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Samstag, 20. April 2013

Hütet euch vor Sarumans Stimme! – Über die Enttarnung eines Blenders in Tolkiens "Herr der Ringe"

"Unsere Gelüste, unsere Launen, unsere heimlichen Laster und selbst unsere sorgsamst gehüteten Gedanken übertrugen sich auf den Klang unserer Stimme, wurden offenbar in ihrer Modulation, in ihrem Rhythmus."

Nicht nur diese eben wiedergegebene Stelle, sondern die gesamten im letzten Post zitierten Aussagen Jacques Lusseyrans in Bezug auf das, was er in einer Stimme wahrzunehmen in der Lage ist, sind schon beeindruckend.

Der ein oder andere mag in seinem Bekannten- und Freundeskreis jemanden haben, der eine besonders angenehme Stimme hat. Manche angenehme Stimme hat allerdings etwas Aalglattes, Öliges, Salbungsvolles.

Mancher auch sonnt sich in seiner Stimme, von der er weiß, wie sie überzeugt. Und wenn man sich dafür sensibilsiert, darauf zu achten, ob eine Stimme stimmig ist, mag es einem auch zunehmend auffallen, wie es um sie bestellt ist.

Gegenüber zu schmeichelnd einschmeichelnden sanften Stimmen bin ich skeptisch geworden. Ich glaube, manches Mal hat der berühmte Wolf im Schafspelz Kreide gefressen wie der Wolf im bekannten Märchen der Gebrüder Grimm. 

Die Stimme kann der Schafspelz sein.

Wie eine Stimme wirkt und was sich oftmals dahinter verbergen mag, dafür gibt es ein hervorragendes Beispiel im zweiten Band des Herrn der Ringe. Die Ents und Huorns haben gerade die Schlacht um Isengard geschlagen und die Orks platt gemacht. Nur was sie hatten nicht verhindern können, war, dass der Oberschurke Saruman, einst ein Weiser, also in der Sprache Tolkiens ein Weißer, einer der Istari, sich in den Turm von Orthanc hatte zurückziehen können.


Leider war Saruman in früherer Zeit auf den Sog der Macht hereingefallen. Seine Machtgelüste hatten ihn dazu verführt, dass er den Einen Ring begehrte. Deshalb hatte er Isengard befestigt und dort Orks und Dunländer angesiedelt. Er begann Gandalf, dem großen Zauberer und Wissenden nachzuspionieren. Ohne dass er es merkte, wurde er aber von Sauron, der Dunklen Macht, gelenkt, wohl nicht damit rechnend, dass seine Dunkelheit noch überboten werden könne.


Durch seine Bauweise war jener Turm, in den sich Saruman nach der Einnahme Isengards zurückgezogen hatte, selbst für die riesigen Ents uneinnehmbar.


Gandalf, der mit König Theoden und seinen Reitern aus Rohan soeben im eroberten Isengard eingetroffen war und die ganze Arbeit, die die Ents geleistet hatten, hatte bewundern können, wollte noch einen Versuch machen, die Auseinandersetzung mit Saruman ohne weiteres Blutvergießen enden zu lassen. Doch kannte er die Gefahr, die von diesem ausging, weshalb er zu allen, die ihn zu dem Orthanc-Turm begleiten wollten, sagte:


"Hütet euch vor seiner Stimme!"

Gerade warteten sie vor dem Turm, als sie eine Stimme, leise und melodisch, allein durch den Klang schon betörend (vernahmen). Wer arglos dieser Stimme lauschte, wusste nachher meistens nicht mehr, was sie eigentlich gesagt hatte; erinnerte er sich aber, so wunderte es ihn, wie wenig Kraft die Worte allein noch besaßen. Die meisten wussten dann nur noch, dass es eine reine Freude gewesen war, diese Stimme anzuhören, und dass alles, was sie sagte, gerecht und vernünftig klang und im Zuhörer den Wunsch erweckte, durch rasche Zustimmung die eigene Klugheit zu beweisen. Was andere sagten, klang dagegen grob und ungeschlacht (...). 

Interessant, im Grunde aber beunruhigend, dass normale menschliche Stimmen so abgewertet werden gegenüber einer so einölenden Stimme. 
Gekonnt, wie hier Tolkien, der Verfasser des Herrn der Ringe, die Wirkung einer solchen darzustellen weiß.

Viele hielt allein der gegenwärtige Klang der Stimme im Bann, aber bei denen, die ganz von ihr bezwungen waren, wirkte der Zauber fort, wenn sie weit entfernt waren; und immer hatten sie dann diese leise Stimme im Ohr, die auf sie einredete und sie anspornte. Niemand aber blieb unberührt, und niemand konnte ohne Anstrengung des Willens und Geistes ihre Bitten und Befehle zurückweisen, solange ihr Herr sie noch in der Gewalt hatte. »Nun?«, fragte sie im Ton milden Vorwurfs. »Warum müsst ihr meine Ruhe stören? Wollt ihr mich denn bei Tag wie bei Nacht nicht in Frieden lassen?« Es klang nach gutherzigem Bekümmertsein durch unverdiente Kränkungen. 

Der Träger einer solchen Stimme weiß meistens geschickt mit Mitleid zu operieren. Und wer selbst gern selbstmitleidig ist, fällt auf diese Art von Selbstmitleid garantiert herein ...

Erstaunt blickten sie hinauf, denn sie hatten niemanden kommen gehört; und oben am Geländer stand nun einer und schaute auf sie herab, ein alter Mann in einem langen Mantel, dessen Farbe schwer zu bestimmen war, denn sie wechselte, wenn sie die Augen bewegten oder wenn er sich rührte. Er hatte ein langes Gesicht mit hoher Stirn und dunklen, tief liegenden Augen, deren Ausdruck kaum zu ergründen war, obwohl sie jetzt ernst und gütig und ein wenig müde dreinschauten. Haar und Bart waren weiß, doch mit manchen schwarzen Strähnen um Lippen und Ohren. (...)

Gütig und ein wenig müde ... ! – Übrigens sah dieser Saruman Gandalf ziemlich ähnlich. Das ist auch bezeichnend, das sind die Mittel, die das Dunkle einsetzt. Manchmal ist das Dunkle mit dem Lichten zum Verwechseln ähnlich. Da verraten nur einzelne dunkle Strähnen, wes Geistes Kind vor einem steht!

Gut, dass ein Zwerg es ist, der den dunklen Zauber durchschaut:

Gimli der Zwerg war es, der das Schweigen jäh brach. »Die Worte dieses Zauberers stehen kopf«, rief er, die Hand am Griff seiner Axt. »Helfen heißt verderben in der Sprache von Orthanc, und retten heißt töten, so viel ist klar. Doch wir sind nicht hier, um zu betteln.«

»Bitte!«, sagte Saruman, und für einen Moment war seine Stimme nicht mehr ganz so einschmeichelnd, und in seinen Augen flackerte ein Funke auf und verschwand wieder. »Noch rede ich nicht mit dir, Gimli Glóinssohn«, sagte er. »Fern von hier liegt deine Heimat, und wenig kümmern dich dieses Landes Nöte. Doch nicht aus eigener Absicht wurdest du in sie hineingezogen, und darum will ich dir nicht zum Vorwurf machen, welche Rolle du darin gespielt hast - eine wackere Rolle, wie ich nicht bezweifle. Aber sei so gut und lass mich zuerst mit dem König von Rohan reden, meinem Nachbarn, der einst mein Freund war.

Was habt Ihr zu sagen, König Theoden? Wollt Ihr nicht Frieden mit mir schließen und all die Hilfe empfangen, die mein in langen Jahren begründetes Wissen gewähren kann? Sollen wir nicht gemeinsam Rat halten. wie die bösen Zeiten zu überstehen sind, und einander mit so viel gutern Willen Schadenersatz leisten, dass unsere Länder eins wie das andere schöner erblühen denn je?«

Theoden gab noch immer keine Antwort. Ob es Zorn oder Zweifel war, was ihm die Zunge lahmte, konnte niemand sagen. Eomer nahm das Wort. 


»Hört mich an, Gebieter!«, sagte er. »Jetzt spüren wir die Gefahr, vor der wir gewarnt wurden. Sind wir als Sieger hierher geritten, nur um uns von einem alten Lügner mit Honig auf seiner gespaltenen Zunge beirren zujassen? So wie er spräche der Wolf in der Falle mit den Hunden, wenr er's könnte. Welche Hilfe kann er Euch denn überhaupt leisten? Er will! nur eins: sich aus seiner erbärmlichen Lage herauswinden. Aber wollt Ihr feilschen mit einem, der nichts zu bieten hat als Mord und Verrat? Denk an Théodreds Tod an der Furt und an Hamas Grab in Helms Klamm!«

»Wenn wir schon von giftigen Zungen reden, was wäre dann von deiner zu sagen, du junge Schlange?« sagte Saruman, nun unüberhörbar erbost. »Doch lass gut sein, Éomer, Éomunds Sohn!«, fuhr er fort, wieder in den besänftigenden Ton zurückfindend. »Jedem das Seine. Dein ist das Waffenhandwerk, und damit erlangst du hohe Ehren. Schlage tot, wer deinen König Feind nennt, und damit gib dich zufrieden! Mische dich nicht in die Staatsgeschäfte ein, von denen du nichts verstehst! Doch vielleicht, solltest du einst König werden, wirst du erkennen, dass du deine Freunde mit Bedacht wählen musst. Sarumans Freundschaft und Orthancs Macht sind nicht leichthin zu verwerfen, was man auch für Beschwerden, ob begründet oder nicht, gegen sie erheben mag. Ihr habt eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg - und selbst die Schlacht nur dank einer Hilfe, auf die ihr ein zweites Mal nicht zählen könnt. Vielleicht findet Ihr den Schatten des Waldes demnächst vor der eigenen Tür: Er ist störrisch und unverständig und den Menschen nicht wohlgesinnt. 

Aber, König von Rohan, muss ich mich einen Mörder schimpfen lassen, weil wackre Männer im Kampf gefallen sind? Wenn Ihr ins Feld zieht, unnötigerweise, denn ich wollte keinen Krieg, werden Männer erschlagen. Bin ich aber deshalb ein Mörder, so ist Eorls ganzes Haus mit dem gleichen Makel behaftet; denn viele Kriege habt ihr geführt, in denen ihr oft auch die Angreifer wart, wenn man euch trotzte. Doch mit manchen Feinden habt Ihr nachher Frieden geschlossen - nicht zu Eurem Nachteil, denn die Staatsklugheit gebot es. Ich sage Euch, König Theoden: Sollen (229) wir nicht Frieden und Freundschaft halten, Ihr und ich? Nur wir haben darüber zu befinden!« 


»Wir werden Frieden haben«, sagte Theoden endlich, mühsam und mit belegter Stimme. Mehrere Reiter brachen in Freudengeschrei aus. Theoden hob die Hand. »Ja, wir werden Frieden haben«, sagte er, nun mit klarer Stimme. »Wir werden Frieden haben, wenn du mitsamt all deinen Werken vernichtet bist - und ebenso die Werke deines dunklen Gebieters, dem du uns ausliefern möchtest. Ein Lügner bist du, Saruman, und ein Verführer der Menschenherzen. Du streckst mir die Hand hin, und ich bemerke, dass sie nur ein Finger der Klaue Mordors ist. Grausam und kalt. Wäre dein Krieg gegen micn selbst ein gerechter Krieg - was er nicht war, denn auch, wenn du zehnmal so weise wärest, hättest du kein Recht, mich und mein Volk, wie du es wünschtest, zu deinem Nutzen zu regieren -, aber selbst dann, was sagst du zu den Bränden, die in der Westfold gelegt, und den Kindern, die dort getötet wurden? Und Hamas Leib haben deine Leute vor dem Tor der Hornburg zerhackt, als er schon tot war. Erst wenn du vor deinem Fenster am Galgen baumelst, deinen Krähen zum Fraß, dann werde ich mit dir und Orthanc Frieden haben. So stehst du mit dem Haus Eorl. Nur ein minderer Sohn großer Ahnen bin ich, hab es aber doch nicht nötig, dir die Hand zu lecken. Betöre andere! Aber ich fürchte, deine Stimme hat ihre Zauberkraft eingebüßt.«

Unglaublich geschickt, wie Saruman vorgeht. Er versteht es, des ein oder anderen Aussage zu entwerten, er operiert nach wie vor mit Ängsten, die er geschickt im Inneren des Gegenüber lanciert, und er lässt leise, aber gekonnt, versteckte Drohungen einfließen. Da sind sogar die Reiter des Königs beeinflusst, und wie:


Die Reiter starrten zu Theoden hinauf wie Menschen, die aus einem Traum gerissen werden. Rau wie das Gekrächz eines alten Raben klang ihnen nach Sarumans Gesäusel die Stimme ihres Königs im Ohr. Doch fürs Erste war Saruman nun außer sich vor Zorn. Er beugte sich übers Geländer, als wollte er auf den König mit seinem Stab einschlagen. Manche glaubten für einen Augenblick eine Schlange zu sehen, die sich vor dem Ansprung zusammenrollt. 

»Galgen und Krähen!« zischte er, und die Veränderung war so erschreckend, dass es ihnen kalt über den Rücken lief.

Als Saruman die Wahrheit hört, fällt er zunehmend aus der Rolle und sein wahres Gesicht, eine hässliche Fratze, die nur auf Mord und Totschlag und Machtgewinn aus ist, zeigt sich mehr und mehr.
Doch wird eben gerade an den Reitern deutlich, wie sie in Gefahr waren, auf seine Stimme hereinzufallen nach dem Motto: Eine solch angenehme Stimme kann doch keinen schlechten Menschen verbergen ... man tut dem Armen Unrecht. Guckt doch mal, wie er leidet ... – und wie ihnen auf einmal die eigentlich doch vertraute Stimme ihres Königs vorkam! Wie das Gekrächz eines alten Raben!
Unglaublich, die Wirkung von Sarumans Stimme. 
Was wäre geschehen, wenn Gandalf sie nicht von vornherein enttarnt hätte, alle gewarnt hätte? 

Ich glaube, es gilt, der Stimme der Menschen mehr Bedeutung zuzumessen, die entsprechenden Sinne  zu schärfen und genau hinzuhören, denn es gibt mehr Sirenen, deren Opfer auch Odysseus geworden wäre, wenn er nicht dem Rat Circes gefolgt wäre, als wir denken, und es gibt nicht nur eine einzige Loreley, die den Fischer mit Hilfe ihrer Stimme ins nasse Grab zu schicken wusste, genauso wie es nicht nur einen Saruman gab und gibt, sondern zu allen Zeiten tauchen sie auf.

Gewiss aber gibt es auch Menschen, die wirklich eine wohltönende Stimme haben, die innere Stimmigkeit spiegelt.


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