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Mittwoch, 22. Januar 2020

Seine Wunde voller Gnaden / Pflegt der Liebe sanfte Kraft. - Was mancher sich wünscht! - Georg Trakls "Im Winter".

Die folgenden Zeilen gingen dem wesentlich bekannteren Gedicht >Ein Winterabend < voraus, waren gleichsam dessen erste Fassung. Sie enthalten jedoch jene zwei oben zitierten und im Folgenden hervorgehobenen Verse, die sich in Ein Winterabend nicht mehr finden, die für mich aber unnachahmlich sind in dem, was sich Menschen, die eine tiefe Wunde in sich tragen, nur wünschen mögen::

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Seine Wunde voller Gnaden
Pflegt der Liebe sanfte Kraft.


O! des Menschen bloße Pein.
Der mit Engeln stumm gerungen,
Langt von heiligem Schmerz bezwungen
Still nach Gottes Brot und Wein. 

Letztendlich ist es so, dass jeder Mensch eine tiefe Wunde in sich trägt. Es ist die Wunde des Mensch-Seins in der Art, wie wir alle es zu leben haben, seitdem sich das einstmals geschaffene Wesen, das im Hebräischen Adam Kadmon genannt wird oder welches die Germanen Yggdrasil nannten, jene Weltenesche, die über alle Himmel reichte - so groß war einst das Wesen des Menschen -, durch die luziferische Verführung, die wir aus der Genesis, dem 1. Buch Mose also, als Schlange kennen, gewaltig veränderte hin zu einer Existenz, wie wir sie in milliardenfacher Ausprägung auf unserer Erde finden. 
Gewiss will uns diese luziferische Verführung eine Freiheit bringen (manche bilden sich schon ein, frei zu sein), die uns auszeichnen wird vor allen kosmisch-hierarchischen Stufen, seien es Engel, Erzengel oder Throne (sie können "nur" den Willen Gottes tun, wir können ihn ignorieren). Aber der Weg dorthin ist schwer erkauft, und in Georg Trakl (1887-1914) wird die Zerrissenheit des Menschen, wie sie in jenem vorhanden war so wie in uns (manchen nur ist sie noch nicht bewusst, manche auch kaschieren sie bestens, weil sie Angst haben, ihr ins Auge zu schauen) so deutlich.

Viele Gedichte Trakls zeugen von dieser Zerrissenheit, manche Passagen aus seinen Briefen muten fast herzzerreißend an, wenn er förmlich um Hilfe wimmert, indem er beispielsweise an seinen Freund Ludwig von Ficker, den Herausgeber des Journals Der Brenner, in dem jener immer wieder Trakls Gedichte veröffentlichte, Ende November 1913, nur wenige Monate vor seinem selbst gewählten Tod, schreibt:
Vielleicht schreiben Sie mir zwei Worte; ich weiß nicht mehr ein und aus. Es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht. Oh mein Gott, welch ein Gericht ist über mich hereingebrochen. Sagen Sie mir, daß ich die Kraft haben muß noch zu leben und das Wahre zu tun. Sagen Sie mir, daß ich nicht irre bin. Es ist steinernes Dunkel hereingebrochen. O mein Freund, wie klein und unglücklich bin ich geworden.
Es umarmt Sie innig
                              Ihr Georg Trakl
Womöglich bestünde das Wahre in der Erkenntnis, dass dieser Gott, den wir anflehen, wir selbst sind, in den wir selbst alles Mögliche hineinprojizieren, etwas, was schon Rilke immer wieder tat ("Du Nachbar Gott ..."), nicht nur mit Gott, sondern auch den schrecklichen Engeln, die er auftauchen lässt. 
Ich will damit nicht sagen, dass es nicht etwas, das wir mit dem Wort Gott zu erfassen suchen, gibt, aber sich zu dieser Instanz zu erheben, setzt ein Bewusstsein dafür voraus, dass wir immer auch in Gefahr sind, uns selbst anzurufen, weil wir in Wahrheit bisher nicht über uns hinauskommen. Manchmal mag das auch besser sein und Schiller hat dieser Tatsache >Das verschleierte Bild zu Saïs< gewidmet, ebenso Kafka, als er seine >Türhüterlegende< schrieb. Schiller wusste wohl, um was es ging, Kafka mag eher unbewusst jene Tatsache beschrieben haben, warum es gut ist, dass es einen Türhüter vor dem Gesetz gibt (Drogen setzen zumeist jenen außer Kraft, weshalb es diesen Abhängigen so schlecht geht (sie verkraften nicht, was zumeist unbewusst, wenn sei eintreten - Kafka nennt, was da kommt, Gesetz -  auf sie einströmt).

Wir haben wohl beides in uns: den Glanz des Himmels und tiefste Finsternis.          

2 Kommentare:

Marikka Schaechtelin hat gesagt…

Ein sehr schönes Gedicht. Die zwei hervorgehobenen Zeilen haben es wirklich verdient, besonders geachtet zu werden.
Deine Gedanken zu dem Gedicht zeugen von einer sehr tiefen Auseinandersetzung mit dem Leben, mit Gott und mit Dir selbst. Wer so tief herabsteigt, kann die Leiter im Urgrund gut verankern. Ich wünsche Dir viel Freude und Kraft in Deinem Tun.

Liebe Grüße
Marikka

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Liebe Marikka,

danke für Deine unterstützenden Worte.
Ich wünsche auch Dir alles Gute für Dein Tun!

Liebe Grüße von Johannes