Seiten

Montag, 25. Mai 2020

"Zwei Särge, doch ein Grab, so soll es sein" - Karl May für seine Klara zur Verlobung und Hochzeit: zwei Gedichte.

Das erste Gedicht schrieb der 41-jährige Karl May 1903 seiner zweiten Frau Klara zur Verlobung:

Wir strebten beide Hand in Hand
Zum Himmel auf und seinen Sternen,
Doch ist's nicht leicht, nach jenem Land
Die rechte Wanderschaft zu lernen.
Es gibt der Wege allzuviel,
Doch welcher ist der rechte Pfad?
Zeig meinem Auge stets das Ziel
Und sei mein guter Kamerad!

Ragt eine Klippe hier und dort,
Will mich ein Trug zum Abgrund leiten,
So sage mir ein warnend Wort,
Den Sturz, den schweren, zu vermeiden!
Und wenn es uns beschieden ist,
Daß sich ein Feind verborgen naht,
So warne mich vor seiner List
Und sei mein guter Kamerad!

Und wenn ich schwach und müde bin,
Die schwere Wandrung zu beenden,
So knie freundlich zu mir hin
Und stärke mich mit sanften Händen!
So folgen beide wir der Bahn
,Du durch den Rat, ich durch die Tat,
Und kommen froh und glücklich an,
Ich und mein guter Kamerad.


Das zweite Gedicht schrieb er zu Ehren ihrer beider Hochzeitstag und überschrieb es:

AM HOCHZEITSTAG

Komm, Liebling, komm, wir wollen scheiden gehen;
Die Erde hat es uns so leicht gemacht.
Ich kann nicht traurig vor dem Abschied stehen,
Wenn er so froh in deinen Augen lacht.
Wir wollen Hand in Hand uns niederlegen;
Zwei Särge, doch ein Grab, so soll es sein.
Und über uns des ew’gen Vaters Segen,

Doch nie und nimmermehr ein Leichenstein!

Und rollt die Erde auf die Särge nieder,
So lächeln wir beglückt einander zu,
Man singt uns zwar vielleicht dann Sterbelieder,
Doch die Gestorbnen sind nicht ich und du.
Wir haben ja nur das zurückgegeben,
Was von der Erde uns geliehen war,
Und stehen beide als vereintes Leben
Bei unsern Särgen, wenn auch unsichtbar.

Die letzte Stunde naht, am Firmamente 
Wird Licht um Licht vom Vater aufgestellt, 
Er ladet uns zur stillen Jahreswende,
Zum neuen Sein dort in der andern Welt,
Schau auf! Du sollst in meinen Sternen lesen,
Was in den deinen längst geschrieben lag:
Wir sind auf Erden  n u r  v e r l o b t  gewesen;
Der Todestag ist unser  H o c h z e i t s t a g !


Gewiss war Karl May auch ein Schwerenöter.
Doch wer denkt, solch eine Klassifizierung beinhalte einen Vorwurf, der irrt (zumal er ein liebenswerter Schwerenöter war - und doch noch so viel mehr!).

Denn wer von uns ist nicht irgendetwas, worüber der Spießbürger von nebenan die Nase rümpft.

Auffallend ist, eine Frau, die man liebt und heiratet, im Rahmen eines Gedichtes zur Verlobung in erster Linie als Kamerad zu bezeichnen. Sicherlich hängt es damit zusammen, dass seine so intensiven Lebenserfahrungen ihn die Ehe in einem anderem Licht haben sehen lassen, als das jung Vermählte gewöhnlich tun, was sich auch darin zeigt, dass er den Lebensabschnitt, den beide nun beginnen, als Wanderung begreift. Darin zeigt sich auch jene große Wandlung, die nicht allein nur sein Zuchthausaufenthalt bewirkt haben mag.
Er begreift, dass er für die Menschenseele schreiben will, wie er selbst sagt.

Vergleichbares gilt für das Hochzeitsgedicht: Unglaublich, zu Beginn von Scheiden und Abschied 
zu schreiben, von Särgen und dem gemeinsamen Grab. Doch zeigt sich, wie ernst es Karl May einerseits mit seiner Spiritualität und andererseits mit seiner Liebe gewesen sein muss, spricht er doch von einem vereinten Leben, das daran erinnern mag, dass er - übrigens ja nicht nur Karl May, sondern wie auch Tucholsky, Schiller und viele andere - glaubte, seine Schwesterseele gefunden zu haben. Und dass für beide vor allem auch das geistige Leben zählt, weil unser irdisches nur geliehen ist, wie er in fast pietistischem Tonfall intoniert. 
Jedenfalls: Selten hat jemand Goethes Stirb und Werde aus Selige Sehnsucht ernster genommen. Und ich wüsste nicht, dass es jemand jemals ausgerechnet für den Hochzeitstag tat. - Karl May muss sich Klaras Verständnis zutiefst sicher gewesen sein. 

Im Übrigen finde ich es ein wunderschönes Bild, wenn er schreibt, dass zur letzten Stunde Licht um Licht vom Vater aufgestellt wird.

Zahlreichen Lesern könnte unbehaglich sein, wie sehr sich Karl May zu seinem Christsein bekannte, ich erinnere in diesem Zusammenhang an einige Gedichte aus seinem Gedichtband Himmelsgedanken.
Wer will davon heute noch etwas wissen. Nur noch wenige.
Aber für Karl May lässt sich nichts daran deuteln. Der ein oder andere seiner atheistischen Fans - es werden unter den weltweit vielen Millionen Lesern Millionen sein - mag vergessen haben, dass Winnetou noch in seiner Todesstunde sich als Christ bekennt.
(Wobei angemerkt sein mag, dass kaum ein Schriftsteller sein Personal so ohn Ansehen von Stand, Nation und Religion Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe zeigen ließ.)

Keine Kommentare: