leidens der Liebe zu gestalten vermag.
Ich habe an anderer Stelle einiges zu seinem Verständnis, auch zu seiner Verfasserin geschrieben.
An dieser Stelle möchte ich nur das Werk selbst veröffentlichen, gewiss kein Gedicht, das man mal geschwind lesen und den Inhalt so eben mal zur Kenntnis nehmen kann; das wäre, als ob man durch eine der berühmten Pinakotheken joggen wollte.

Es ist eine österliche Meditation, der man nur mit Andacht zu begegnen vermag, wenn man ihr gerecht werden will:


                   ♱

                           Gethsemane 

.
Als Christus lag im Hain Gethsemane
auf seinem Antlitz mit geschloss’nen Augen, –
die Lüfte schienen Seufzer nur zu saugen,
und eine Quelle murmelte ihr Weh,
des Mondes blasse Scheibe widerscheinend, –
das war die Stunde, wo ein Engel weinend
von Gottes Throne ward herabgesandt,
den bittern Leidenskelch in seiner Hand.
.
Und vor dem Heiland stieg das Kreuz empor;
daran sah seinen eignen Leib er hangen,
zerrissen, ausgespannt; wie Stricke drangen
die Sehnen an den Gliedern ihm hervor.
Die Nägel sah er ragen und die Krone
auf seinem Haupte, wo an jedem Dorn
ein Blutestropfen hing, und wie im Zorn
murrte der Donner mit verhaltnem Tone.
Ein Tröpfeln hört’ er; und am Stamme leis
herniederglitt ein Flimmern qualverloren.
Da seufzte Christus, und aus allen Poren
drang ihm der Schweiß.
.
Und dunkel ward die Nacht, im grauen Meer
schwamm eine tote Sonne, kaum zu schauen
war noch des qualbewegten Hauptes Grauen,
im Todeskampfe schwankend hin und her.
Am Kreuzesfuße lagen drei Gestalten;
er sah sie grau wie Nebelwolken liegen,
er hörte ihres schweren Odems Fliegen,
vor Zittern rauschten ihrer Kleider Falten.
O welch ein Lieben war wie seines heiß?
Er kannte sie, er hat sie wohl erkannt;
das Menschenblut in seinen Adern stand,
und stärker quoll der Schweiß.
.
Die Sonnenleiche schwand, nur schwarzer Rauch,
in ihm versunken Kreuz und Seufzerhauch;
ein Schweigen, grauser als des Donners Toben,
schwamm durch des Äthers sternenleere Gassen;
kein Lebenshauch auf weiter Erde mehr,
ringsum ein Krater, ausgebrannt und leer,
und eine hohle Stimme rief von oben:
»Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen!«
Da weinte Christus mit gebrochnem Munde:
»Herr, ist es möglich, so laß diese Stunde
an mir vorübergehn!«
.
Ein Blitz durchfuhr die Nacht; im Lichte schwamm
das Kreuz, o strahlend mit den Marterzeichen,
und Millionen Hände sah er reichen,
sich angstvoll klammernd um den blut’gen Stamm,
o Händ’ und Händchen aus den fernsten Zonen!
Und um die Krone schwebten Millionen
noch ungeborner Seelen, Funken gleichend;
ein leiser Nebelhauch, dem Grund entschleichend,
stieg aus den Gräbern der Verstorbnen Flehn.
Da hob sich Christus in der Liebe Fülle,
und: »Vater, Vater,« rief er, »nicht mein Wille,
der deine mag geschehn!«
.
Still schwamm der Mond im Blau, ein Lilienstengel
stand vor dem Heiland im betauten Grün;
und aus dem Lilienkelche trat der Engel
und stärkte ihn.

Sonntag, 24. März 2013

Die Liebe steht am Pfahl gebunden! – Ist es deshalb so kalt? – Eduard Mörikes "Peregrina V"


Heute bin ich über eine Wiese gelaufen, auf der sich nicht eine Spur von frischem, jungem Gras zeigte. Und erinnere ich mich recht, dass im letzten Jahr schon Schlüsselblumen um diese Zeit zu sehen waren? Weiß nicht, vielleicht war es auch 14 Tage später, jedenfalls sah es vor einem Jahr so schön aus:


Meine Lieblings-Schlüsselblumen-Wiese

Morgen beginnt die Kar-Woche und es ist richtig kalt.

Es mag irgendwie kein Zufall sein.

Montag, Dienstag, Mittwoch sind die sogenannten Stillen Tage, die auf den Einzug der Liebe in Jersusalem vorbereiten.

Normalerweise strömt da alles selbstvergessen nach Italien oder ins Freie, ist aus dem Häuschen.

Dabei vergessen wir schon lange, dass die Liebe seit langem kein Haus mehr unter uns Menschen hat, sie wohnt weder unter uns noch in uns. Jedenfalls glaube, ich, es gilt für viele Menschen. Zu viele.

Pfingsten, Weihnachten, Ostern – wer weiß noch, was es damit auf sich hat? Wen interessiert noch das Schicksal der Liebe?

Eduard Mörike hat es vor ca. 180 Jahren interessiert. Allerdings vor allem deshalb, weil er seine große Liebe verlor, die er in seinem Roman Maler Nolten Peregrina nannte. Sie, die Vagantin, die er als Kellnerin kennenlernte, wollte nach einer Zeit der Trennung zu ihm, dem angehenden Theologen, wollte ihn wiedersehen. Doch er verweigerte sich, verweigerte sich seiner großen Liebe. So blieb ihm Maria Meyer ewig eine Fremde, eben eine Peregrina. - Mir scheint, es war die Liebe seines Lebens und mir ist auch, als ob er das immer gewusst hätte, auch wenn er Anläufe nahm zu heiraten oder ernsthafte Liebesbeziehungen einzugehen. Möglich, dass immer Mutter und Schwester zwischen ihm und den Frauen standen, wir sehen nicht detailliert in Menschen hinein, und das ist auch gut so. Manches, was wir als negativ und psychologisch hochtrabend erklären würden, könnte sich als Grund herausstellen, warum es in manchen Dichter solche Quellen der Inspiration gab. Leid ist eben nicht nur vordergründig Schicksal, sondern auch manchesmal Musen-Gabe, göttliches Geschenk.

Unter den vielen Peregrina-Gedichten sticht Peregrina V hervor, denn das erste Quartett innerhalb dieses Sonetts ist zu bezeichnend für den Zustand der Liebe auf der Erde. Hier geht es nicht (nur) um Mörikes Liebe, hier geht es um DIE LIEBE.

Jedenfalls musste Mörike so schreiben:

Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,
Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht;
Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,
Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.
Alle weiteren Strophen sind Biografie, die Frage, wie man nur so dumm sein kann, solch eine Liebe zu verlassen, die Tatsache, wie glutvoll ihre Wangen waren, wie kaum zu bändigen sie war, dass sie wie ein Frühlingssturm über ihn kam, wie Stürme voller Frühling ... und eine Menge Botticelli ist auch dabei, die wilden Kränze, gewunden in ihr Haar ...

Kann uns die Liebe, DIE LIEBE verlassen?

Eine Frage, die sich niemand stellt.

Wie selbstverständlich gehen wir davon aus, dass sie selbstverständlich kommt, wenn wir so gnädig sind, uns ihr zuzuwenden.

Wie ein dressierter Hund kommt sie, wenn wir pfeifen.

Wenn wir uns da mal nicht vertun!

Es könnte sein, dass sie sich bereits abgekehrt hat und nie mehr zurückkommt. Man merkt nicht, dass man sie schon längst gekreuzigt hat und als Trojaner glaubt, eine Helena zu besitzen, die, wie uns Euripides vermittelt, nie in Troja war. Man kann ein Leben lang auf eine Chimäre hereinfallen (gut, dass es nicht nur ein Leben gibt . . .)


Um all das wusste Mörike:

Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,
Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht;
Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,
Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.

Ach, Peregrinen hab ich so gefunden!
Schön war ihr Wahnsinn, ihrer Wange Glut,
Noch scherzend in der Frühlingsstürme Wut
Und wilde Kränze in das Haar gewunden.

War´s möglich, solche Schönheit zu verlassen?
-So kehrt nur reizender das alte Glück!
O komm, in diese Arme dich zu fassen!

Doch weh! o weh! was soll mir dieser Blick?
Sie küsst mich zwischen Lieben noch und Hassen,
Sie kehrt sich ab und kehrt nie mehr zurück.
                                                                     (vor 1831)

Samstag, 23. März 2013

Schandtat im "Paradies". - Ein 15-jähriges Mädchen retten helfen!


Ein 15-jähriges Vergewaltigungsopfer ist zu 100 öffentlichen Peitschenhieben verurteilt worden! Helfen wir, diesen Wahnsinn zu beenden.

Der Stiefvater des Mädchens soll sie über Jahre hinweg vergewaltigt und ihr Kind getötet haben. Nun sagt das Gericht, dass sie wegen “außerehelichen Geschlechtsverkehrs” ausgepeitscht werden muss! 
Bitte

  ⤷ über AVAAZ helfen! 

Momentan schon 993 469 Unterschriften - weltweite Menschlichkeit!

Sonntag, 17. März 2013

Die Zweiseelen-Natur, genauer: die Vielseelen-Natur des Menschen. Über Kain und Abel und das Kains-Mal


Seit Goethe im Faust den gleichnamigen Protagonisten die Worte Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust hat sprechen lassen, die sich auf die derbe Liebeslust auf der einen und und auf das Sehnen zu den Gefilden hoher Ahnen andererseits bezogen, gehört diese Aussage sozusagen zum mitteleuropäischen Bildungsgut. – Zu Recht.
Zu einer notwendigen inneren Bildung.

Wer sich mit der Faustischen Aussage beschäftigt, wird allerdings rasch verstehen, dass mit den zwei Seelen im Grunde Seelenrichtungen gemeint sind: die eine führt abwärts, letztendlch in den tosenden Höllenrachen, den der Edelknappe in Schillers Taucher sieht, und den wir in Bezug auf viele Einzelne, aber auch im Hinblick auf Gesellschaften gesehen, vor mehreren Jahrzehnten in Europa erlebten.

Auf diesem Weg dahin finden wir Etappen, Möglichkeiten der Umkehr, der Besinnung. So wie man aus einer S-Bahn aussteigen kann, die in den Höllenrachen führt, so hat der Mensch die Möglichkeit, auszusteigen und die Fahrtrichtung zu wechseln. Auf der Fahrt abwärts fällt das zunehmend schwerer. Die rasende Fahrt und das Dröhnen nehmen zu, die Besinnungslosigkeit wird mächtiger und mächtiger. 
Wir finden auch auf den Stationen Seelen, die es geschafft haben auszusteigen aus dem nach unten rasenden Zug und sich in einem erbärmlichen Zustand befinden, auch deshalb, weil sie nicht die Kraft haben, allein in den Zug nach oben zu gelangen. Deshalb sind die Papstworte des heutigen Angelus-Gebetes so wichtig: Es bedarf der Barmherzigkeit, eines barmherzigen Menschen, der den Schwachen auf die Beine zieht und ans richtige Gleis bringt, ihn stützt und in den Zug führt.

Kain und Abel spiegeln die Seelenstruktur des Menschen wieder. Niemand ist nur Kain, niemand ist nur Abel. Wir haben alle beides in uns. Und von allem beiden viele Facetten. Selbst Mutter Theresa oder Gandhi, Albert Schweitzer oder die Heiligen sind hier keine Ausnahme.

Lediglich Jesus, Maria, Buddha, Zarathustra und der ein oder andere noch haben in reiner Liebe gelebt. Für Maria wäre ansonsten die sogenannte Jungfrauengeburt nicht möglich gewesen; sie hat meines Erachtens durchaus körperlich ihren Joseph geliebt, aber in reiner Liebe – dafür verwendet die Bibel die Metapher Jungfrauengeburt.

Die Aufgabe dieser Menschen war es, Wege zu bahnen, damit aus einem Bodhisattva, der vielleicht auch einmal ein Mörder war, ein Buddha werden kann, aus einem, der das Kreuz trägt und gekreuzigt wird, ein Auferstandener, aus einem, der das Kreuz nur vom Wahlzettel her kennt, einer wird, der ahnt, dass es nicht darum geht, ein Kreuz zu machen, sondern Kreuzritter im und für den Kampf um die eigene LIebe zu werden und zu sein.

Selbst aber der, der bewusst das Kreuz trägt, wird immer wieder auf seine Kains-Natur zurückgeworfen werden, zumal aus unseren vielen Leben uns Programme angeheftet sind, die wir ablösen müssen.

Die Augen vor unserer Kains-Natur zuzumachen, kann bedeuten, dass wir im Zug nach unten sitzen und es nicht merken, weil wir denken, wir fahren ja, allerdings nicht bemerken, nicht sehen, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind.

Etwas mag sehr tröstlich sein: Das Kains-Merkmal ist kein göttliches Verdikt auf der Stirn. Kain hatte es ja bekommen, weil er voller Angst war, dass andere Menschen, die auf der Erde leben, von seiner Untat wissen und ihn umbringen.

Mit dieser Angst wandte er sich an Gott.

Und dieser schützte ihn durch dieses Mal. Keiner darf Hand anlegen an Kain!

Das ist auch, was gegen alle Todesstrafe spricht. Auch ein Mörder ist geschützt – durch Gott.

Niemand darf Hand an ihn legen.

Für uns gilt es, unsere Kains-Natur zu respektieren. Sie gehört zu unserem Mensch-Sein.


Deshalb lautet das berühmte Bibelwort Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst auch, von manchem Theologen so übersetzt:

Liebe Deinen Nächsten, er ist wie Du.

In dieser Kain- und Abel-Natur sind wir, Gottes Kinder, alle gleich.

In der Tatsache, wie sie mit beiden Naturen umgehen, können Menschen sehr unterschiedlich sein.

Freitag, 8. März 2013

Der Mann muss hinaus / Ins feindliche Leben, / Muss wirken und streben / Und pflanzen und schaffen ...


Das waren noch Zeiten, wo alles so in Ordnung war. Der Mann war der Jäger, die Frau war die Bewahrerin des Feuers. Sie bewunderte ihn, wie er auszog, um mit Bären und Feinden zu kämpfen; und wenn er nach Hause kam, durfte sie ihm die Pantoffeln bringen.

Sie war fürs Emotionale zuständig, er für den Rest.

Natürlich war der Rest wichtiger als die Emotionen.

Die waren allerdings bei dem Mann Schiller in seinem Lied von der Glocke (siehe Posttitel) durchaus da, auch, wenn man liest, wie liebevoll Wilhelm Tell im gleichnamigen Schauspiel mit seinem Kind Walther umgeht und mit seiner Frau Hedwig. 

Und schließlich ist einer der schönsten Sätze in puncto Emotionen und Liebe jener, als sich die Königstochter in Der Taucher über den Abgrund beugt, den Edelknappen wieder aus den Tiefen hochersehnt und es heißt:

Da bückt sich’s hinunter mit liebendem Blick

Leider vergeblich, aber in jenem eben zitierten Satz, in einem einzigen Satz also, kommt so viel Liebe zum Ausdruck, finde ich.
Leider schließt die Ballade:


Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

Jedenfalls spricht Schiller in Der Gocke sogar von einer heiligen Ordnung:


Heilge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau begründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesellgen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!



Damals gab es eben auch noch die heilige Ordnung der Familie, wie es sie heute selten noch gibt.
Manche sehen das als Verlust an, nicht bedenkend, dass sie auf ganz alten Rollenbildern basiert, wie sie in Schillers Gedicht Würde der Frau in Bezug auf den Mann zum Ausdruck kommt


  Ewig aus der Wahrheit Schranken
  Schweift des Mannes wilde Kraft;
  Unstät treiben die Gedanken
  Auf dem Meer der Leidenschaft;
  Gierig greift er in die Ferne,
  Nimmer wird sein Herz gestillt;
  Rastlos durch entlegne Sterne
  Jagt er seines Traumes Bild.

 ( . . . )  
Feindlich ist des Mannes Streben,
Mit zermalmender Gewalt
Geht der wilde durch das Leben,
Ohne Rast und Aufenthalt.
Was er schuf, zerstört er wieder,
Nimmer ruht der Wünsche Streit,
Nimmer, wie das Haupt der Hyder
Ewig fällt und sich erneut.

Die Zeiten haben sich geändert, 200 Jahre, nachdem Schiller seine Gedichte verfasste, stehen wir mitten im Umbruch, einem Umbruch, der zwingend notwendig ist, unter anderem auch für unsere Kinder (dazu hier mehr).
Oder hat nicht der Mann, die männliche Seite des Lebens, in der Tat oft zerstört, was er bzw. sie geschaffen haben?

Eine Gesellschaft wird dem Mann nicht Pfeil und Bogen aus der Hand nehmen können. Das ist genetisch implimentiert. Wie sagte im Fernsehen ein Wissenschaftler sinngemäß, indem er auf entsprechende Untersuchungen verwies: Geben Sie einem kleinen Jungen Puppen, und er macht daraus Wurfgeschosse. Geben Sie einem kleinen Mädchen Bagger und es badet sie, wickelt sie.

Es gilt, kurz gefasst, Wege zu finden, wie in unserer Gesellschaft beide Geschlechter ihre genetischen Muster leben können, aber nicht auf Kosten des anderen Geschlechts, wie das in der Vergangenheit oft auf Kosten der Frauen geschehen ist.

Wenn man weder Mann noch Frau in Zwangsjacken steckt, gar aus dem Mann einen Softie und aus der Frau eine Hembrista machen will, können beide Muster, beide Geschlechter sich aufeinander zubewegen – mit und in vollem Bewusstsein, weil sie sich die Freiheit zugestehen, sein zu dürfen, wie sie sind, und wie sie gegebenenfalls sein wollen, um auch in einer Beziehung glücklich zu sein, in Respekt vor dem Anderen. Auf diesem Weg befindet sich unsere Gesellschaft. 

Betrachten wir die genetischen Muster nicht als Bürde. Sie entsprechen unterschiedlichen Seinsweisen, die es Gott sei Dank gibt, wäre es doch schrecklich, wenn es nur Männer oder nur Frauen gäbe. 

Beide Seinsweisen waren die Grundlage für unser heutiges Sein. Durch Sie sind wir dahin gekommen, wo wir heute sind. Und unser Sein heute ist Voraussetzung für weitere Entwicklungsschritte.
Immerhin machen wir uns über die Rollenmuster und unterschiedliche Seinsweisen intensiv Gedanken, und nicht nur Gedanken: Wir probieren aus, gehen  weiter alte Trampelpfade, doch vielfach auch neue Wege. Wie wir wollen.

Nun gilt es, weitere wichtige Entwicklungsschritte zu machen, gerade auch deshalb, damit Kinder nicht mehr zu einem Verhalten, wie ich es in obigem Link mit Hilfe von Hans Jellouschek angesprpochen habe, zwangsverpflichtet werden.

Donnerstag, 7. März 2013

Verliebtsein findet im Bauch statt, die Liebe im Herzen! – Wie aus einem Strohfeuer ein Feuer wird.

In Hans Jellouscheks Buch Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe habe ich unlängst einen klasse Satz gefunden, als dieser bekannte Paartherapeut sich die Frage stellte: Partnerliebe - was ist das?

Da schreibt er:
"Die Liebe zwischen Mann und Frau ist nicht gleichzusetzen mit Verliebtheit", um wenige Zeilen später zu formulieren:

Wer "verliebt in die Liebe" ist und an der Verliebtheit als Ideal festhält, der muß entweder resignieren oder aber immer wieder neue Beziehungen anfangen - um den "Zauber des Anfangs" zu erleben, allerdings um den Preis, daß er vielen Menschen Leid zufügt und schließlich als Einsamer endet.


Das ist erkenntnisreich und wichtig und ließ mich eben - wie im Posttitel schon angedeutet - darüber nachsinnen, ob Verliebtheit auch eine Herzensangelegenheit ist.
Erstmal identifizieren wir Verliebtheit mit den berühmten Schmetterlingen im Bauch.
Der Bauch ist der Sitz der Emotionen, der Gefühle, flacher und tiefer.

Ob aber das Bauchgefühl eine Herzensangelegenheit wird, das, darauf weist Jellouschek hin, hängt mit der Bereitschaft zusammen, Arbeit zu leisten, Beziehungs-Arbeit.

Wer ernten will, muss pflanzen, dafür ein Loch budeln, eines, das tief genug ist, muss düngen, wässern, den Baum beschneiden, vielleicht Äste abstützen, um eine Pflanze das Erdreich lockern und Unkraut jäten.
Wer immer nur ernten will, wird feststellen, dass seine Pflanzen, seine Bäume verkommen.
Ein Gärtner weiß, warum gerade ihm seine Früchte, seine Ernte schmeckt ...
Wenn er einen Apfel seines Apfelbaumes ist, glaubt er ihn zu kennen; nein wirklich: Er kennt ihn.

In der Beziehung meint das die Bereitschaft, für sie zu arbeiten und auch durch Krisen zu gehen, immer mit dem Risiko zu scheitern. 
Aber ohne Arbeit, ohne Krisen geht es nicht.

"Krisen bringen unsere Beziehung zwar in Gefahr, aber die Kehrseite der Gefahr ist fast immer eine Chance: Richtig genutzt, werden sie häufig zu Wachstums-Krisen, in denen die Liebe der Partner heranreift und erwachsen wird. Durch Krisen brechen wir aus eingefahrenen Gewohnheiten aus, in Krisen entdecken wir neue Fähigkeiten an uns und am Partner, Krisen eröffnen uns neue Möglichkeiten des Zusammenlebens."

Eine Beziehungskrise ist "ein Hinweis darauf, daß ein weiterer Schritt der gemeinsamen und individuellen Entwicklung dran ist."


Gerade den letzten Satz finde ich genial, weil er auch all denen Mut machen kann, die durch ein Tal der Tränen durchmüssen.

Das alles ist weit von Verliebtsein entfernt.
Gewiss ist Verliebtsein mehr als ein Strohfeuer. Aber es gewinnt diesen Charakter, wenn das aufflammende Feuer keine Nahrung erhält. Jellouschek jedenfalls ist im Hinblick auf die Arbeit im Garten der Liebe der Meinung:

Es entsteht eine Tiefe von Verbundenheit und Nähe, die tausend kurzfristigere Liebesabenteuer nicht aufwiegen können, auch wenn sie noch so heftig sind.


Deshalb kommt er zu einer Definition von Liebe, die lautet:



Liebe heißt, eine gemeinsame Geschichte haben.

Feuer der Liebe