Seiten

Donnerstag, 1. November 2018

Trakls "Herbst des Einsamen": Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle . . .


 .

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden,
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.

Wer ein wenig informiert ist über das Leben des Dichters obiger Zeilen, Georg Trakl, der weiß, dass er - man kann es im Grunde so sagen - Zeit seines Lebens drogenabhängig war. Dennoch - oder vielleicht deshalb, weil er es auf einer freieren Ebene nicht schaffen konnte, nach der er sich tief in seinem Inneren wohl immer gesehnt hat - hat er Zeilen geschrieben, die hoch spirituell und bewundernswert klar waren, ich denke an jenes Gedicht, das ich als sein Abendmahls-Gedicht bezeichnen möchte, Abendmahl, nicht in kirchlichem, sondern in tief empfundenem urchristlichen Sinne, in dem Brot und Wein zusammengehören wie Himmel und Erde.

Die Topoi, also jene Bilder, die in uns etwas auszulösen vermögen, finden sich auch in dem Herbst dieses einsamen Menschen: Es sind u.a. der Flug der Vögel, der früheren Kulturen heilig und immer bedeutsam war, das reine Blau, das manchen die heilige Farbe Marias, anderen einfach die des Himmels und geistiger Weite und Unbeschränktheit ist, und jene Stille, in die hinein wir zwar oft dunkle Fragen stellen mögen, die aber so gern für uns mit Milde antwortet. Selbst wenn auf einer äußeren Ebene das Rohr rauscht oder uns ein köchernes Grauen vor der Vergänglichkeit, das mit dem Herbst in dunklen Stunden einhergeht, anfällt, so sind es Engel, die aus den blauen Augen - eine Farbe, die sich bei Trakl wie bei vielen Dichtern des Expressionismus immer wieder findet - von Liebenden hervortreten.

Mit diesem Gedicht sagt Trakl - vielleicht aus der tiefen Not seiner leidenden Seele heraus - Ja zur Vergänglichkeit, der er sich irgendwann auch bewusst hingegeben hat, weil er das Leid dieser Welt nicht mehr aushalten konnte; wenn man um die Umstände seines Todes weiß, kann man das nur zu gut verstehen. 

An der Saale im Kurpark Bad Kissingens

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

...Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle.
Was für ein Satz.
Ich höre ihn gerade zum ersten Mal,
und er nimmt mich sofort mit.

Danke dafür.

Gruß
G.

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Sorry, dass ich den Kommentar erst jetzt veröffentliche, ich habe ihn erst gerade vorhin entdeckt. Mir ist das mit einigen passiert, weil ich aus irgendwelchen Gründen nicht per Mail informiert worden bin.

Ja, diesen Satz finde ich auch unglaublich, wie Trakl überhaupt. Was für ein schwieriges Leben hat er gelebt und dennoch, obwohl er so früh glaubte, gehen zu müssen, dennoch ein so erfülltes!

Liebe Grüße,
Johannes Klinkmüller