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Donnerstag, 29. Mai 2014

Zu Himmelfahrt: Wer wüchse nicht gern mit einem Engel auf . . .

Im Kindergarten könnte noch Platz für ihn sein . . .
. . .  wo auch sonst?


✣   ✣   ✣

Engel 
Ich sah einen er kam im Taxi der Vordersitz
war flachgelegt so hatte er Platz
man hob ihn heraus vor dem kleinen Fischgeschäft
geleitete ihn in einen geschorenen Garten
da stand er ernst in der Luft überragte
die ihn stützten seine Augen erreichte nichts
die Kleider waren verblaßt Goldreste
überzogen die Brust er war ohne Flügel
seine Führer lehnten ihn an einen Karren
blockierten zuvor die Räder damit er
nicht ins Gleiten käme sich etwa zerschlüge
ich sah seine Hände sie waren leer
hatten wohl vorher den Ölzweig getragen oder
ein Saitenspiel jahrhundertelang
jetzt war er taxiert unterwegs auf Wohnungssuche
erst ins Antiquitätengeschäft was wird aus ihm wer
braucht schon einen Engel der so groß ist
er füllt eine Küche stände
wo besser ein Kühlschrank steht oder der Tisch mit
der Brotschneidemaschine, der Ausweg für ihn
wäre ein Kindergarten wenn der ihn beherbergte
wer wüchse nicht gern mit einem Engel auf

aus Sarah Kirsch; Landaufenthalt, Langewiesche-Brandt, 1999



Freitag, 23. Mai 2014

Todesurteil für eine Mutter, Ärztin, Christin

Foto: change.org
Weil Mariam Yehuya Ibrahim, Mutter eines kleinen Sohnes und im 8. Monat schwanger, nicht Muslimin werden, sondern Christin bleiben wollte, wurde sie zum Tod durch Erhängen verurteilt. Zudem verurteilte das sudanesische Gericht die Hochschwangere wegen Ehebruchs zu 100 Peitschenhieben.

Ihr eigener Bruder hatte Mariam angezeigt. Das Gericht hatte ihr 3 Tage Zeit gegeben, sich zum muslimischen Glauben zu bekennen. Mariam, seit August 2013 in einem sudanesischen Gefängnis, lehnte dies ab, obwohl das für sie das Todesurteil bedeutete.

Ihr Mann, der im Rollstuhl sitzt, darf sie weder sehen noch auf andere Weise kontaktieren; Gleiches wird, vermute ich, für ihren 20 Monate alten Sohn gelten.

Wenn Sie mithelfen wollen, so gering auch diese Unterstützung scheinbar sein mag:




29. Mai: Aktueller Nachtrag aufgrund einer Meldung vom 28. Mai über cange.org:

Am vergangenen Dienstagmorgen hat Mariam ein kleines Mädchen auf die Welt gebracht.

Ihrem Mann ist es noch nicht erlaubt worden, Mariam und ihr Neugeborenes zu besuchen.

Ihr kleiner Sohn ist bei ihr im Gefängnis.

Laut Medienberichten (http://yhoo.it/1nsb5Z6) hat Mariam die Erlaubnis ihr Baby zwei Jahre zu stillen, bevor das Todesurteil vollstreckt wird.

Sonntag, 18. Mai 2014

Glaube, Hoffnung, Liebe - Warum wir so viel Glauben und Hoffnung brauchen, damit die Liebe eine Chance hat. - Worte wieder Heuchelei und Scheinheiligkeit!


In Ödön von Horváths bemerkenswerten Roman Jugend ohne Gott geht ein Lehrer während der Zeit des Nationalsozialismus einen steinigen Weg zur Wahrheit. Es sind einige Stationen, die er durchlaufen muss, um zu erkennen:

Einst dachte ich, Gott hätte tückische stechende Augen - Nein, nein!
Denn Gott ist die Wahrheit.


Und doch scheint das ganz und gar nicht glaubwürdig.
Kurz zuvor war er in das Haus eines Schülers gerufen worden, der Selbstmord begangen hatte. Es war ein Schüler, dessen kalte, stechende Augen ihn dazu verlanlasst hatten, ihn als Fisch zu bezeichnen. Was der Lehrer wusste, war, dass auch dieser ihn als Fisch bezeichnet hatte, als er zu dem Lehrer sagte:


"Wissen Sie denn nicht, Herr Lehrer, was Sie in der Schule für einen Spitznamen haben? Haben Sie ihn nie gehört? Sie heißen der Fisch." Er nickt mir lächelnd zu.
"Ja, Herr Lehrer, weil Sie nämlich immer so ein unbewegliches Gesicht haben. Man weiß nie, was Sie denken und ob Sie sich überhaupt um einen kümmern. Wir sagen immer, der Herr Lehrer beobachtet nur, da könnt zum Beispiel jemand auf der Straße überfahren worden sein, er würde nur beobachten, wie der Überfahrene daliegt, nur damit ers genau weiß, und er tat nichts dabei empfinden, auch wenn der draufging -"


Zum damaligen Zeitpunkt hatte das gestimmt. Der Lehrer war jener römische Hauptmann gewesen, der ihm auf einem Bild, das im Wohnzimmer seiner Eltern hing, aufgefallen war, der dastand und zusah, wie Jesus gekreuzigt wurde, obwohl er wahrnahm, dass hier kein Mensch stirbt, sondern ein Gott.

Doch obwohl er die Möglichkeit als Offizieller der Besatzungsmacht gehabt hätte, die Kreuzigung zu abzubrechen, tat er nichts; er stand da.

Der Lehrer wusste, dass er auch so einer war. Zu zu vielem hatte er geschwiegen, sich schon als Lehrer im Unterricht nicht von den Meinungen des Radios distanziert, das damals als Volksempfänger das Bewusstein der Menschen manipulierte; er hatte im Rahmen des Zeltlagers geschwiegen, als er sich hätte zu seinem eigenen Verhalten bekennen müssen, was ihn hätte sehr schlecht dastehen lassen. Er hatte sich nicht zur Wahrheit bekannt, obwohl dadurch vielleicht hätte ein Menschenleben gerettet werden können.

Nun war dieser Schüler tot, und zu den Beamten, die ihn hatten holen lassen redet er über diesen Schüler, der im Rahmen eines Zeltlagers einen Mitschüler erschlagen hatte, dass jener

zuschauen wollte, wie ein Mensch kommt und geht. Geburt und Tod, und alles, was dazwischen liegt, wollt er genau wissen. Er wollte alle Geheimnisse ergründen, aber nur, um darüberstehen zu können - darüber mit seinem Hohn. Er kannte keine Schauer, denn seine Angst war nur Feigheit. Und seine Liebe zur Wirklichkeit war nur der Haß auf die Wahrheit. 


So weit so gut, wenn dann nicht die Innensicht des Lehrers sich aufgetan hätte und es heißt:

Und während ich so rede, fühle ich mich plötzlich wunderbar leicht, weil es keinen T mehr gibt.
Einen weniger!
Freue ich mich denn?
Ja! Ja, ich freue mich!
Denn trotz aller eigenen Schuld an dem Bösen ist es herrlich und wunderschön, wenn ein Böser vernichtet wird!

Wie kann das sein, dass jemand sich Sekunden später zur göttlichen Wahrheit bekennt, doch offensichtlich auf dem richtigen Weg ist und hier sich noch freut, dass ein Mensch vernichtet wird?
Sich dabei wunderbar leicht fühlt, offensichtlich wie befreit?

Des Rätsels Lösung liegt in der Natur der menschlichen Seele.

Dabei muss ich an meine eigene Kindheit denken, an mein überreligiöses Elternhaus und all die religiösen Menschen jener Kirchengemeinde, in der meine Eltern aktiv waren, die mich damals umgaben, die sich alle zu Gott bekannten, alles nahezu Heilige.
Ja, so war es: Wer sich zu Gott bekannt, wer sich bekehrt hatte, hatte sich von allem Bösen abgewandt, denn er war ja rein gewaschen mit dem Blut Jesu, das am Kreuz für uns alle vergossen war, damit wir selig werden; wie oft und immer wieder hatte ich das vernommen.

Nur war das nicht die Realität der Menschen, die mich umgaben, und ihres Herzens. In ihrem Herzen waren weiterhin üble, so genannte böse Gedanken. 
Was allerdings der Fall war, war die Tatsache, dass diese Menschen meiner Umgebung unter einem unglaublichen Druck standen, denn natürlich war ihnen alles Böse abhold, aller Neid, alle Eifersucht, aller Geiz, alles Reden hinter dem Rücken anderer . . . sie waren ja Nachfolger, Jünger, Bekehrte.

Als Kind nahm ich die Realität dieser Menschen wahr, dass sie über die Gebete der anderen lästerten, dass sie hinter dem Rücken über andere sprachen, dass sie tratschten, eifersüchtig waren, auf Pöstchen und Posten im Kirchenvorstand aus . . .

In meiner Realität hatte das dazu geführt, dass ich wusste, dass dieser Gott, an den diese Menschen glaubten, inclusive meiner Eltern, nicht mein Gott sein konnte; das konnte er nicht sein.
Damals hatte ich beschlossen, mich von diesem Gott abzuwenden und später für mich zu klären, was es mit ihm auf sich habe.

Was aber hier der Lehrer denkt - und damit zurück zu ihm -, ist für mich absolut befreiend - obwohl man es als wirklich übel bezeichnen könnte -, denn er  macht aus seiner Seele keine Mördergrube, er zensiert seine Gedanken nicht, er lässt sie zu.

Wie absolut wichtig!
Wie absolut wichtig für seine weitere Entwicklung.

Denn nur so kann er die wahre Realität seiner Seele erkennen.
Nur so muss er nicht so scheinheilig werden wie viele andere, die so etwas denken, aber doch nicht denken dürfen, mit der Folge, dass sie nicht mehr wahrnehmen können, was in Wahrheit in ihnen ist.
Damit negieren sie die göttliche Wahrheit. Denn ihre Seele ist von Natur aus göttlich und will, so glaube ich heute, zu dieser Realität zurückkehren.
Doch dies geht nur, indem wir zulassen, wie es in Wahrheit in uns aussieht.

Wir sind keine Heiligen.
Noch lange nicht.

Glaube Hoffnung Liebe - diese drei
aber die Liebe ist die größte unter ihnen (Paulus)

Und damit wir dahin kommen, bedarf es Glauben, Glauben, Glauben und Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung, damit Liebe in uns werden kann!

Paulus weiß, warum diese Reihenfolge so wichtig ist: 
Erst kommt der Glaube, dann kommt die Hoffnung und dann kommt manchmal lange nichts oder nur fallweise in bestimmten Situationen, bis immer mehr und immer häufiger in uns die Liebe einziehen kann. 

Aber das ist ein langer, ein dornenreicher Weg. Dafür steht die Dornenkrone.
Wer ahnt, an wie vielen Zacken wir noch hängen bleiben können, ahnt auch, wie wichtig Glauben ist, wie wichtig Hoffnung ist.

Sonntag, 11. Mai 2014

Heimatland ist Mutterland! – Heinrich Heine wusste darum in seinen nächtlichen Gedanken





Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt -- wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich -- Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual;
Mir ist, als wälzten sich die Leichen,
Auf meine Brust -- Gottlob! Sie weichen!

Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Gedanken zu diesem Gedicht: hier

Montag, 5. Mai 2014

. . . meine Liebe ist stark / ich warte im Park - Parodie und Realität zugleich:

Bei den weißen Stiefmütterchen und meine Gedanken, den letzten Post also, habe ich auch auf FreieWelt.net veröffentlicht. Dort hat ein Leser ein Gedicht zu Sarah Kirschs Zeilen geschrieben,  und zwar aus dem Blickwinkel der Ehefrau des Mannes, auf den die Geliebte wartet, absolut köstlich wie ich finde. 
Ich darf es veröffentlichen und tue es hiermit mit dem Hinweis, dass man das Kirsch-Original - ich habe es oben nochmal verlinkt - gelesen haben sollte:



MicroHirn sagt:
Bei den blauen Stiefmütterchen
mein armer Mann
ich seh es ihm an
es ist doch das Ganze
nur eine Romanze
mein armer Mann
ich sah es ihm an
er war noch ganz bleich
ich bin ihm nicht gleich
mein armer Mann
ich ahne es dann
er ist ganz verstört
die Frau ihn betört
mein armer Mann
ich blicke ihn an
er will sie sehn
wann wird er gehen
mein armer Mann
ich biete ihm an
meine Liebe ist stark
ich warte im Park
mein armer Mann
ich glaube daran
hab keine Bedenken
dein Herz wird dich lenken
mein armer Mann
ich hören ihn kann
du eilst zu mir
wir sind wieder wir
mein armer Mann
du siehst mich jetzt an
in Treue entflammen
wir bleiben zusammen
mein armer Mann
die andere Frau
sie wird nun warten
bei der Weide im Garten
;-)

Freitag, 2. Mai 2014

. . . als er dich untern Mantel küsste . . .


Am kommenden Montag jährt sich zum ersten Mal der Todestag Sarah Kirschs, einer Frau, deren Gedichte ihre Leser und Hörer immer bewegt haben. In ihren Worten wurde das Wort zur Instanz. Jedes Bild atmete Prägnanz und eine Art von Ausdruckskraft, wie sie zu haben nur wenigen Lyrikern vergönnt war und ist.

Wir denken an die Weide, Realität und Bild zugleich, unter der eine vielleicht junge Frau steht und auf einen Liebhaber bzw. ihren Geliebten wartet, der, verheiratet, womöglich seiner Frau nicht entkommen kann.

Diese Weide, eine ungekämmte Alte blattlos, die sich zwar wiegen kann, aber vor allem knarrt und unkt, kann - personifiziert - reden.

Wir finden obige Frau mit ihr in einem Dialog, der nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet ist. Nein, wann und wo die direkten Reden jeweils beginnen, das muss der Leser sich schon genauer anschauen, und es ist ratsam, das mit dem Gedicht eh zu tun, sonst liest man womöglich über einen Schluss hinweg, der zu den bemerkenswertesten Gedichtschlüssen gehören mag, die es gibt - für mich ist das jedenfalls der Fall. 

Er erzählt von einer Liebe, die bereit ist, darauf zu verzichten, sie zu leben, nur um die Möglichkeit offen zu halten, dass der Geliebte lebt. 
Das kann nur Lyrik, so möchte ich fast wagen zu sagen: auf diese Weise von wahrer Liebe zu reden.

Dieses Gedicht, überschrieben Bei den weißen Stiefmütterchen - kein Zufall, dass Sarah Kirsch diese Blumen wählt: Die ganze erste Zeile ist ja mit diesem Adverbial des Ortes und sie zu nennen beschäftigt - wurde ursprünglich im Gedichtband Landaufenthalt bei Langewiesche-Brandt veröffentlicht und ist heute in dieser Ausgabe bei DVA verlegt:

Bei den weißen Stiefmütterchen
Liebe Leser,

leider darf ich das Gedicht nicht ins Netz stellen.
Der Verlag müsste die Genehmigung des Rechtsnachfolgers der Autorin einholen, verbunden mit 50 €.
Schade.
Ich glaube, dass Sarah Kirsch sich gefreut hätte, wenn ihr Gedicht Leser findet, und uns alle vereint doch eigentlich das Interesse und die Freude an Literatur.
Es sind die gesetzlichen Regelungen, die das verhindern, aber dass sie so sind, dass man spontan nicht mehr ein Gedicht zu Ehren eines Autors veröffentlichen kann ... wie gesagt: schade.

 ups: Gerade habe ich es hier im Netz gefunden :-)

Man mag diese Weide als Teil der Geliebten sehen. 
Es ist jener, der in ihr unkt und schwarz sieht. 
Mit ihm haben wir uns immer auseinanderzusetzen, auch in unseren Lieben, vielleicht erst - wie die wartende Frau -, indem wir zu allen Möglichkeiten und Erklärungen greifen, um verstehen zu wollen, was Liebe so mit sich bringt, warum zum Beispiel der Geliebte nicht kommt, seien es ein Fußbruch, eine Gräte, eine Straßenverlegung . . .
Dann aber, um zu jener Liebe zu finden, die als Schatz sich in allen möglichen Weisen der Liebe offenbaren möchte.

Danke, Sarah Kirsch, für diese Zeilen, diesen Schatz.