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Sonntag, 28. Februar 2016

♡ Liebe ist unteilbar! - Über das Wesen von Liebe, Selbstliebe, Selbstsucht und selbstloser Mutterliebe.

Bevor ich in obigem Zusammenhang zentrale Passagen aus Erich Fromms so bemerkenswertem und hilfreichem Werk Die Kunst des Liebens zitiere, vorab 12 Punkte zum Wesen der Liebe:

  • Sie ist nicht das berühmte Eiapopeia, in dem manche gern ihre eigene Liebesunfähigkeit ertränken. - Man kann sie auch nicht kaufen, nicht pachten, nicht besitzen. Sie ist ein Elixier, dessen man sich auf der Erde nie sicher sein sollte.
  • Manche sogenannte Christen reden ständig von der Liebe Gottes, um zu kaschieren, dass sie keine Ahnung von ihr haben.
  • Wer Briefe und Mails mit lb. Grüße und Ähnlichem beendet, steht im dringenden Verdacht, wenig von der Liebe zu halten - sie lässt sich nicht verkürzen. Gleiches gilt für in manchen Kreisen ständig vorkommende Licht-und-Liebe-DrohungenGrüße. - Die Liebe eignet sich nicht für Floskeln.
  • Wer selbstlos liebt und selbstlos ist, ist möglicherweise sein Selbst los.
  • Wer sich selbst wirklich lieben möchte, darf sich tatsächlich kein Bild von sich machen. Das ist das Ende der Liebe. Wer sich selbst liebt, dehnt sich aus wie das All, wie Gottes Schöpfung, von der jener sich vielleicht selbst kein Bild macht, sie in keinen Rahmen spannt. Wie viel mehr sollten wir das unterlassen! Vor allem eben in Bezug auf uns. - Wissen wir, wohin wir uns noch ausdehnen?
  • Um die Liebe weiß nur wirklich, wer um seine eigenen Schatten weiß, also jene unbelichteten und dunklen Teile unserer Seele, die oft nur die anderen sehen. In Afrika ist es bei manchen Stämmen ein Tabubruch, auf den Schatten eines Anderen zu treten. Man tritt nicht auf einen Menschen; der Schatten ist ein Teil von ihm.
  • Gott - soweit man an ihn glaubt - hat das Wesen des Menschen als polar, als yin-yang-Struktur angelegt, sonst hätten sich Adam und Eva nicht vom göttlichen Sein weg, von innen nach außen bewegen können. 
  • Das Dunkle, der Schatten gehört zum alttestamentarischen Wesen Gottes, zu Jahwe; er lebt es in seinen Aufforderungen zum Töten und gnadenlosen Bestrafen zum Teil exzessiv aus. Zum Teil zeigen sich zugleich bei ihm Züge tiefster Weisheit (wenn ich das richtig sehe). Vielleicht stimmt das Verständnis C.G. Jungs, dass Hiob unter dem Schatten, unter der dunklen Seite Jahwes zu leiden hatte.
  • Mich erinnert die Religion der Juden, des Islam und eines sich in Kreuzzügen und der Inquisition ausgetobt habenden Christentums an dieses archaische, alttestamentarische Verständnis von Religion. Was sich im Nahen Osten abspielt, hängt womöglich maßgeblich damit zusammen; so viel Zorn, Gewalt und Gnadenlosigkeit sind schrecklich. Leider ist ein neues Verständnis, wie ich es im Neuen Testament zu finden glaube, auch bei den allermeisten Christen noch nicht angekommen. Man erkennt es oft an ihren gnadenlosen Urteilen und wie genau sie wissen, was Gott will.
  • Was wir als Böses, als Dunkles, als Schatten bezeichnen, ist womöglich nicht das, was ursprünglich eine der beiden sich polar gegenüberstehenden Seiten ausmachte. Für die Erde mag unser Verständnis  zutreffen, nicht aber für die ursprüngliche göttlich-duale Struktur. Wie die 10 Sefiroth im Sohar nicht nur zwei, sondern drei Ebenen haben, sowohl vertikal, als auch horizontal, so mag es schon immer im Göttlichen eine dritte Ebene gegeben haben, die zwischen den beiden sich polar gegenüberstehenden Ebenen vermittelte. Nie konnte sich dort eine der beiden Seiten verselbständigen. Wenn das allerdings geschieht, dann allerdings kann es Mord und Totschlag geben - wir Menschen kennen das nur zu gut.
  • Unser Verstand kann das Wort Liebe in Buchstaben zerlegen, so wie er eine Rose sezieren kann. Nur hat das mit dem Wesen der Liebe nichts zu tun.
  • Vielleicht haben auch Erich Fromm, Meister Eckehart, Laotse und andere Recht, dass unsere Welt nur eine unserer Gedanken ist mit ihren Gegensätzen von Krieg und Frieden, oben und unten oder Himmel und Erde, dass aber jenseits der Welt unserer Gedanken es eine wirkliche gibt, eine Welt ohne Gegensätze, eine Welt reiner Liebe. Wenn es sie gibt, vermute ich, gelangt man nur zu ihr über tiefste Demut, über das Loslassen der eigenen Welt der Gedanken. - Man kann sie nur loslassen, wenn man an Unbegreifliches glaubt, also an die Liebe.

Ich zitiere im Folgenden nun aus dem Kapitel Die Objekte der Liebe in Fromms Die Kunst des Liebens:

Die Liebe zu einem Menschen umfasst die zu den Menschen als solche. Die Art der "Arbeitsteilung", bei der man zwar die eigene Familie liebt, für den "Fremden" jedoch nichts empfindet, ist ein Zeichen für die grundsätzliche Unfähigkeit zu lieben. (...) Wenn ein Individuum in der Lage ist, schöpferisch zu lieben, liebt es sich selbst auch; wenn es jedoch nur den anderen lieben kann, ist es unfähig zu lieben. (...)
Die selbstsüchtige Person ist nur an sich selbst interessiert, will alles nur für sich und empfindet keine Freude im Geben, sondern lediglich am Nehmen. Die Umwelt interessiert nur, soweit man etwas aus ihr herausholen kann; das Interesse am anderen fehlt und genauso ist es mit dem Respekt und der Würde und Integrität anderer. (...) Selbstsucht und Selbstliebe sind keineswegs miteinander identisch, sondern in Wirklichkeit Gegensätze. Der selbstüchtige Mensch liebt sich nicht zuviel, sondern zuwenig. Der Mangel an Liebe und Fürsorge für sich, der lediglich ein Ausdruck des Mangels an innerer Produktivität ist, läßt ihn leer und enttäuscht zurück. (...) 
Die Selbstucht ist leichter zu verstehen, wenn man sie mit dem besitzgierigen Interesse vergleicht, das man zum Beispiel bei einer überängstlichen Mutter findet. Während sie ehrlich überzeugt ist, ihrem Kind besonders zugetan zu sein, empfindet sie tatsächlich eine allerdings fast völlig verdrängte Feindschaft  gegen das Objekt ihrer Zuneigung. Überbesorgt ist sie nicht, weil sie das Kind zu sehr liebt, sondern weil sie einen Ausgleich haben muß für ihren Mangel an Fähigkeit, das Kind überhaupt zu lieben. (...) 
Sie glaubt, daß die Kinder durch ihre Selbstlosigkeit erkennen, was es heißt, geliebt zu werden, und daß sie andererseits dadurch erkennen und lernen, was lieben heißt. Die Wirkung ihrer Selbstlosigkeit entspricht jedoch keineswegs ihren Erwartungen. Die Kinder zeigen nicht das Glück von Menschen, die überzeugt sind, geliebt zu werden; sie sind ängstlich, angespannt, fürchten die Mißbilligung der Mutter und bemühen sich ständig, ihren Erwartungen zu entsprechen. Gewöhnlich werden sie von der versteckten Lebensfeindlichkeit  und Lebensangst ihrer Mutter angesteckt, die sie nicht so sehr bewußt erkennen als vielmehr spüren. Alles in allem ist die Wirkung der »selbstlosen« Mutter von der selbstsüchtigen gar nicht so verschieden: vielmehr ist sie häufig noch schlimmer, weil die Selbstlosigkeit der Mutter die Kinder davon abhält, sie zu kritisieren. Sie leben unter dem Zwang, die Mutter nicht zu enttäuschen; unter der Maske der Tugend lehrt man sie, das Leben zu verachten. Wenn man die Möglichkeit hat, die Wirkung einer Mutter mit echter Selbstliebe zu beobachten, kann man feststellen, daß es für ein Kind und sein Erlebnis dessen, was Liebe, Freude und Glück sind, nichts Förderlicheres gibt, als von einer Mutter geliebt zu werden, die sich selbst liebt. 
Diese Idee der Selbstliebe kann nicht besser zusammengefaßt werden als in einem Zitat Meister Eckarts: »Hast du dich selbst lieb, so  hast du alle Menschen lieb wie dich selbst. Solange du einen einzigen Menschen weniger lieb hast als dich selbst, so hast du dich selbst nie wahrhaft lieb gewonnen, - wenn du nicht alle Menschen so lieb hast wie dich selbst, in einem Menschen alle Menschen; und dieser Mensch ist Gott und Mensch. So steht es recht mit einem solchen Menschen, der sich selbst lieb hat und alle Menschen so lieb wie sich selbst, und mit dem ist es gar recht bestellt.«

Samstag, 27. Februar 2016

Phantastischer als Pharao! - Rainer Maria Rilkes "Die Brandstätte".

Das Upgrade dauerte und dauerte. Ich griff zu einem Gedichtband und schlug zufällig ein Rilke-Gedicht, das mir bis dato unbekannt war, auf. Es war eines, das man liest und ihm vielleicht Respekt zollt, weil es ein Rilke-Gedicht ist (da muss es ja eigentlich toll sein). Ansonsten wäre es vermutlich keines, an dem man länger hängenbleibt.
.
Gemieden von dem Frühherbstmorgen, der
mißtrauisch war, lag hinter den versengten
Hauslinden, die das Heidehaus beengten,
ein Neues, Leeres. Eine Stelle mehr,
auf welcher Kinder, von Gott weiß woher,
einander zuschrien und nach Fetzen haschten.
Doch alle wurden stille, sooft er,
der Sohn von hier, aus heißen, halbveraschten
Gebälken Kessel und verbogne Tröge
an einem langen Gabelaste zog,
um dann mit einem Blick als ob er löge
die andern anzusehn, die er bewog
zu glauben, was an dieser Stelle stand.
Denn seit es nicht mehr war, schien es ihm so
seltsam: phantastischer als Pharao.
Und er war anders. Wie aus fernem Land.
.
Ich hätte vermutlich auch rasch weitergeblättert, wenn ich nicht an einem Wort hängengeblieben wäre, das mich, seitdem ich von Tut ench Amun geträumt habe, nicht mehr so schnell weiterblättern lässt. Ich hatte damals - es mag wohl mittlerweile mindestens 25 Jahre her sein - Philipp Vandenbergs Der vergessene Pharao gelesen, ein Buch über die Entdeckung und Öffnung des Grabes des so jung verstorbenen Pharaos, der vor über 3 Jahrtausenden gelebt hatte. Drei Kapitel darin widmen sich äußerst seltsamen Todesfällen, die sich im Zusammenhang mit der Grabfindung und -öffnung des jungen ägyptischen Herrschers ereignet hatten: Lord Carnarvon, der 15 Jahre lang die Ausgrabungen maßgeblich mitfinanziert und den Archäologen Carter unterstützt hatte und ständig um ihn herum gewesen war, starb nach 12-tägigen unerklärlichen Fieberanfällen. Seiner schottischen Haushälterin verdanken wir das Wissen um seine letzten Worte: Ich habe seinen Ruf vernommen, ich folge ihm.


Wer mehr lesen möchte: hier

Dienstag, 23. Februar 2016

♡ Willst du dein Herz mir schenken, / So fang es heimlich an!

Willst du dein Herz mir schenken,
So fang es heimlich an,
Dass unser beider Denken
Niemand erraten kann.
Die Liebe muss bei beiden
Allzeit verschwiegen sein,
Drum schließ die größten Freuden
In deinem Herzen ein.
 
Behutsam sei und schweige
Und traue keiner Wand,
Lieb' innerlich und zeige
Dich außen unbekannt.
Kein' Argwohn musst du geben,
Verstellung nötig ist.
Genug, dass du, mein Leben,
Der Treu' versichert bist.

Begehre keine Blicke
Von meiner Liebe nicht,
Der Neid hat viele Stricke
Auf unser Tun gericht.
Du musst die Brust verschließen,
Halt deine Neigung ein.
Die Lust, die wir genießen,
Muss ein Geheimnis sein. 
Zu frei sein, sich ergehen,
Hat oft Gefahr gebracht.
Man muss sich wohl verstehen,
Weil ein falsch Auge wacht.
Du musst den Spruch bedenken,
Den ich zuvor getan:
Willst du dein Herz mir schenken,
So fang es heimlich an.


Seltsam, wie sehr dieses Lied eines unbekannten Verfassers oder einer unbekannten Verfasserin - auch in der Barockzeit gab es einige Frauen, die dichteten, man denke nur an die mit 17 Jahren so früh verstorbene Sibylla Schwarz - wie selbstverständlich sich in unserem Herzen niederlässt.

Dabei könnte es Dokument einer gerissen besitzergreifenden männlichen Strategie sein.

Und fällt nicht auch das sechsmalig verwendete müssen auf, das ja immer unsere Alarmanlage in Gang setzen sollte, geht doch zu oft mit seiner Verwendung eine elterliche Energie einher, die meist auch niemandem wirklich gut getan hat.

Gerissene Strategie also oder Ausdruck einer Liebe, die eines im Sinn hat: diese Kostbarkeit zu schützen?

Bevor ich meine Gedanken zu Papier bringe, möge, wer mag, sich selbst so seine Gedanken machen ...


Sonntag, 21. Februar 2016

♡ . . . und hört im Herzen auf zu sein. – Eine Welt ohne Stäbe.

Ist sie möglich?

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe 
so müd geworden, dass er nichts mehr hält. 
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe 
und hinter tausend Stäben keine Welt. 
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, 
der sich im allerkleinsten Kreise dreht, 
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, 
in der betäubt ein großer Wille steht. 
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille 
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, 
geht durch der Glieder angespannte Stille – 
und hört im Herzen auf zu sein.

Wir sehen die Stäbe nicht, die uns umgeben, von denen Rilkes Gedicht Der Panther spricht, und doch ist unser Sein voll von ihnen. Mit jedem Urteil errichten wir einen neuen Stab. – Und wieviele Urteile haben wir nicht schon gefällt?
Doch es sind nicht nur die eigenen Urteile, es sind auch die Wertungen unserer Eltern, die wir übernommen haben, die Ansichten unserer Lehrer, die sie in unseren offenen kindlichen Seelen platziert haben, oder die des Pfarrers, dem ich als Kind so vertrauensvoll zuhörte.
Es sind die erwähnten Worte unserer Vorbilder und Erziehungsberechtigten, die unsere Gedanken prägten und eine Welt formten, die es nur so in unseren Gedanken gibt. Wir tun dasselbe mit unseren Kindern und ständig formatieren wir die Welt, die uns umgibt.

weiter hier

Skandal! Frauen unter 45 als Schleuser tätig!


Mittwoch, 10. Februar 2016

Für einen Atheisten gibt es keinen Gott, weil es ihn, den Atheisten gibt.

Eine religiöse Seele ist sich dessen bewusst, dass es sie gibt, weil es Gott gibt.

Und für Meister Eckehart, den Dominikanermönch und großen Mystiker des ausgehenden Mittelalters, der für Gott so überzeugende Worte fand, dass es der Kirche zu viel war und sie ihn der Gotteslästerung anklagte, ist es sogar so:


wäre ich nicht, so wäre auch Gott nicht.

Für unser Verständnis ist das eine nahezu paradoxe Aussage; wir können sie nicht beweisen, sie ist richtig und falsch zugleich.

Michael Ende hat um diese über unsere logischen Vorstellungen hinausgehenden Gedanken gewusst, wenn er sagte, dass, wenn wir Gott beweisen könnten, es ihn nicht gäbe.

Das ist so ähnlich obskur wie Schrödingers Katze, mit der in der quantenphysikalischen Philosophie ein Gedankenexperiment bezeichnet wird, ausgedacht von Erwin Schrödinger, in deren Rahmen eben jene Katze in einer verschlossenen Kiste sitzt und niemand weiß, ob sie tot ist oder lebt. Erst wenn man nachschaut, weiß man, in welchem Zustand sie sich befindet. Auch in der Quantenphysik können sich Stoffe in mehreren verschiedenen Zuständen befinden, und diese Tatsache ändert sich erst, wenn man sie berechnet, also nachschaut; dann gibt es nur noch einen Zustand. So lange fluktuiert alles, ist alles offen.

Auch in unserer Wirklichkeit ist es so.

Das ist eine Form von Wirklichkeiten, die Menschen kaum ertragen, weshalb sie diese und sich gern festlegen: Es gibt Gott, oder: Es gibt Gott nicht.

Wie wir aus dem letzten Post wissen, sind beide Aussagen mit Leid verbunden.
Für den, für den Gott tot ist, kommt das Alte Testament zu dem Ergebnis:

Gewogen, gewogen und zu leicht empfunden.

Das Neue Testament kommt zu dem Ergebnis:

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Es heißt übrigens nicht

Selig werden die sein, die nicht sehen, sondern glauben.

Meister Eckehart legte großen Wert darauf, dass wir auf der Erde, also jetzt, selig sind, nicht irgendwann. Wobei diese Seligkeit kein einförmig mystischer Zustand ist. Eckehart weiß sehr wohl, dass wir von Gefühlen und Gemütszuständen abhängig sind, wenn er sagt:

Dies wahre Besitzen Gottes liegt an dem Gemüt und an einem innigen vernünftigen Sich-Hingewendet- und Sich-Hingeneigthaben zu Gott. Nicht in einem beständigen gleichmäßigen Denken an Gott, denn so etwas im Sinn zu haben wäre der Natur unmöglich, jedenfalls sehr schwer und auch das Allerbeste nicht. Man soll keinen gedachten Gott haben und sich damit begnügen, denn wenn der Gedanke vergeht, vergeht auch der Gott. (Nigg 301)

Für Eckehart ist Gott nicht zu erfassen. Wer einen Gott hat, eine Gottesvorstellung hat, steht für ihn erst am Rande der Ewigkeit, am Rand ewigen Bewusstseins, gwiss aber nicht mittendrin.
Immer wieder nämlich gilt es ihn zu suchen und zu finden.

Aller Kreaturen Wesen und Leben ist nichts anderes denn ein Rufen und Eilen hin zu dem, von dem sie ausgegangen sind. (ME in Nigg 303)

Es geht nicht darum, auf Visionen und Erleuchtungen zu warten, sondern für den großen Mystiker des ausgehenden Mittelalters - er starb 1328 während eines inquisitorischen Verfahrens gegen ihn, im Rahmen dessen ihm auch Gotteslästerung vorgeworfen worden war - geht es darum, alle Dinge zu Gott als ihrem ersten Ursprung emporzuheben:

Wir sollen alle Dinge in den Adel heben, wie sie die ewige Weisheit ewiglich gehalten hat; wir sollen alle vergeisten, wie sie der Heilige Geist von Ewigkeit vergeistet hat. (Nigg 303)

Vergessen wir nicht, was wir im letzten Post uns vor Augen führten:

Es gibt in unserer Welt der Logik einen Zustand A und einen Zustand Nicht-A. Für unsere Logik schließt ein Zustand den anderen aus, nicht aber für die paradoxe Logik, der wir spätestens mit Aristoteles, der sie wenige Jahrhunderte vor Christi Geburt schriftlich fixierte, abgeschworen haben.

In Wirklichkeit existieren beide Zustände zugleich: Wir können selig sein und nicht-selig. In uns existert beides, so wie Schrödingers Katze leben und tot sein kann. Beides existiert. Bis wir nachschauen, berechnen, uns festlegen.

Deshalb heißt im Dhammapada, der Schrift gesammelter Buddha-Worte die erste Botschaft Die Wahl und sie beginnt.

Alle Dinge entstehen im Geist, sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

So ganz haben wir das womöglich noch nicht verstanden, wenn wir auch mit dem Kopf nicken. Aber das haben wir uns so angewöhnt, weil wir in der Schule immer so tun mussten, als hätten wir alles verstanden. 

Erinnern wir uns an den letzten Post und dass es eine Wirklichkeit gibt und dass es zugleich eine Wirklichkeit unserer Gedanken gibt. Beide Wirklichkeiten existieren. Und doch glauben wir immer so sehr an die Wirklichkeit unserer Gedanken.

Vielleicht wird uns noch irgendwann die Dimension des zweiten der Zehn Gebotes o richtig klar, in dem es heißt, dass wir uns kein Bildnis machen sollen, kein Bildnis von Gott, kein Bildnis von der Wirklichkeit, genauer gesagt: von den Wirklichkeiten.

Sonst kommt, was wir für die einzige halten, womöglich immer wieder so krank daher wie unsere.

Dienstag, 9. Februar 2016

Ketzer wie Erich Fomm, Meister Eckehart, Masaharu Taniguchi: Was wir für wirklich halten, ist nur die Wirklichkeit unserer Gedanken!


Was zeichnet einen Ketzer aus?
Dass er viel radikaler als der religiöse Mainstream denkt.
Dass er keine Denkverbote kennt.
Dass er womöglich über Gott hinausdenkt.

So auch Erich Fromm, dessen Ausführungen in Die Kunst des Liebens ich mit betulichem Wohlgefallen las, auch seine Gedanken zu unserer monotheistischen Gottesvorstellung. Bis er nach all dem Erbaulichen verkündete, dass er sich zu einer nicht-theistischen Vorstellung der Wirklichkeit bekenne, also einer, die ohne die Vorstellung von einem oder mehreren Göttern auskommt.
Schade, dachte ich bei mir, das passt nun gar nicht zu meinen Vorstellungen einer metaphysischen Wirklichkeit. Bis er Laotse aus dem Taoteking, der Spruchsammlung, die jenem zugeschrieben wird, zitierte:
Der Sinn, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige Sinn. Der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name.
Gott - griechisch theós, wovon sich das Adjektiv theistisch ableitet - einen Namen oder eine Buchstabenfolge zu geben, macht also keinen Sinn. Ohnehin ist nach Laotse der Sinn, den wir ersinnen, nicht der ewige, mithin nicht der wahre Sinn . . . Das nun kann ich gut nachvollziehen, ja, glaube ich auch; als Menschen überschätzen wir uns nur zu gern. Dass die Menschheit in den letzten Jahren unglaublich viel entdeckte, hat ja wenig mit Sinnfindung zu tun, denn was wir entdecken, erfinden wir ja nicht, es ist ja schon längst da, nur wussten wir nicht davon.
Zudem entspricht auch Laotses Ansicht jüdisch-christlichem Denken, wenn es in dem Alten Testament heißt, wir sollen uns kein Bild von Gott machen.
Kein Bild, kein Name, keine Sinnzuweisungen. So weit bin ich von Fromms nicht-theistischen Vorstellungen also gar nicht entfernt.

Und jener 1980 verstorbene Psychoanalytiker und Philosoph weist dem Sokratischen Ich weiß, dass ich nichts weiß eine neue Sicht zu, indem er auf dessen Parallelität mit taoistischem Denken hinweist, wiederum aus dem Taoteking zitierend:
Wissen, dass man nichts weiß, ist das Höchste. Nichtwissen für Wissen achten, ist Leiden. (Fromm, 102)
Der berühmte Satz des Sokrates erweist sich also nicht nur als eine superbescheidene Geste philosophischer Gelassenheit, sondern resultiert aus der tiefsten Erkenntnis, die ein Mensch haben kann: Wissen ist Leiden.

All das Wissen um Gott ist Leiden.

Ich hatte schon immer den Verdacht, dass, Theologie zu studieren, dazu führen könne, nicht mehr glauben zu können, zu angereichert ist der Kopf mit den diversesten Thesen und Theorien, aber könnten dazu auch die Äußerungen eines Bonhöffer, Paulus und Salomo gehören? Auch die eines Erich Fromm?
Finden wir nicht ihre Gedanken wirklich und zu Recht wertvoll?

Wenn nun aber alles Wissen über Gott Leiden bedeutet?
(Nicht alle tun ja so, als wüssten sie über Gott Bescheid; ich habe allerdings schon Theologie-Professoren gehört, von denen man den Eindruck hatte, die wüssten mehr von Gott, als jener selbst über sich. Gerade liegt im Übrigen Christa Mulacks Gewalt im Namen Gottes auf meinem Tisch; da wird schon auf den ersten Seiten deutlich, wie gewaltvoll Wissen sein will! Will! Anders kann man es nicht sagen).

Erich Fromm schreibt in der Folge über die Philosophie der Brahmanen:
Auf ihrer Suche nach der hinter der Mannigfaltigkeit verborgenen Einheit kamen die brahmanischen Denker zu dem Schluss, dass das sichtbare Gegensatzpaar das Wesen nicht der Dinge, sondern das des wahrnehmbaren Geistes widerspiegelt. (Fromm, 103)
Das nun sind in ihrer Konsequenz unerhörte Sätze.
Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, ist gar nicht wirklich; sie ist nur ein Erzeugnis unseres Geistes, nicht aber die eigentliche Wirklichkeit

Unsere Wirklichkeit ist nun einmal geprägt von Gegensätzen, von Männlichem und Weiblichem, oben und unten, links und rechts, Hartem und Weichem, Physischem und Metaphysischem.

Aufgrund dieser Wirklichkeit existieren wir. Ohne Mann und Frau gäbe es keine Kinder, ohne Krankheit wüssten wir nicht, wie wertvoll Gesundheit ist.
Wie kann man all das in Frage stellen?

Gegensätze konstituieren unser Leben, ohne sie ist es nicht denkbar. 
Existieren Leben und Tod nur aufgrund der "Wirklichkeit" unserer Gedanken?

Offensichtlich.

Weder Erich Fromm noch die Brahmanen schließen unsere Wirklichkeit aus, wir brauchen Fromm weder posthum noch die Brahmanen aktuell ins Irrenhaus stecken.
Was Fromm tut:
Er stellt die Logik in Frage, der wir seit Aristoteles huldigen, indem wir mittels des Satzes der Identität sagen: A = A;
mittels des Satzes des Widerspruchs sagen: A ≠ Nicht-A, A ist also nicht gleich Nicht-A; 
und in einem dritten Schritt sagen: A kann nicht A und Nicht-A zugleich sein.

Solch eine paradoxe Logik schließen wir aus.

Anders das chinesische und indische Denken (wie übrigens auch Heraklit), das in den Worten des im 4. vorchristlichen Jahrhundert lebenden chinesichen Dichters und Philosophen Tschuangtse seinen Ausdruck findet:
Das, was eins ist, ist eins. Das, was nicht eins ist, ist auch eins.
Offensichtlich müssen wir uns in unseren Wirklichkeitsvorstellungen neu orientieen.

Beziehungsweise: Von müssen kann keine Rede sein.

Es gibt nur eine Wirklichkeitsbetrachtung, die besagt, dass Wirkliches und Nicht-Wirkliches existieren, dass es eine Wirklichkeit gibt, die nicht den Gesetzen unserer Wirklichkeit entspricht.

Wir, die wir glauben, Wirklichkeit bestehe aus Gegensätzen, müssen wissen:
Dieses Wissen bedeutet Leid.
Es ist kein Wissen.
Nicht-Wissen ist Wissen.

Und wenn wir glauben, wir verstehen das alles, dann bedeutet das für uns: Leid.

All das ist schwer zu verstehen, aber einer hat das verstanden, und das ist jener mittelalterliche Mystiker, den wir als Meister Eckehart kennen. Er wusste, dass der Mensch nur wirklich lebt, wenn er von Grund auf tot ist. Das hat zu tun mit dem, was er das absolute Nichts nennt, zu dem wir vordringen, ja, über das wir hinausgelangen müssen. (Nigg, 293)
Alles Gute, was alle Heiligen besessen haben und Maria, Gottes Mutter, und Christus nach seiner Menschheit, das ist alles schon von Natur aus mein eigen.
So lässt uns Meister Eckehard wissen. Es bedeutet nichts anderes, als dass unsere tatsächliche Wirklichkeit nicht jene ist, die unserer Vorstellung von Wirklichkeit entspricht.
Wir haben eine, die wir offensichtlich nicht haben.
A kann offensichlich auch Nicht-A sein.

Oder, wie es Masaharu Taniguchi, ein japanischer Dichter, den man der sogenannten Neugeist-Bewegung (über die ich persönlich wenig bis nichts weiß) zuordnet und der von 1893 bis 1985 lebte, formuliert:
Seinem innersten Wesen ist der Mensch Geist und Liebe, Weisheit und ewiges Leben, darum kann er weder übeltun noch krank sein, weder leiden noch vergehen und sterben. Sünde, Krankheit und Tod sind bloße Gespinste seines Denkens, solange er noch nicht zu sich selbst erwacht ist
So einfach ist das: Wir sind gar nicht krank, wenn wir krank sind - wenn es da nur nicht die klitzekleine Einschränkung gäbe: seinem innersten Wesen nach.
In gewisser Weise aber ist das durchaus doch auch beruhigend: Wir sind nicht nur krank, wenn wir krank sind; wir sind auch gesund.
Ob wir tatsächlich zu sehr der aristotelischen Logik vertraut haben?
Ob A doch auch Nicht-A sein kann?
Immerhin wäre doch nicht krank und gesund zugleich zu sein besser, als nur krank zu sein.

Tatsächlich habe ich übrigens, wenn ich mich recht entsinne - es ist schon einige Jahre her - in Taniguchis Buch Die geistige Heilkraft in uns die Empfehlung gelesen, man möge, wenn man krank ist, sich in Wirklichkeit als nicht-krank ansehen. 
Wem das zu simpel erscheint, möge sich dort näher informieren.

Mit den Gedanken Masaharu Taniguchis sind wir jedenfalls wieder bei Erich Fromm, seinem nicht-theistischen Ansatz und dem Wissen der Brahmanen angelangt:

Was wir für wirklich halten, ist die Wirklichkeit unserer Gedanken. Es ist nicht die Wirklichkeit.

Sonntag, 7. Februar 2016

Ihr, von denen das Sein / leise sein großes Gesicht wegwandte! - Über Flüchtlinge im Niemandsland des Lebens.

Als ich obigen Beginn des Rilke-Gedichtes, das eigentlich Gebet für die Irren und Sträflinge überschrieben ist, heute las, kamen mir die Fernsehbilder zehntausender aus Aleppo flüchtender syrischer Frauen, Kinder und Männer in den Sinn, die im Niemandsland zwischen der Türkei und Syrien sind, Menschheitsreste, die keiner will, aus- und herausgebombt, warum auch immer. - Spielt es noch eine Rolle, von wem die Bomben waren?

Betend wendet sich das lyrische Ich den Irren, Sträflingen und Flüchtlingen zu, die, nichts verbrochen habend, zu den irren Irrenden und Bestraften dieser Erde gehören, ein lyrisches Ich, das sich selbst seines Seins gar nicht sicher ist, das nur weiß, dass es da Menschen gibt, die erdrückend viel Zeit haben.
Rilke konnte nicht ahnen, als er sein Gedicht vor wenig mehr als 100 Jahre schrieb, dass es mehrfach schrecklich aktuell sein würde. Es ist gar nicht in dem uns bekannten Ton Rilkes verfasst, der doch Gott und Engel so eindrücklich beschwören konnte oder einen Panther, einen Apoll oder eine Stadt namens Venedig als eine Kurtisane vor unsere Augen zu zaubern vermochte, unnachahmlich.

Hier schreibt er Zeilen, beginnend in prosaischem Ton, gerade, dass sie noch durch Reime gehalten sind. Die ersten beiden Strophen lauten:


Ihr, von denen das Sein
leise sein großes Gesicht
wegwandte: ein
vielleicht Seiender spricht

draußen in der Freiheit
langsam bei Nacht ein Gebet:
dass euch die Zeit vergeht;
denn ihr habt Zeit.



Man glaubt zu spüren, dass der Verfasser sich selbst im Gefängnis wähnt, in der Irrenanstalt, im Niemandsland, spricht er doch von "draußen in der Freiheit", als ob er selbst innen sei, und es ist, als ob er von einer, seiner Freiheit mit einer merkwürdigen Distanz spräche.

Welch seltsames Gebet eines vielleicht Seienden, ein Gebet, von dem man ahnt, dass er nie glaubte, es einmal zu beten.
Ein Gebet um das Vergehen der Zeit. Unwillkürlich denken wir daran, dass es viele nur dreißig Jahre später beteten eingedenk ihrer Lieben, die an einem viel schlimmeren Ort als einem Gefängnis waren, Leid ertragend, angesichts dessen selbst das übergroße Hiobs seinen einstmals so großen Schrecken verlor. 

Und auch heute leiden Tausende unter Heimatverlust und dem Verlust ihrer Lieben und müssen wie Hiob Reden von Freunden ertragen und solchen, die es gar nicht sein wollen, nicht können.

Inmitten des Gedichtes spricht der vielleicht Seiende von jenem Sein, das sein Gesicht wegwandte, gewiss aber nicht vor Verachtung, sonst gedächte dieses Sein jetzt nicht der Irren, Sträflinge und Flüchtlinge:


Wenn es euch jetzt gedenkt,
greift euch zärtlich durchs Haar:
alles ist weggeschenkt,
alles was war.



Da wirkt Rilkesche Sprachkunst, wirkt durch das anaphorische alles, die W-Alliterationen, die Eindrücklichkeit der Vokale, vor allem den Klang des a in uns hinein.
Durchs Haar greifen: Kann es sein, dass in dieser Bewegung mehr Hoffnung ist, als wenn sie sich ins Haar griffen?

Seid ihr wenigstens zärtlich zueinander! Das ist, was euch noch bleibt!
Wahr ist doch: alles war.

Es bleibt in der vorletzten Strophe die Hoffnung des lyrischen Ichs, dass Ihr, auch wenn das Herz Jahr um Jahr verjährt, stille zu bleiben vermöget. Und dass keine Mutter erfahre, dass es für ihre Kinder dieses Niemandsland des Lebens gebe.

Schlussendlich wird Rilke zu einem Erzähler, aus der Vergangenheit schreibend und einen Blick durch die Zweige eines Baumes auf den Mond werfend, durch Zweige, deren Entzwei-Sein klagt, fast schreit.
Denn der Mond ist so alleine wie jene, denen das Sein sich nicht mehr zuwendet, von denen es sich abwandte.
Verächtlich?
Gewiss nicht.
Eher voller Schmerz.
So muten die Worte des vielleicht Seienden an wie eine große Klage, fast eine Totenklage, angestimmt für jene, die sich selbst eine Stimme zu haben nahmen, und für jene, denen das unbegreifliche Leben eine Stimme zu haben nahm.

Hier die bewegenden fünf Strophen, Zeile für Zeile:


Ihr, von denen das Sein
leise sein großes Gesicht
wegwandte: ein
vielleicht Seiender spricht


draußen in der Freiheit
langsam bei Nacht ein Gebet
dass euch die Zeit vergeht,
denn ihr habt Zeit.


Wenn es euch jetzt gedenkt,
greift euch zärtlich durchs Haar:
alles ist weggeschenkt,
alles was war.


O dass ihr stille bliebt,
wenn euch das Herz verjährt;
dass keine Mutter erfährt,
dass es das gibt.


Oben hob sich der Mond,
wo sich die Zweige Centzwein,
und, wie von euch bewohnt,
bleibt er allein.