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Freitag, 12. Mai 2017

. . . dann tröste Gott dich, arme junge Frau! - Muttertage sind nicht immer Fleurop-Tage!

Unserer Gesellschaft, die zu oft das Grelle, das Laute sucht, vermittelt das Gedicht der Droste über Die junge Mutter, dass Muttersein die Möglichkeit der Begegnung mit Vergänglichkeit und Tod einschließt, wie sie leidvoller nicht sein kann.
.Wenig bekannt ist manches der Gedichte der auf der Wasserburg Hülshoff nahe Münster geborenen Westfälin, die als Dichterin und Frau gerade in einer Zeit, die immer globaler wird und sich entsprechend geriert, für eine Gesellschaft von Bedeutung ist, weil sich mit ihr wie kaum bei einem anderen ihrer Zunft - zu nennen wäre sicherlich noch Adalbert Stifter - ein Bewusstsein um den Wert von Heimat, zu der es sie in ihrem Leben auch immer wieder hinzog, verbindet.
.Ich bewundere an Annette von Droste-Hülshoff zum einen ihre Kunst, zum anderen aber auch, wie sie durchs Leben ging, gern Schlittschuh laufend und schneidig reitend, ausgestattet mit einer durchaus temperamentvollen Seite, die man ihr so gar nicht zutraut, und auf der anderen Seite eingeengt durch Familienbande, als Frau und Liebende tief verletzt, fast ein Leben lang kränklich, grüblerisch und schwermütig, Latein und Griechisch beherrschend genauso wie auf ihren Streifzügen bei Bauern einkehrend, vertraut mit dem Volkstum und den Gebräuchen genauso wie mit den Gespenstergeschichten und dem Spökenkiekertum ihrer Heimat.

Die junge Mutter ist ein leises Gedicht, das mit einem Blick auf den Vogelkäfig einer Nachtigall beginnt, der ahnungsvoll künftiges Leid thematisiert, denn ihren Kleinen wird sie nie bei sich haben, sich fortsetzt mit dem Hören der Glocken, die den Tod ihres Kindes beläuten, und dem Weihrauchduft, den ihr Mann aus der Totenmesse mitbringt, die ihrem Kind galt.
.All das weiß sie nicht, ganz von ferne ahnt sie es vielleicht; ihr im Kindbett geht es besser, der Trank mundet schon und trotz der Mattigkeit greift sie zu Nadel und Faden, um ihrem Kleinen das Häubchen weiter zu fertigen.
.Doch im scheinbar belanglosen Erwähnen, dass der Wiegenschleier des Kleinen bereits zerrissen war, oder in der Anrede des Mannes, der seine Frau mit Kind anspricht und - man glaubt es zu spüren - sie damit ureigentlich trösten will, wohl wissend, dass sie noch zu schwach ist für das, was er ihr sagen muss, wird deutlich, wie meisterlich andeutend Annette von Droste-Hülshoff den Todesteppich ausbreitet, über den mit der jungen Mutter noch keiner zu gehen vermag:.

Die junge Mutter

Im grün verhangnen duftigen Gemach,
auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;
wie brennt die Stirn! sie hebt das Auge schwach
zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
den nackten Jungen reicht: »Mein armes Tier,«
so flüstert sie, »und bist du auch gefangen
gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen,
so hast du deine Kleinen doch bei dir.«

Den Vorhang hebt die graue Wärterin
und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
die Kranke dreht das schwere Auge hin,
gefällig will sie von dem Tranke nippen;
er mundet schon, und ihre bleiche Hand
faßt fester den Kristall, - o milde Labe! -
»Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?«
»Er schläft,« versetzt die Alte abgewandt.

Wie mag er zierlich liegen! - Kleines Ding! -
und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;
ob man den Schleier um die Wiege hing,
den Schleier, der am Erntefest zerrissen?
Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett,
daß alle Frauen höchlich es gepriesen.
Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.
»Was läutet man im Dom, Elisabeth?«

»Madame, wir haben heut' Mariatag.«
So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. -
Wie war es nur? - Doch ihr Gehirn ist schwach,
und leise suchend zieht sie aus den Linnen
ein Häubchen, in dem Strahle kümmerlich
läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;
so ganz verborgen will sie es bereiten,
und leise, leise zieht sie Stich um Stich.

Da öffnet knarrend sich die Kammertür,
vorsicht'ge Schritte übern Teppich schleichen.
»Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?«
Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,
küßt wie ein Hauch die kleinen weißen Hände:
»Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.«

»Du duftest Weihrauch, Mann.« - »Ich war im Dom;
schlaf, Kind!« und wieder gleitet er von dannen.
Sie aber näht, und liebliches Phantom
spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. -
Ach, wenn du wieder siehst die grüne Au,
siehst über einem kleinen Hügel schwanken
den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,
dann tröste Gott dich, arme junge Frau!

.
Dieses Gedicht, das uns daran zu erinnern vermag, dass der übergroße Schmerz mancher Mutter nicht vergessen sein soll, benennt das Eigentliche nicht und vermittelt gerade dadurch, wie unsagbar Leid sein kann.

.Unaufhaltsam geht die junge Mutter auf den Raum tiefster Stille zu.
.
Gut zu wissen, dass es unter uns und in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die in diesem Raum Platz zu nehmen bereit sind, nicht, um etwas zu sagen, sondern um einfach mit gefalteten Händen da zu sein und zu bekunden: Ich trage mit.

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