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Sonntag, 28. Juli 2013

Berufen, um Namen zu geben. Was Michael Ende in der "Unendlichen Geschichte" lehrt: Jeder muss selbst seine Kindliche Kaiserin retten!


Die Adamssöhne, so nennt man mit Recht
die Bewohner des irdischen Ortes,
die Evastöchter, das Menschengeschlecht,
Blutsbrüder des Wirklichen Wortes.
Sie alle haben seit Anbeginn
die Gabe Namen zu geben.
Sie brachten der kindlichen Kaiserin
zu allen Zeiten das Leben.
Sie schenkten ihr neue und herrliche Namen,
doch ist es schon lange her,
dass Menschen zu uns nach Phantasien kamen.
Sie wissen den Weg nicht mehr.
Sie haben vergessen, wie wirklich wir sind,
und sie glauben nicht mehr daran.
Ach, käme ein einziges Menschenkind.
dann wäre schon alles getan!
Ach, wäre nur eines zu glauben bereit
und hätte den Ruf nur vernommen!
Für sie ist es nah, doch für uns ist es weit,
zu weit, um zu ihnen zu kommen.
Denn jenseits Phantásiens ist ihre Welt,
und dorthin können wir nicht -
doch wirst du behalten, mein junger Held,
was Uyulala da spricht?«


Jedes Mal, wenn ich "Die Unendliche Geschichte" lese, bin ich tief berührt. Gerade habe ich noch einmal Atréjus Weg durch die drei Tore, das Große Rätsel Tor, das Zauber Spiegel Tor, das Ohne Schlüssel Tor gelesen.
Es sind dem Weg der Großen Arcana des Tarot vergleichbare seelische Entwicklungsstufen des Menschen; zugleich sind es Prüfungen.

Unglaublich, wie wahrhaftig Michael Ende sie gestaltet. Wir wissen ja, dass er selbst diese Stufen ging, dass er selbst mit seinen Helden in ausweglose Situationen geriet, dass er selbst um Lösungen rang ...
Er war, wie Goethe und nicht wenige andere Schriftsteller, ein sicherlich sehr hellfühliger Mensch.

Ich bin auf meinem Methusalem-Blog (> Link) auf die drei Prüfungen eingegangen und auf die Stimme der Stille, die sich Atréju im Anschluss an den Durchgang durch die drei Tore offenbart.
Wohl dem, der die Prüfungen durchlaufen darf, ohne gleich zu Beginn von den Sphinxen zurückgewiesen, ja getötet zu werden.

Jener Text oben stammt von Uyulála, der Stimme der Stille.

Und auch hier wird deutlich, wie viel dem Bewusstsein von Michael Ende offenbar ist.

In der Tat hat in der Schöpfungsgeschichte der Bibel der Mensch den Tieren Namen gegeben; es war ihm vorbehalten, dem Menschen, in der Bibel als Ebenbild Gottes bezeichnet.

Namen geben zu dürfen ist ein heiliger Akt, sicherlich einer der heiligsten, die es gibt.
Er wiederholt sich in der Namensgebung der Eltern für ihre Kinder; auch das ist eine heilige Aufgabe, wie sehr, ist vielen nicht bewusst.
Und wie wichtig ist es, Namen nicht abzukürzen, enthalten sie doch die Lebensenergie eines Menschen.

Uyulála klagt, und ihre Klage ist herzzereißend, denn es droht das Ende, das große NICHTS. Sie weiß, wie es um die Menschen bestellt ist, die den Weg nach Phantásien nicht mehr wissen.

Es ist der Weg zum Herzen, zum eigenen, denn die Kindliche Kaiserin ist niemand anderes als das göttliche Kind unseres Herzens.

Mein Wunsch in diesen Tagen: Mögen viele von uns wieder nach Phantásien gelangen.

Eine Voraussetzung nennen Michael Ende und Uyulála ganz deutlich:
Der Mensch, der dies erreichen will, muss glauben können:

Ach, wäre nur eines zu glauben bereit ...

Glauben-Können ist die Voraussetzung, um den Ruf vernehmen zu können, den Ruf des Herzens ...

Glauben ist kein Relikt nostalgischer Zeiten und reduzierter Bewusstseinsstufen. Glauben geht dem Wissen voraus: Wenn wir auf Schildern den Weg sehen, den wir gehen wollen, glauben wir, dass wir den Schildern vertrauen können. Ob unser Vertrauen berechtig ist, wissen wir oft erst sehr spät. So lange glauben wir.

Mancher glaubt, dass mit dem Tod alles vorbei ist.
Mancher glaubt, dass es ein Leben nach dem Leben gibt.
Wissen tun wir das relativ spät.
Doch unser Glaube bestimmt, auf welchen Bewusstseinsebenen wir suchend unterwegs sind.

Deshalb ist Glaube nicht ganz so unwichtig, wie viele glauben machen wollen, solange den meisten menschlichen Seelen durch Jahrhunderte materiell-orientierten Denkens die Sicht auf Wahrheiten, wie sie Menschen früherer Zeiten noch zugänglich waren, verstellt ist - eine Blendung, die, wie mir scheint, sich langsam aufzulösen beginnt. Dann kann Glaube wieder in inneres Wissen übergehen.

PS Nachtrag am 30.12. 2015

Was ich in diesem Post nicht erwähnt habe, was aber wichtig ist:

Natürlich muss Bastian, müssen wir alle wieder zurück in unsere Realität, um Phantásien mit ihr zu verbinden.
Bastian will ja - es gibt auch ein phantásisches Ego - nicht mehr zurück, macht sich zum Kaiser von Phantásien und überwirft sich mit Atréju und Fuchur. Das ist eine große Gefahr, in der Menschen durchaus steckenbleiben können. Es sind unter anderem die, die alles nur in Licht und Liebe sehen wollen. Doch gilt es zu erkennen, dass es auch in uns Licht und Finsternis gibt - und letztere nicht zu knapp.

Wenn man diese Tatsache nicht nur mit dem Verstand, sondern mit ganzer Seele begreift, dann kann man auch die Worte Davids in Psalm 139 wirklich verstehen:
Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir und die Nacht leuchtet wir der Tag.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke !

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Ich bedanke mich für das "Danke" :-)