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Mittwoch, 16. Oktober 2019

Es gibt Namen, die beflecken / Die Lippen, die sie nennen, / Die Erde mag sie nicht decken ... - Ricarda Huchs "Mein Herz, mein Löwe"!

Mein Herz, mein Löwe, hält seine Beute fest,
Sein Geliebtes fest in seinen Fängen,
Aber Gehaßtes gibt es auch,
Das er niemals entläßt
Bis zum letzten Hauch,
Was immer die Jahre verhängen.
Es gibt Namen, die beflecken
Die Lippen, die sie nennen,
Die Erde mag sie nicht decken,
Die Flamme mag sie nicht brennen.
Der Engel, gesandt, den Verbrecher
Mit der Gnade von Gott zu betauen,
Wendet sich ab voll Grauen
Und wird zum zischenden Rächer.
Und hätte Gott selbst so viel Huld,
Zu waschen die blutrote Schuld,
Bis der Schandfleck verblasste, –
Mein Herz wird hassen, was es haßte,
Mein Herz hält fest seine Beute,
Daß keiner dran künstle und deute,
Daß kein Lügner schminke das Böse,
Verfluchtes vom Fluche löse.
                                  (Ricarda Huch, 1864-1947)

Es gibt eine Vergebens-Esoterik, gern auch aus der Ecke der Licht-und-Liebe-Fraktion, der man mit höchster Vorsicht gegenüberstehen sollte, denn sie wird betrieben von Menschen, die, bevor sie ihre Gefühle wirklich ausgelotet haben, schon vergeben.


Ricarda Huch (1864-1947), wohl einer der weisesten Frauen, die Deutschland je gesehen hat, zudem eine überzeugte Christin, gibt in obigem Gedicht Töne von sich, die so gar nicht passen wollen zu jemandem, der mit dem Buch „Luthers Glaube” ein Werk geschaffen hat, das fast auf jeder Seite eine Offenbarung ist.

Hier in diesem Gedicht geht es ihr um die Verlogenheit, die in dem Schminken des Bösen steckt, um das Umschminken von Bösem in Gutes. Böse bleibt böse. Noch bis in die letzten Zeilen hinein bleibt Ricarda Huch unerbittlich. Selbst gegen göttliches Reinwaschen scheint sie sich zu stellen.


So viel ich weiß, hat Ricarda Huch dieses Gedicht 1947, in ihrem Todesjahr also, geschrieben, sie, die von Thomas Mann 1924 als Erste Frau Deutschlands bezeichnet wurde und die als erste Frau 1926 in die Preußische Akademie der Künste einzog, um sie 1933 konsequent wieder zu verlassen.

Ganz wohl fühle ich persönlich mich angesichts der unerbittlichen Worte, die dem Hass das Wort reden, nicht. Noch in die Zukunft hinein – die Verwendung des Futurs dokumentiert das – legt sie sich fest. Die Rigorosität ihrer Aussage ist unverkennbar. Ich vermute, sie hängt zusammen mit dem, was sie über viele Jahre mit ansehen musste. Das hinterlässt gerade in einer so sensiblen Seele Spuren, und es mag sein, dass sie auch deshalb zu solchen Worten griff, weil sich abzuzeichnen begann, dass sich in Deutschland eine Kultur des Von-nichts-mehr-wissen-Wollens und Hinwegsehens andeutete. 

Mir persönlich ist eine Aussage wie die ihre, auch wenn sie aus christlicher Sicht fragwürdig sein mag, zehnmal lieber als das Gesäusel berufsmäßiger Vergebens- und Vergessenskünstler. 
Ricarda Huchs "Hass" dünkt mir eh viel eher ein gerechter und wahrlich gerechtfertigter Zorn zu sein, der sich gegen jene richtet, die scheinheilig vergeben, in Wirklichkeit aber das Böse - auch in sich - nur schminken.

PS: In meinem Kommentar (ggf. auf "Kommentare" klicken) revidiere ich die Sichtweise des letzten Satzes insofern, als ich Hass nicht mehr in Zorn umdeuten mag, vielmehr für wichtig halte, den Hass als solchen anzunehmen, weil diese Annnahme den Weg freigibt, ihn zu überwinden und den Weg der Heilung zu beschreiten. Insofern ist Ricarda Huchs Gedicht, so belastend auch ihr Hass sein mag, auf dem Weg zur Heilung, denn nur das Sich-Bekennen zu dem, was in einem ist, hilft auf dem Weg zur Wahrheit.

3 Kommentare:

Marikka Schaechtelin hat gesagt…

Lieber Johannes,

Du stellst zwei Extreme gegenüber, die beide in sich erstarrt sind. In dem Gedicht kommt ein abgrundtiefer Hass zum Ausdruck, der ebenso wie die Maske der Scheinheiligkeit der Licht-und-Liebe-Fraktion, wie Du sie nennst, erstarrt ist. Auch der Hass auf das Böse lässt sich nicht umschminken in das Gute. Er bringt keine Heilung. Er ist auch nicht gleichzusetzen mit einem heiligen Zorn. Dieser bahnt den Weg ins Leben, was beim Hass niemals der Fall ist. Hass ist ein Gefängnis, in dem sich der Insasse selbst zerstört.
Zumindest in diesem Gedicht hat Ricarda Huch die Sophia zu Grabe getragen.

Liebe Grüße
Marikka

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Liebe Marikka,

die in Auschwitz ermordete Jüdin Etty Hillesum hat Hass als eine Erkrankung der Seele bezeichnet und vor 10 Jahren wurde von zwei renommierten Instituten in Wien eine Fachtagung zur Unversöhnlichkeit als psychischer Krankheit veranstaltet. Hass stellt offensichtlich - zumindest in vehementer Ausprägung - eine seelische Erkrankung dar.
Das Gedicht gibt zweifelsohne Deiner Sicht auf einen abgrundtiefen Hass Ricarda Huchs Recht, und in der Tat spricht sie nicht von Zorn, den ich ins Spiel brachte, sondern von Hass, mehrfach und bis zum letzten Hauch.
An anderer Stelle hat sie geschrieben (https://bit.ly/2nVMsvB):

Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.

Wer so schreibt, hat ein Bewusstsein über die Bedeutung von Schmerzen und in Bezug auf den Stein in der Seele und ein Bewusstsein in Bezug auf den eigenen Hass.

Es ist gut, dass Ricarda Huch offensichtlich ein Bewusstsein ihres Hasses hat, auch seiner hohen Dimensionalität (einmal angenommen, man darf hier das lyrische mit ihr identifizieren): dann ist auch seine Überwindung möglich.
Voraussetzung für diese Überwindung ist eben dieses schonungsloses Bekenntnis (vor sich, ggf. auch - wie hier - vor anderen); insofern bin ich für sie froh um dieses Gedicht und ihren Mut.
Für uns mag das wie Selbstzerstörung aussehen, aber wer sich dessen bewusst ist, welche Steine wir Menschen alle in uns haben und welchen oft bestens verkapselten Hass, der weiß auch, wie wichtig es ist, dass das eigene Ich ihn offenlegt; das tut die Autorin. - So ist Ricarda Huchs Bekenntnis Voraussetzung für Heilung, wobei ich ihr natürlich wünschte, dass sie vielleicht noch in ihrem Leben erste Schritte in Richtung auf Versöhnung hat getan haben können, weil ich mir ansonsten vorstellen müsste, dass es für ihre Seele in der sogenannten Kamaloka-Phase in dem Leben zwischen den Leben in Bezug auf die Hass-Verarbeitung ziemlich ungemütlich geworden ist.

Auf dem Hintergrund des von Dir und mir hier Geschriebenen würde ich meinen letzten Satz so nicht mehr schreiben wollen. Und ich würde in meinem vorletzten nicht mehr formulieren, dass mir Hass unter gewissen Umständen zehnmal lieber ist als irgendwelches Gesäusel, sondern klarer schreiben, dass das Bekenntnis zu ihm Voraussetzung für Heilung ist.

Danke für Deinen Kommentar, der mich hat erkennen lassen, dass es nicht um einen gerechten Zorn gehen kann, sondern darum, zu seinem Hass zu stehen, wenn er auch aus religiöser und moralischer Sicht verurteilt werden mag und als Krankheit gilt, weil ein Bekenntnis Voraussetzung für Heilung ist, wenn vielleicht auch nicht mehr in diesem Leben, so doch in einem der nächsten.

Noch ein PS

Wie religiös unverfroren und zugleich unglaublich mutig die gläubige Christin ist, zeigt, dass sie sich sogar über Gottes mögliche Vergebung stellt („Und hätte Gott selbst so viel Huld,/Zu waschen die blutrote Schuld,/Bis der Schandfleck verblasste, –/Mein Herz wird hassen, was es hasste”). Das mag noch einmal die Dimension ihres Hasses unterstreichen.
Ihre Aussage kann ihr gewiss nicht leicht gefallen sein. Für die Entwicklung ihrer Seele hin zu prometheischer Freiheit, die für das Menschengeschlecht offensichtlich vorgesehen ist, mag sie jedoch sogar wichtig gewesen sein - ich schreibe „mag”; ich weiß es nicht. Zu ewiger Verdammnis, wird sie nicht führen, allein schon deshalb, weil es die nicht gibt, auch wenn das manchen orthodox Religiösen gewaltig stört.

Marikka Schaechtelin hat gesagt…

Lieber Johannes,

ich bin froh über Deine Erkenntnis und stimme Dir zu, dass das schonungslose Bekenntnis von dem was wirklich ist, der erste Schritt zur Heilung ist. Es geht mir nicht darum Ricarda Huch zu verurteilen, sondern darum, aufzuzeigen, dass eine Erlösung nur stattfinden kann, wenn wir aus den Extremen wieder in die Mitte kommen.
Das große Leid so vieler Menschen gilt es bewusst zu machen und auch nicht in einen Mantel aus Licht und Liebe zu hüllen, der den Heilungsprozess im Grunde verhindert und tatsächlich nur scheinheilig ist. Die Wahrheit muss ungeschminkt ans Licht kommen dürfen, alles andere erhält das Leiden und schafft immer wieder neues Leiden. Die Wahrheit enthüllt sich von innen nach außen. Sind wir bereit, uns von ihr erweichen zu lassen, uns zu öffnen,tritt Frieden ein. Es ist unsere Entscheidung. Die ewige Verdammnis ist eine Erfindung der monotheistischen Religionskrieger. Im Grunde ist es Abbild ihres eigenen Zustandes, das Gefängnis, das sie sich selbst geschaffen haben und in das sie auch andere Menschen einsperren wollen. Stellt sich Ricarda Huch über diesen Gott, den falschen Gott, dann ist es tatsächlich ein positiver Akt. Wenn er auch, was wahrscheinlich ist, unbewusster Natur war und durch sie selbst noch erkannt werden muss.

Liebe Grüße
Marikka