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Montag, 8. Juni 2015

Demut entsteht, wenn der große Mensch vor die Gnade gelangt (Romano Guardini).

Es gibt Interpreten, die bringen eine Blüte ein zweites Mal zum Blühen. Ich denke da an den Gebersheimer Pfarrer Albrecht Goes (1908-2000) und seine Mörike-Gedichtinterpretationen: Sie sind so einfühlsam, so mit Sorgfalt und Demut vor dem großen Geist des Anderen geschrieben - einfach fast selbst ein Gedicht.

So verhält es sich auch mit den Dante-Studien des katholischen Priesters, Theologen und Philosophen Romano Guardini (1885-1968). Seine Ausführungen zu Hölderlin, zu Mörike, vor allem aber auch zu Dante Alighieri sind auf jeder Seite eine Bereicherung. Ich möchte sagen, ich lerne von ihm fast genauso viel wie von Dante. Seine Anmerkungen zu der Demut im Wesen Dantes geben Zeugnis davon.
Es gibt katholische Priester, die sich Mythen und der Literatur von der Psychologie her nähern, Eugen Drewermann zum Beispiel; sie wirken bisweilen belehrend.
Dieser katholische Priester aber kommt aus einer tiefen Religiosität; die ist gar nicht belehrend, sondern einfach bereichernd.

Er schreibt in seinem Werk über die philosophischen und religiösen Grundgedanken in der Göttlichen Komödie Dantes:



Zugleich aber taucht in Dantes Werk und Haltung immer wieder die umilià, die Demut auf. Was Demut ist, scheint aus dem allgemeinen Bewußtsein zu verschwinden. Sie wird - nicht zuletzt unter dem Einfluß Nietzsches - mit dem Kümmerlichen, Schwächlichen, Lebensunwerten, mit Mangel an Lebenskraft und an Willen zur Welt, mit Feigheit und Knechtsgesinnung in Verbindung gebracht. Das alles hat aber mit der eigentlichen Demut nichts zu tun. Diese ist wesentlich eine Haltung der Großen. Der erste Demütige ist Gott, welcher doch der Schöpfer und Herr der Welt ist: Tat und Offenbarung seiner Demut ist die Menschwerdung. (Phil.2) Wenn man Dante fragte, wann beim Menschen Demut entstehe, würde er wohl antworten: dann, wenn der große Mensch vor die Gnade gelangt. Je größer der Mensch, und je lauterer die Gnade, desto tiefer die Demut.
Größe, Gnade und Demut bilden ein Ganzes; dieses Ganze ist es, was er meint, wenn er von der umilità als Haltung und Daseinsform spricht. Sie beginnt mit dem Beugen des Hochmuts und der Überwindung der Hybris; sofort wird aber deutlich, daß sie lebendiger Gegenpol eines mächtig empfundenen Selbstgefühls ist: Element eines Daseins, dessen Größe und Fülle als Gabe der Huld erfahren wird. In der Demut wird das als groß empfundene Selbst sich bewußt, etwas zu sein, das geschenkt ist und immer wieder geschenkt werden muß und eben darin zu seiner Vollendung gelangt. Damit wird Demut zur Liebe, denn Liebe ist die Haltung, die weiß, daß das Eigentliche nur in der Form der Gabe besessen werden kann.

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