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Mittwoch, 16. Januar 2019

Herz-Schmerz-Karneval der Gefühle: "... da schleicht der Mond so heimlich sacht" - hach, die deutsche Romantik!!

Wer annimmt, das folgende Gedicht - Nachts von Joseph von Eichendorff - gäbe meiner Meinung nach die wirkliche Seite der deutschen Romantik wieder, irrt sich gewaltig. Zu ihr gehört die Klarheit eines Novalis ebenso wie all jene Märchen, die das Böse mutig entlarven.

Böse nun ist das folgende nicht, aber so schön verführerisch:


Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Thal
Erwacht die Nachtigall,
Dann wieder alles grau und stille.
O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Bäumen –
Wirr’st die Gedanken mir.
Mein irres Singen hier.
  
Wie schreibt ein Interpret(in) auf der Lyrik-Datenbank Antikoerperchen:
Das lyrische Ich wandert durch die Nacht als der Mond zum Vorschein kommt. Es scheint aber etwas bedeckt zu sein, da er nicht nur einmal hervorkommt, sondern „[o]ft aus der dunklen Wolkenhülle“ schleicht. Hier wird besonders das Auge als Sinnesorgan angesprochen. Außerdem kommen gleich zwei sehr wichtige romantische Motive vor, nämlich die Nacht, die ja schon im Titel vorkommt und der Mond. Diese Motive tragen zu einer gewissen Mystifizierung der Szene bei, vielleicht gruselt sich das lyrische Ich sogar etwas. Es scheint aber kein negatives Gefühl zu sein, denn es gibt kein Wort das darauf hindeuten würde.
Gruseln: ja, aber kein negatives Gefühl?

Ein Mond, der schleicht, könnte einen schon hellhörig machen und irgendwie sind die Reime doch auch merkwürdig unrein: hülle auf stille und Thal auf -gall.


Wie so oft kein Zufall.

So schön einlullend der Beginn, wenn das lyrische ich durch die stille Nacht wandert (Stille Nacht, heilige Nacht ...). Kein Wunder ist sein Singen wie aus Träumen. Nur können Träume auch Alpträume sein und Singen kann so irre sein (in der Interpretation wird im Übrigen später auch darauf verwiesen), auch wenn der Nachtgesang als wunderbar bezeichnet wird. Dass er die Gedanken wirrt, kann man schon mal überlesen, zudem: Mancher und manche mag das. Denken kann manchmal so anstregend sein . . .

Nicht wenige finden auch Heines Lied von der Loreley (Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, / dass ich so traurig bin ...) einfach so schön romantisch. Dass da ein Schiffer untergeht - was soll´s! Man muss einfach die Dinge getrennt sehen, die wunderschön singende Helene Loreley oben und den Fischer unten. Was hat das eine mit dem anderen zu tun!

Der Witz ist: Eichendorff macht eigentlich keinen Hehl daraus, dass das zweimal vorkommende stille sich mit grau kombiniert und dieses Singen irre ist und die Gedanken wirrt. Nur bietet er dem, der es so sehen möchte, den Nachtgesang als wunderbar an und Rufen aus Träumen ist doch auch irgendwie schön. So wie Sehnsucht.

Auch ein Eichendorff musste schließlich seine Gedichte und Novellen unters Volk bringen und Leutchen, die nicht so genau hingucken, gab es damals und gibt es heute. Das könnte ein Grund sein, warum er so dichtet.

Die Realität ist, und das wusste Eichendorff sehr wohl, dass beide angesprochenen Seiten in uns vorkommen, manchmal nur versteckt oder als Möglichkeit, manchmal ganz offensichtlich (unser Romantiker hat diese beiden Seiten hin und wieder auch in einer Person seiner Novellen aufblitzen lassen und sie nicht brav auf zwei verteilt).
Schade nur, dass so viele die deutsche Romantik mit dieser mondschleichenden, gedankenwirren und irr singenden Seite identifizieren. Die Romantik als Tiefenmöglichkeit der Seele hätte so viel Potential, Menschen aus unseligen Träumen zu reißen. Aus einer nur selbstmitleidigen Sehnsucht, einer, die das eigene Selbst so gerne einlullt.

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