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Mittwoch, 10. Februar 2016

Für einen Atheisten gibt es keinen Gott, weil es ihn, den Atheisten gibt.

Eine religiöse Seele ist sich dessen bewusst, dass es sie gibt, weil es Gott gibt.

Und für Meister Eckehart, den Dominikanermönch und großen Mystiker des ausgehenden Mittelalters, der für Gott so überzeugende Worte fand, dass es der Kirche zu viel war und sie ihn der Gotteslästerung anklagte, ist es sogar so:


wäre ich nicht, so wäre auch Gott nicht.

Für unser Verständnis ist das eine nahezu paradoxe Aussage; wir können sie nicht beweisen, sie ist richtig und falsch zugleich.

Michael Ende hat um diese über unsere logischen Vorstellungen hinausgehenden Gedanken gewusst, wenn er sagte, dass, wenn wir Gott beweisen könnten, es ihn nicht gäbe.

Das ist so ähnlich obskur wie Schrödingers Katze, mit der in der quantenphysikalischen Philosophie ein Gedankenexperiment bezeichnet wird, ausgedacht von Erwin Schrödinger, in deren Rahmen eben jene Katze in einer verschlossenen Kiste sitzt und niemand weiß, ob sie tot ist oder lebt. Erst wenn man nachschaut, weiß man, in welchem Zustand sie sich befindet. Auch in der Quantenphysik können sich Stoffe in mehreren verschiedenen Zuständen befinden, und diese Tatsache ändert sich erst, wenn man sie berechnet, also nachschaut; dann gibt es nur noch einen Zustand. So lange fluktuiert alles, ist alles offen.

Auch in unserer Wirklichkeit ist es so.

Das ist eine Form von Wirklichkeiten, die Menschen kaum ertragen, weshalb sie diese und sich gern festlegen: Es gibt Gott, oder: Es gibt Gott nicht.

Wie wir aus dem letzten Post wissen, sind beide Aussagen mit Leid verbunden.
Für den, für den Gott tot ist, kommt das Alte Testament zu dem Ergebnis:

Gewogen, gewogen und zu leicht empfunden.

Das Neue Testament kommt zu dem Ergebnis:

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Es heißt übrigens nicht

Selig werden die sein, die nicht sehen, sondern glauben.

Meister Eckehart legte großen Wert darauf, dass wir auf der Erde, also jetzt, selig sind, nicht irgendwann. Wobei diese Seligkeit kein einförmig mystischer Zustand ist. Eckehart weiß sehr wohl, dass wir von Gefühlen und Gemütszuständen abhängig sind, wenn er sagt:

Dies wahre Besitzen Gottes liegt an dem Gemüt und an einem innigen vernünftigen Sich-Hingewendet- und Sich-Hingeneigthaben zu Gott. Nicht in einem beständigen gleichmäßigen Denken an Gott, denn so etwas im Sinn zu haben wäre der Natur unmöglich, jedenfalls sehr schwer und auch das Allerbeste nicht. Man soll keinen gedachten Gott haben und sich damit begnügen, denn wenn der Gedanke vergeht, vergeht auch der Gott. (Nigg 301)

Für Eckehart ist Gott nicht zu erfassen. Wer einen Gott hat, eine Gottesvorstellung hat, steht für ihn erst am Rande der Ewigkeit, am Rand ewigen Bewusstseins, gwiss aber nicht mittendrin.
Immer wieder nämlich gilt es ihn zu suchen und zu finden.

Aller Kreaturen Wesen und Leben ist nichts anderes denn ein Rufen und Eilen hin zu dem, von dem sie ausgegangen sind. (ME in Nigg 303)

Es geht nicht darum, auf Visionen und Erleuchtungen zu warten, sondern für den großen Mystiker des ausgehenden Mittelalters - er starb 1328 während eines inquisitorischen Verfahrens gegen ihn, im Rahmen dessen ihm auch Gotteslästerung vorgeworfen worden war - geht es darum, alle Dinge zu Gott als ihrem ersten Ursprung emporzuheben:

Wir sollen alle Dinge in den Adel heben, wie sie die ewige Weisheit ewiglich gehalten hat; wir sollen alle vergeisten, wie sie der Heilige Geist von Ewigkeit vergeistet hat. (Nigg 303)

Vergessen wir nicht, was wir im letzten Post uns vor Augen führten:

Es gibt in unserer Welt der Logik einen Zustand A und einen Zustand Nicht-A. Für unsere Logik schließt ein Zustand den anderen aus, nicht aber für die paradoxe Logik, der wir spätestens mit Aristoteles, der sie wenige Jahrhunderte vor Christi Geburt schriftlich fixierte, abgeschworen haben.

In Wirklichkeit existieren beide Zustände zugleich: Wir können selig sein und nicht-selig. In uns existert beides, so wie Schrödingers Katze leben und tot sein kann. Beides existiert. Bis wir nachschauen, berechnen, uns festlegen.

Deshalb heißt im Dhammapada, der Schrift gesammelter Buddha-Worte die erste Botschaft Die Wahl und sie beginnt.

Alle Dinge entstehen im Geist, sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

So ganz haben wir das womöglich noch nicht verstanden, wenn wir auch mit dem Kopf nicken. Aber das haben wir uns so angewöhnt, weil wir in der Schule immer so tun mussten, als hätten wir alles verstanden. 

Erinnern wir uns an den letzten Post und dass es eine Wirklichkeit gibt und dass es zugleich eine Wirklichkeit unserer Gedanken gibt. Beide Wirklichkeiten existieren. Und doch glauben wir immer so sehr an die Wirklichkeit unserer Gedanken.

Vielleicht wird uns noch irgendwann die Dimension des zweiten der Zehn Gebotes o richtig klar, in dem es heißt, dass wir uns kein Bildnis machen sollen, kein Bildnis von Gott, kein Bildnis von der Wirklichkeit, genauer gesagt: von den Wirklichkeiten.

Sonst kommt, was wir für die einzige halten, womöglich immer wieder so krank daher wie unsere.

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