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Donnerstag, 13. Juni 2013

Ein Posten ist vakant! – Die Wunden klaffen ... Heinrich Heines bewegendes Gedicht aus seiner Matratzengruft.


Dass er einer meiner Lieblingsdichter sei, hätte Heinrich Heine (1797-1856) sich verbeten. Ein Lieblingsdichter wollte er, der Menschen zuallermeist, schon allein wegen seines zunehmenden Nervenleidens auf Distanz halten musste, gewiss nicht sein. Sein Krankenzimmer nannte er selbst Matratzengruft, hier hörte man meist keinen Laut; Heine ertrug das Gerassel der Kutschen, Handwerkergeräusche, Gezänk oder Klavierspiel kaum. Mit geschlossen Augen schrieb er gegen Ende auf Folio-Bogen. In eine offen gehaltene Wunde im Nacken wurde jeden Morgen eine Dosis Morphium gestreut, um die Schmerzen erträglich zu halten. 
Was Heine genau hatte, weiß man letztendlich nicht. Seine Krankheit zog sich über 30 Jahre und wurde zunehmend zu einem fast unerträglichen Siechtum. 
Aufgrund seiner eigenen Bemerkungen lässt sich vermuten, dass er, der schon in seiner Jugend zweimal an Syphilis erkrankt war - sicherlich auch Folge seiner recht häufigen Bordell-Besuche -, dieser Krankheit endgültig Tribut zollen musste.
Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass Heinrich Heine einer Bleivergiftung zum Opfer fiel.

Vermutlich im Sommer 1849 entstand eines seiner für mich beeindruckendsten Gedichte aus seinem Lazarus-Zyklus.

Es ist überschrieben mit Enfant Perdu. Doch nie ist in ihm von diesem Tatbestand die Rede. Das Gedicht in seinem fünfhebigen Jambus ist voller Emotionalität und berichtet von dem Kampf eines Menschen auf seinem Posten, den dieser selbst - natürlich mag man Heine in seinem Pariser Exil in ihm finden - als verloren bezeichnet; dennoch bezeichnet er sich als unbesiegt.

Heine wäre nicht Heine, wenn ihm nicht auch im Rahmen dieses Gedichtes ein Kunstgriff gelänge, nämlich durch den Tempuswechsel in drei Zeilen der letzten Strophe im Grunde seinen eigenen Tod vorwegzunehmen.
Uns Lebenden möge dieses Gedicht, das zu den großartigen Schätzen unserer Kultur und Literatur zählt, eine Mahnung sein, auch zu kämpfen, mit Mut und Durchhaltevermögen, aber auch das enfant perdu zur Sprache zu bringen, da wo dies der Fall ist: in uns und in unserer Gesellschaft.


Enfant Perdu

Verlorner Posten in dem Freiheitskriege,
Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.
Ich kämpfe ohne Hoffnung, dass ich siege,
Ich wusste, nie komm ich gesund nach Haus.

Ich wachte Tag und Nacht - Ich konnt nicht schlafen,
Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar -
(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven
Mich wach, wenn ich ein bisschen schlummrig war).

In jenen Nächten hat Langweil' ergriffen
Mich oft, auch Furcht - (nur Narren fürchten nichts) -
Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen
Die frechen Reime eines Spottgedichts.

Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,
Und nahte irgendein verdächt'ger Gauch,
So schoss ich gut und jagt ihm eine warme,
Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.

Mitunter freilich mocht es sich ereignen.
Dass solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut
Zu schießen wusste - ach, ich kann's nicht leugnen -
Die Wunden klaffen - es verströmt mein Blut.

Ein Posten ist vakant! - Die Wunden klaffen -
Der eine fällt, die andern rücken nach -
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen - nur mein Herze brach.


Heine, der so viel über religiöses Gebaren spottete und sich gern über bigotte Christlichkeit mokierte ("Und fehlt der Pfaffensegen dabei, / Die Ehe wird gültig nicht minder -"), schrieb in Paragraph 7 seines Testamentes:

Seit vier Jahren habe ich allem philosophischen Stolze entsagt und bin zu religiösen Ideen und Gefühlen zurückgekehrt; ich sterbe im Glauben an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der Welt, dessen Erbarmen ich anflehe für meine unsterbliche Seele.

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