Seiten

Freitag, 2. Mai 2014

. . . als er dich untern Mantel küsste . . .


Am kommenden Montag jährt sich zum ersten Mal der Todestag Sarah Kirschs, einer Frau, deren Gedichte ihre Leser und Hörer immer bewegt haben. In ihren Worten wurde das Wort zur Instanz. Jedes Bild atmete Prägnanz und eine Art von Ausdruckskraft, wie sie zu haben nur wenigen Lyrikern vergönnt war und ist.

Wir denken an die Weide, Realität und Bild zugleich, unter der eine vielleicht junge Frau steht und auf einen Liebhaber bzw. ihren Geliebten wartet, der, verheiratet, womöglich seiner Frau nicht entkommen kann.

Diese Weide, eine ungekämmte Alte blattlos, die sich zwar wiegen kann, aber vor allem knarrt und unkt, kann - personifiziert - reden.

Wir finden obige Frau mit ihr in einem Dialog, der nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet ist. Nein, wann und wo die direkten Reden jeweils beginnen, das muss der Leser sich schon genauer anschauen, und es ist ratsam, das mit dem Gedicht eh zu tun, sonst liest man womöglich über einen Schluss hinweg, der zu den bemerkenswertesten Gedichtschlüssen gehören mag, die es gibt - für mich ist das jedenfalls der Fall. 

Er erzählt von einer Liebe, die bereit ist, darauf zu verzichten, sie zu leben, nur um die Möglichkeit offen zu halten, dass der Geliebte lebt. 
Das kann nur Lyrik, so möchte ich fast wagen zu sagen: auf diese Weise von wahrer Liebe zu reden.

Dieses Gedicht, überschrieben Bei den weißen Stiefmütterchen - kein Zufall, dass Sarah Kirsch diese Blumen wählt: Die ganze erste Zeile ist ja mit diesem Adverbial des Ortes und sie zu nennen beschäftigt - wurde ursprünglich im Gedichtband Landaufenthalt bei Langewiesche-Brandt veröffentlicht und ist heute in dieser Ausgabe bei DVA verlegt:

Bei den weißen Stiefmütterchen
Liebe Leser,

leider darf ich das Gedicht nicht ins Netz stellen.
Der Verlag müsste die Genehmigung des Rechtsnachfolgers der Autorin einholen, verbunden mit 50 €.
Schade.
Ich glaube, dass Sarah Kirsch sich gefreut hätte, wenn ihr Gedicht Leser findet, und uns alle vereint doch eigentlich das Interesse und die Freude an Literatur.
Es sind die gesetzlichen Regelungen, die das verhindern, aber dass sie so sind, dass man spontan nicht mehr ein Gedicht zu Ehren eines Autors veröffentlichen kann ... wie gesagt: schade.

 ups: Gerade habe ich es hier im Netz gefunden :-)

Man mag diese Weide als Teil der Geliebten sehen. 
Es ist jener, der in ihr unkt und schwarz sieht. 
Mit ihm haben wir uns immer auseinanderzusetzen, auch in unseren Lieben, vielleicht erst - wie die wartende Frau -, indem wir zu allen Möglichkeiten und Erklärungen greifen, um verstehen zu wollen, was Liebe so mit sich bringt, warum zum Beispiel der Geliebte nicht kommt, seien es ein Fußbruch, eine Gräte, eine Straßenverlegung . . .
Dann aber, um zu jener Liebe zu finden, die als Schatz sich in allen möglichen Weisen der Liebe offenbaren möchte.

Danke, Sarah Kirsch, für diese Zeilen, diesen Schatz.

Keine Kommentare: