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Mittwoch, 10. Oktober 2018

"Ich kann ohne Sneewittchen nicht leben!" - Einer der schönsten Sätze, die ich kenne; er spricht von der Kraft der Liebe.

Dieser Satz des Königssohnes gehört unter den geschriebenen Worten zu meinen absoluten Lieblingssätzen und neben Aschenputtel - jenes aus einem anderen Grund, von dem ich ein andermal erzähle - gehört Sneewittchen zu meinen Lieblingsmärchen, nicht nur, weil der Prinz durch seine Liebe schlichtweg den Tod erfolgreich außer Kraft zu setzen vermag, sondern auch, weil ich die Zwerge, ihr kleines Reich und ihr Sprechen so köstlich finde. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass jemand nicht zutiefst von der Reinlichkeit ihrer Idylle im Zwergenhäuschen berührt ist, wenn Schneewittchen, dort ankommend, die sieben Tellerlein mit den sieben Löffelein, Gäblein, Messerlein und Becherlein und den sieben Bettchen vorfindet und nicht auch ihre Fragen so putzig findet, z.B.: Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen, wer hat aus meinem Tellerchen gegessen, wer hat in mein Bettchen getreten; oder wie einer der Zwerge, weil Schneewittchen in seinem Bettchen ruht, in den Bettchen der anderen schläft, für jeweils eine Stunde bei jedem der sechs anderen Zwerge . . . goldiger geht´s nimmer . . .

Nicht jeder Prinz ist so erfolgreich wie jener aus dem Schneewittchen-Märchen (die Brüder Grimm schrieben noch "Sneewittchen" < Link zum Märchen). Wir denken mit ziemlichem Grausen an jene, die in der Dornenhecke, die das Schloss Dornröschens überwucherte, kläglich verendeten, eine Hecke, die sich übrigens wieder hinter jenem schloss, der dann Dornröschen erlösen sollte. - Niemand also mag sich der Illusion hingeben, wer sich Prinz nenne, sei ein Prinz. Solche Selbsttäuschung endet gewöhnlich tödlich, auch wenn Prinzen dieser Machart das gewiss nicht sehen wollen und nicht wissen, dass man als Prinz zudem die Fähigkeit haben muss, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein . . .

Ganz sicher ist es so, dass die sieben Zwerge ihr "totes" Schneewittchen - bzw. desssen Sarg - nicht herausgegeben hätten, wenn dieser eine Königssohn nicht so dringlich darum gebeten hätte. Und vielleicht hat ihnen auch ungeheuer imponiert, dass da jemand kommt, der ein Mädchen liebt, obwohl es doch "tot" ist und dennoch ohne diese Liebe nicht leben kann. Vor solch einer großen treten die sieben Zwerge mit ihrer Wertschätzung, die sie Schneewittchen entgegenbrachten, zurück und verzichten auf das Mädchen, das ihnen so ans Herz gewachsen war und das sie vergeblich mehrfach vor seiner Stiefmutter, der bösen Königin gewarnt hatten.
Eigentlich ist es wirklich unglaublich, dass da jemand kommt, der sich in eine in einem Sarg auf einem Berg aufgebahrte junge, aber doch scheinbar tote Dame verliebt. Ob dieser junge Mann Schneewittchen in Wahrheit nie anders als lebendig gesehen hat? Ob wahre Liebe alles scheinbar Leblose nie wirklich sterben lässt (mit Lazarus und Jesus könnte es ja ähnlich gewesen sein)? - Ob wahre Liebe also an den Tod nicht glaubt, ja, den Tod nicht kennt?

Dennoch, den gleichen Bewusstseinszustand hatten die beiden nicht. Offensichtlich aber hat der Prinz nicht gedacht: Was ich liebe, muss auf jeden Fall lebendig sein ...

Natürlich wissen wir, dass im Märchen Schneewittchen der Seele des Menschen gleicht, versunken in den Erdenzustand, damit in tiefste Materalität und Ferne zu allem wirklich lebendigen Göttlichen und verhaftet dem üblichen Irrglauben, Leben sei gleich Leben, unwissend, dass Menschen so tot im Leben sein können und es sind, wenn sie nicht zu einem neuen Bewusstsein erwachten, das die Bibel z.B. als geistgeboren bezeichnet. Es ist die Stiefmutter im Märchen, die jenen Bewusstseinszustand, den Menschen auf ihren Lebensreisen durchwandern müssen, repräsentiert.

Doch eine Seele kann nicht sterben und wohl für fast jede reift die Zeit des Aufwachens, wogegen sich die Menschen gerade zur Zeit zum Teil heftiger denn je zu wehren scheinen, gelingt es doch der materiellen, geistlosen Wirklichkeit immer erfolgreicher, Gaukelbilder eines schönen Scheins den Menschen vor Augen zu führen, die dann in oft dreckiges Kehrwasser geraten anstatt dem Lauf des Wassers zu folgen, getreu der Georg-Danzer-Zeile: Der Bach hat Sehnsucht nach dem Fluss, der Fluss hat Sehnsucht nach dem Meer . . .
Manchmal ist es ein scheinbarer Zufall, dass die Gefährten des Königs, Schneewittchens Sarg tragend, über einen Strauch stolpern, der  einfach so im Weg stand, wodurch sich das Apfelstück im Inneren Schneewittchens lösen kann.

Das Märchen schreibt nicht darüber, dass auch solch ein Zufall, obwohl immer auch das, was wir Gnade nennen, eine Rolle spielen mag, verdient sein will durch ein - wie altmodisch das auch immer klingen mag - tugendhaftes Leben. Denn was Menschen heute oft verachtungsvoll übersehen, ist, dass mit jeder Tugend, deren sich der Mensch intensiv und erfolgreich befleißigt, seine Seele reift. - Es wäre an der Zeit, dass irgendjemand das den Menschen wieder klarmachte; vielleicht würden dann weniger Menschen versumpfen; erschreckend, wie viele das zur Zeit sehr bewusst tun. Leider erkennen zu wenige, dass Donald Trump ein so wirkungsvolles Flagschiff der Tugendlosigkeit ist, der für so viele Zeitgenossen Lügen und Menschenverachtung hoffähig machen soll und macht. Gut, wer um des Kaisers Kleider weiß bzw. um die des Präsidenten und diesen nackt zu sehen vermag, das heißt, wie er wirklich ist.

Welche Macht das Böse hat, wird ja in vielen Märchen klar, und klar wird auch zum Beispiel im Rotkäppchen-Märchen, wie wirkungsvoll es arbeitet (auch wenn es nicht alle Regeln außer Kraft setzen kann) und warum die Mutter des Mädchens jenem nahelegte, nicht vom rechten Weg abzugehen. - Dazu allerdings ist für wohl alle Menschen das sogenannte Böse zu raffiniert. Das aber muss wohl so sein, sonst gelänge der Mensch nicht zu jener wahren Freiheit, zu der er gegen Ende seines Weges gelangt. Wer immer brav bleibt oder so tut, als ob er es sei, bleibt auch immer durch das Böse gefährdet.
Eben solange, wie er den Königssohn in sich erfolgreich auf Distanz zu seiner Seele halten kann.
Ich finde es trotz einer zum Teil erschreckenden Wirklichkeit, die uns umgibt, tröstlich, empfinden zu dürfen, dass wider allen äußeren Schein viele Königssöhne unterwegs sind.

3 Kommentare:

Gisela Seidel hat gesagt…

Lieber Johannes,

langsam taste ich mich durch die Gedanken Vielfalt Ihrer Blog-Beiträge. Es macht mir Freude, Ihren Ausführungen zu folgen, und es tut gut, eine tiefgründige Seele, wie die Ihre, anzutreffen. Es gibt nicht viele Zeitgenossen, die sich für Gedichte und Märchen interessieren. Ich habe schon als kleines Mädchen Märchenbücher ‚verschlungen‘, obwohl mich so manche Brutalität geängstigt hat.

Die Protagonisten der alten Geschichten pendeln zwischen Gut und Böse, wie im wirklichen Leben. Oft ist die Grenze der Versuchungen überschritten. Dann nämlich, wenn der Königssohn aus vermeintlicher Liebe den gläsernen Sarg an sich nimmt, um sich an Schneewittchens Anblick zu ergötzen. So kann er doch nur das Äußere lieben, nicht das Innere, die Seele Schneewittchens. Ist es eine bedingungslose Liebe, oder sind es Begehrlichkeiten, die ihn treiben?

Das schöne Schneewittchen ist unschuldig und naiv, während ihre Stiefmutter, vom Neid zerfressen, Mordabsichten hegt. Die führt sie dann auch durch, wobei die ersten Versuche misslingen. Die sieben Zwerge haben eine besondere Bedeutung. In der Kabbala ist die Zahl 7 die Schlüsselzahl der materiellen, dreidimensionalen Welt.

Nachdem die Stiefmutter ihr Leben beendet hat, stirbt sie und wird in einen gläsernen Sarg gelegt. Zu-fälle kommen immer von oben. Sicher war auch das Stolpern der Sargträger ein Zufall.

Schneewittchen bezieht ihre Lebenskraft erneut und anstatt demütig zu sein, fällt sie und ihr Mann auf dieselbe untere Bewusstseinsebene wie ihre Stiefmutter: Neid, Hass, Wut, Mord und Begehrlichkeiten. Aus dem unschuldigen Mädchen wird eine schuldige Königin. Schuldig am Tod der Stiefmutter, die sich mit eisernen, rotglühenden Pantoffeln tottanzen muss.

Vergebung wäre hier die Lösung für alle Beteiligten gewesen, nicht Rache. Entgegen einer bedingungslosen Liebe verbindet das Königspaar nun ein grausamer Mord.

Wenn uns Schicksal geschickt wird, wie eine Mahlzeit, sollten wir nicht damit hadern.

Auch der Kaiser in „Des Kaisers neue Kleider“ war sich seiner Nacktheit bewusst. Trotzdem ging er in stolzer Haltung bis zum bitteren Ende, mit den Gedanken: „Jetzt erst Recht!“

Ich werde noch ein wenig in Ihren Beiträgen stöbern.

Haben Sie eine gute Zeit.

Beste Grüße
Gisela

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Liebe Gisela.

danke für Ihre freundlichen und aufmerksamen Gedanken. Ja, ich finde es wichtig zu sehen, dass wir alle dieses Gute und Böse in uns haben. Manchmal kommen wir uns ja recht gut vor, ohne zu merken, dass wir vor einer Dornenhecke stehen und nicht zu uns hineinkommen (ein schauriges Beispiel hat ja Kafka mit seiner Türhüterlegende gestaltet https://bit.ly/2EwCarT ). Deshalb ist es so wichtig, dass wir achtsam sind und uns selbst auf die Schliche kommen. Ich glaube, die Lektüre von Märchen öffnet da auch unbewusst Türen. Auf einmal öffnet sich eine Bewusstseinstür, die bisher verschlossen war. Solange wir aber Dornen zu Rosen erklären, läuft nichts.

In dem Märchen heißt es übrigens: "es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt.". Damit ist m.E. nicht Sneewittchen angesprochen, sondern die Verfasser der Märchen folgen dem Wortlaut der Bibel, wenn es dort heißt: "es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt". Da steht nicht, wer das tut, aber es geschieht nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung, das für alle Menschen gilt: Wer Böses tut, dem ist die Axt an die Wurzel gelegt. Unabhängig davon, ob einem ein anderer vergibt: Für das, was man tut, muss man geradestehen (Vergebung hat in erster Linie für die Seele dessen, der vergibt, eine Wirkung).

Für mich heißt das: Auf der einen Seite ist eine letztendliche Vergebung möglich (Golgatha hat die Unterwelt verwandelt; zu Homers Zeiten - vor Christi Geburt - muss sie schlimm gewesen sein, wie wir diesem großen Dichter entnehmen), aber man sollte nicht auf sie spekulieren, denn die geistigen Gesetze sind in gewisser Weise unerbittlich und das gilt für eine gewisse Zeit im Leben nach dem Leben, was sich auf das sogenannte Fegefeuer bezieht. Diese Unerbittlichkeit, die sich auch am Ende im Märchen findet, ist wohl unerlässlich. Wer in das Reich Gottes will, muss wissen, dass das Göttliche keine Kompromisse kennt. Es hat kein Interesse daran, einen Bazillus in sein Reich kommen zu lassen.

Im Laufe der Zeiten habe ich immer mal wieder meine Sichtweisen geändert. Aber das wissen Sie ja, dass das, was ich schreibe, subjektiv ist und meinem derzeitigen Bewusstseinszustand enspricht (bzw. entsprach, zu der Zeit, wo ich es schrieb).

Jedenfalls freue ich mich echt, dass Sie sich mit meinen Gedanken auseinandersetzen und vielleicht die ein oder andere Anregung finden.

Liebe Grüße!
Johannes Klinkmüller

Gisela Seidel hat gesagt…

Lieber Johannes,

in meinem Märchenbuch steht geschrieben: „Da musste sie in die rotglühenden Schuhe treten und musste darin tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.“

Ich denke nicht, dass der Mensch das Recht hat, andere zu töten. Wie soll der Mensch entscheiden, wer ‚ gute Frucht‘ bringt oder nicht? Weil wir es nicht können, sollten wir lt. Bibel nicht die Frucht vom Baum des Guten und Bösen nehmen.

Jesus sagte: „Bringet darum Frucht, die der Buße gemäß ist.“ Die Stiefmutter bekam keine Zeit zur Buße.

Ein jeder trägt alle Verantwortung für sein Leben allein. Kein Zufall! Nichts geschieht ohne Ursache. Womit immer der Mensch Umgang hat, der Andere verdankt sein Dasein auch Gottes Schöpfung.

Herzlichst

Gisela