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Sonntag, 24. Juli 2011

Dem Glauben Richtung geben

Wie ein Menetekel klingt der Satz, den der 77-fache norwegische Mörder Anders Behring B. am 17. Juli in seinen Twitter-Acount stellte:
 Eine Person mit Glauben hat so viel Kraft wie 100.000, die nur interessiert sind.
 Er zitierte damit den englischen Philosophen Stuart Mill, der wohl nie geglaubt hätte, dass sein Satz einmal als Hintergrund für solch einen grausamen Exzess herhalten muss.
 Der 32-jährige christliche Fundamentalist führt uns damit vor Augen:
 1. All denen, die sich bisher über den Glauben lustig machten, ihn als seelische Realität abstritten oder meinten, er sei eine vernachlässigbare Größe: Hier haben sie den traurigen Beweis, wohin es führen kann, wenn man diese geistig-seelische Macht nicht ernst nimmt.
 2. Das bisweilen bewusst einseitig eingesetzte Schüren von Angst in Bezug auf den islamischen Fundamentalismus hat sich gründlichst relativiert.
 3. Es ist wichtig, dem Glauben eine Richtung zu geben, sonst wird man mitverantwortlich für dessen Missbrauch, denn:
 "Ich glaube an nichts" gibt den Raum frei für diejenigen, die mit ihrer Art von Glauben auf die Weise des Anders Behring B., auf die Weise islamistischer Fundamentalisten oder all derer, deren Seele krank ist, agieren.

Die Hass-"Prediger" der deutschen Wohnzimmer
Wir werden in der Folge wieder Diskussionen über christlichen und islamistischen Fundamentalismus erleben oder über radikales Engagement jedweder Art. Aus diesem Horn werden die diversen Fernsehsender wieder Minuten und Stunden und Sendungen füllen.
Das wird den Blick darauf verstellen, dass es nicht um ein politisches oder religiöses Problem geht, sondern um ein grundsätzlich menschliches: All diese Menschen, die Gewalt ausagieren, auf welcher Ebene auch immer, sind krank, ihre Seele ist krank. 
Und diese Krankheiten der Seele äußern sich in allen Formen der Gewalt. Wir finden sie in den Familien, auf beruflichen Feldern, in der Politik.
Als Gesellschaft kaschieren wir die entscheidenden Gewaltfelder, die die Grundlage für extreme Gewalt sind, indem wir uns umso mehr schockiert zeigen, wenn menschliche Gliedmaßen durch die Luft fliegen, wenn Massaker stattfinden, wenn Kriege geführt werden, wenn Terroristen ihr blindwütiges, tödliches Geschäft ausüben.
Hass und Liebe: Sie streiten um denselben Platz
Man sehe sich nur einmal die Nachmittagssendungen auf RTL oder SAT 1 an, wie da Menschen miteinander umgehen, sich angiften, sich gegenseitig ins Gesicht springen, wie hier Hass bewusst und millionenfach verbreitet wird. Diese Sender sind die medialen Hass-"Prediger", denen niemand das Handwerk legt. Diese Sendungen auf Gossenniveau sehen Hunderttausende von Jugendlichen Tag für Tag. Ein Narr, der annimmt, Hass führe zu Liebe und Frieden, zum GLAUBEN an das Gute im Menschen.
Als Gesellschaft und als Einzelpersonen weisen wir mit dem Zeigefinger auf die anderen, doch die anderen Finger weisen eben auf uns selbst.
Geflissentlich übersehen wir, wie viel Gewalt in den Formen menschlicher Sexualität steckt, wie sie über die Bildschirme flimmert und tagtäglich praktiziert wird, wie viel Gewalt in der Erziehung vorkommt.
Hat nicht Astrid Lindgren schon 1978 in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ein tief eindrückliches Beispiel vorgetragen!
Gewalt wird genau da produziert, wo Liebe sich regt und aktiv sein will: im Herzen.
In unseren Herzen beginnt der Wandel, 
er beginnt immer dann, wenn es uns gelingt, einen Akt der Gewalt gegen eine Tat der Liebe auszutauschen, eine liebevolle Handlung der Gewalt vorzuziehen.
Immer dann siegt die Menschlichkeit. Immer dann verändert sich die Welt.
Im Kleinen beginnt sie, und das so genannte Kleine ist doch so wichtig, so groß.
Glauben ist eine Körpererfahrung.
Ja, erst wenn wir das begreifen, wenn wir begreifen, wie eng der Zusammenhang zwischen körperlicher und seelischer Erfahrung ist und wenn wir annehmen können, dass sie so unendlich früh schon in unserem Leben beginnt - eben auch als körperliche Erfahrung, dann fangen wir wieder an, bewusst zu glauben.
Glauben ist eine ureigene menschliche Erfahrung und nur wer sie in seinen ersten Tagen auf der Erde macht, kann wirklich glauben.
Wer sie nicht gemacht hat, für den ist diese Fähigkeit, glauben zu können, nicht verloren. Er muss sie bewusst nacharbeiten. Um so bewusster wird sie ihm dann zuteil. 
Zuerst aber steht die bittere Erkenntnis, die viele Menschen sich nicht eingestehen: Ich kann nicht glauben.
Wie eng dieses Glauben-Können mit unserem Kindsein verankert ist und wie wunderschön es ist, glauben zu können, machen die Worte Alexander Lowens, des Begründers der Bioenergetik, deutlich, die ich in seinem Buch Depression. Unsere Zeitkrankheit. Ursachen und Wege der Heilung gefunden und seitdem nie wieder vergessen habe; sie können unserem Glauben eine Richtung geben:


"Starke Menschen haben einen Glauben
und Leute, die einen Glauben haben, sind stark. Man kann beides nicht voneinander trennen, denn eins spiegelt das andere. Der Glaube eines Menschen ist ein Ausdruck seiner ihm als Lebewesen innewohnenden Vitalität, genau wie seine Vitalität ein Maßstab für sein Vertrauen zum Leben ist. Beide sind von der Wirksamkeit biologischer Vorgänge im Organismus abhängig.  [...]

Wenn man einen Glauben hat, kann man Vertrauen in die Zukunft setzen, selbst wenn sie im Augenblick nicht zu verheißen scheint, dass die Bestrebungen, Hoffnungen oder Träume, die man hegt, je Wirklichkeit werden. Aber nicht die Bindung an eine persönliche Zukunft ist wesentlich für den Glauben. Die Geschichte ist überreich an Beispielen von Leuten, die ihre individuelle Zukunft um ihres Glaubens willen geopfert haben. Viele sind lieber gestorben, als ihren Glauben aufzugeben. Das kann nur heißen, dass für sie ein Leben ohne Glauben sich nicht lohnte. [...]

Wenn wir einen Glauben haben, ist uns das Leben allgemein kostbar. Wegen dieser Ehrfurcht vor dem Leben geben wir uns die größte Mühe, ein einzelnes Leben zu retten, womit auch das Leben eines Tieres gemeint sein kann. Wenn wir das Gefühl dafür verlieren, dass jedes Leben kostbar ist, geben wir unsere Menschlichkeit auf, was unweigerlich zur Folge hat, dass unser eigenes Leben leer und sinnlos wird [...]

Nun kann man zwar Glaubensunterschiede als Rechtfertigung und Rationalisierung für Kriege und Eroberungen gebrauchen, aber ich glaube nicht, dass sie der wahre Beweggrund sind. Dieser ist im Kampf um die Macht zu suchen. [...]

Menschen, die der Macht vertrauen, scheinen nie genug zu haben, um sich vollständige Sicherheit zu verschaffen. Das liegt daran, dass es vollständige Sicherheit nicht gibt. Und unsere Macht über die Natur oder über unseren eigenen Körper ist eng begrenzt. Hitler wollte die Welt durch seine Macht beherrschen und ein Drittes Reich schaffen, das tausend Jahre dauern sollte. Sein Traum fiel in zwölf Jahren in Schutt und Asche. Der Glaube, Macht garantiere Sicherheit, ist eine Illusion, die den wahren Glauben an das Leben untergräbt und unweigerlich zur Zerstörung führt [...] Sie scheint zwar ein gewisses Maß an äußerer Sicherheit zu bieten, aber sie schafft auch einen Zustand der Unsicherheit, sowohl im Inneren des Individuums als auch in seinen Beziehungen zu anderen [...]

Egoismus und Glaube sind einander diametral entgegengesetzt. Einem Egoisten geht es nur um seine Vorstellung; einem Mann des Glaubens geht es ums Leben [...]

Man kann nur wenige Menschen als totale Egoisten bezeichnen, aber in unserer Gesellschaft sind mehr Menschen auf der Seite des Ichs zu finden als auf der Seite des Glaubens. Unsere Kultur, unsere Erziehung und unsere gesellschaftlichen Einrichtungen begünstigen die Ich-Position. Der größte Teil der Werbung arbeitet mit Appellen an das Ich. Die Schulbildung fördert die Ich-Position durch ihre starke (und nach meiner Ansicht übertriebene) Betonung des abstrakten Denkens. Das abstrakte Denken trennt meistens das Individuum von seiner Umwelt, sowohl der menschlichen als auch der naturgegebenen. Es hat natürlich dem Menschen die unermessliche Macht gegeben, die er besitzt, aber das ist auf Kosten seines Glaubens geschehen [...]

Wir glauben anscheinend fest an die Macht der Schulerziehung. Aber sie ist nicht darauf ausgerichtet, das Herz des Menschen zu erreichen. Sie will den Geist unterrichten; sie kann daher Ansichten verändern, ohne den Glauben im geringsten zu beeinflussen [...]

Ich bin sicher, wir alle haben schon gesehen und sind beeindruckt gewesen davon, wie weit der Jungvogel Schnabel und Körper aufmacht, um das von der Mutter Angebotene zu empfangen.

Ein Säugling öffnet sich und sucht in der gleichen Weise nach der Brust, um sie zu empfangen. Es ist nicht nur der Mund, der sich öffnet, sondern die Kehle und der Körper, nicht nur die Lippen und Hände greifen aus, sondern das ganze Sein des Kindes. Das Sich-Öffnen und das Ausgreifen beginnt als eine Welle der Erregung im Mittelpunkt des Körpers, die aufwärts durch die Brust und hinaus durch die Arme, die Kehle, den Mund und die Augen strömt. Das begleitende Gefühl kann man beschreiben als ein Ausgreifen vom Herzen aus oder ein Sich-Öffnen, das bis ins Herz hineinreicht und das Herz einbezieht. Der Säugling öffnet sich und greift mit Liebe aus und kann die Liebe in sich hineinnehmen, die ihm angeboten wird.

Das Öffnen der Persönlichkeit bedeutet ein Öffnen des Herzens eines Menschen, so dass er fähig ist, Liebe auszudrücken und zu empfangen. Dies ist keine Metapher, sondern eine physische Reaktion. Ein Herz ist offen, wenn das Gefühl oder die Erregung im Herzen frei in die Arme oder durch die Kehle und in den Mund und die Lippen oder aufwärts und in die Augen strömen kann. Genau wie Impulse auf diesen Wegen nach außen strömen, so strömen Eindrücke auf ihnen nach innen. Ein offener Mensch spürt die Zuneigung, die andere für ihn empfinden, in seinem Herzen. Das Gefühl strömt vom Herzen aufwärts und abwärts im Körper [...]

Wenn wir von jemand sagen, er habe ein verschlossenes Herz, meinen wir, man könne an sein Herz nicht herankommen. Sollte das Herz sich jemals verschließen, würde der Mensch sterben. Man kann jedoch die Wege zum Herzen von oben wie von unten her verengen und beschränken. Und man kann durch Muskelverspannungen, die die Brust starr und unbeweglich machen, den Brustkorb in ein Gefängnis verwandeln. Die starre, geblähte Brust sagt in der Körpersprache: „Ich will dich nicht nah an mein Herz heranlassen.“ [...]

Wer nicht in Kontakt mit seinem Körper ist, weiß nicht, dass er verschlossen ist. Er spricht von Liebe, er macht sogar einige Liebesgesten, aber da er nicht mit dem Herzen bei seinen Worten oder Taten ist, können sie nicht überzeugen. Er weiß, wie wichtig Liebe ist, daher versucht er, auf indirektem Weg die Liebe zu bekommen, die er braucht. Er wird versuchen, anderen zu helfen, ohne zu erkennen, dass er seine eigenen Bedürfnisse auf sie projiziert. Da er auch sich selber verschlossen ist, verlegt er sein Problem in die Außenwelt, außerhalb seiner selbst [. . .] Da er verschlossen ist, berührt es ihn nicht, wie andere auf ihn reagieren; dadurch wird er nie das Gefühl los, die anderen täten nie genug [...]

Wenn jemand mit seinem Körper in Fühlung kommt, eröffnet sich ihm eine neue Art, sich selber zu verstehen, die sich allmählich in Selbstannahme verwandelt. [...]"



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