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Freitag, 17. Mai 2013

Es ist umsonst, wenn wir von einer Wildnis träumen, die in der Ferne liegt.


Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich
, meint Faust, als er den Bettvorhang von Gretchens Bett anhebt und er möchte nichts lieber, als mit Gretchen in dieser Hütte leben. Hütte, das wissen wir, ist ein Synonym von gelebter Bürgerlichkeit im ganz und gar nicht abwertenden Sinne.

Und doch weiß Faust, dass eine wesentliche Seite seines Wesens das Unbehaust-Sein ist:

Was ist die Himmelsfreud in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl ich nicht immer ihre Not?
Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste,
Begierig wütend nach dem Abgrund zu?
Der Steppenwolf Harry Haller, einer, der ja auch überhaupt nicht zur Ruhe kommt, sitzt im Treppenhaus des Hauses, in dem er eine Dachgeschosswohnung bezogen hat, und riecht das Bohnerwachs, das in ihm eine bürgerliche Heimatwelt wachruft, die ihm doch so fehlt. Man hat fast den Eindruck, dass er am liebsten selbst zum Bohnerwachs werden möchte oder in die Aurakarie schlüpfen, die auf dem Treppenabsatz steht.

Und doch möchte mancher wie jener Mann in Udo Jürgens Lied am liebsten nach New York, zu sehr ist der häusliche Herd zum seelenlosen Fernseher mutiert.

Reisen deshalb viele oft so weit und so regelmäßig in den Urlaub, um sich das Gefühl zu geben, dass sie unterwegs sind?

In Max Frischs Graf Öderland versteht auf einmal ein Staatsanwalt, der einen Mörder anklagen muss, wie dieser zur Axt greifen konnte, weil er ausbrechen musste. Der Staatsanwalt wird ausbrechen, in die Wälder gehen.

Doch Henry David Thoreau weiß:

Es ist umsonst, wenn wir von einer Wildnis träumen, die in der Ferne liegt. So etwas gibt es nicht. Der Sumpf in unserem Kopf und Bauch, die Urkraft der Natur in uns, das ist es, was uns diese Urkraft eingibt. 
Spüren wir diese Urkraft?

Thoreau schreibt:

Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzukommen, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, das ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kostbar.



Wie werden wir der Kostbarkeit des Lebens gerecht, seiner Wildnis, seinem Chaos, und zugleich jener Kapelle in uns, die doch nur von uns selbst bewohnt sein kann?

Wie werden wir der Hütte und der Wildnis gerecht?
Wirklich gibt es das eine nicht ohne das Andere.
Sonst ist das eine wie das Andere nicht, was es zu sein vorgibt.

Wer immer strebend sich bemüht, / den können wir erlösen.

wissen am Schluss des Faust II die Engel, die Fausts Leichnam in höhere Sphären bringen.

Ohne Streben, ohne Unterwegs-Sein geht es nicht.

Vielleicht muss das Unterwegs-Sein uns zur Heimat werden, Heimat sein.

Damit wir unsere Heimat finden.

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