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Donnerstag, 25. April 2019

Ich habe Dich geliebet und ich will Dich lieben, / Solang’ Du goldner Engel bist . . . Matthias Claudius für seine Frau Rebecca

Anlass war beider silberne Hochzeit und ich kann mir vorstellen, dass ein solches Geschenk eine Frau sehr glücklich macht, denn wie so vieles bei Matthias Claudius glaubt man auch hier zu spüren, wie sehr diese Zeilen für eine Frau, die ihm zwölf Kinder gebar, von Herzen kommen:


Ich habe Dich geliebet und ich will Dich lieben,
Solang’ Du goldner Engel bist;
In diesem wüsten Lande hier, und drüben
Im Lande wo es besser ist.

Ich will nicht von Dir sagen, will nicht von Dir singen;
Was soll uns Loblied und Gedicht?
Doch muß ich heut der Wahrheit Zeugnis bringen,
Denn unerkenntlich bin ich nicht.

Ich danke Dir mein Wohl, mein Glück in diesem Leben.
Ich war wohl klug, daß ich Dich fand;
Doch ich fand nicht. GOTT hat Dich mir gegeben;
So segnet keine andre Hand.

Sein Tun ist je und je großmütig und verborgen;
Und darum hoff’ ich, fromm und blind,
Er werde auch für unsre Kinder sorgen,
Die unser Schatz und Reichtum sind.

Und werde sie regieren, werde für sie wachen,
Sie an sich halten Tag und Nacht,
Daß sie wert werden, und auch glücklich machen,
Wie ihre Mutter glücklich macht.

Uns hat gewogt die Freude, wie es wogt und flutet
Im Meer, so weit und breit und hoch! –
Doch, manchmal auch hat uns das Herz geblutet,
Geblutet... Ach, und blutet noch.

Es gibt in dieser Welt nicht lauter gute Tage,
Wir kommen hier zu leiden her;
Und jeder Mensch hat seine eigne Plage,
Und noch sein heimlichCrève-cœur



Heut aber schlag ich aus dem Sinn mir alles Trübe,
Vergesse allen meinen Schmerz;
Und drücke fröhlich Dich, mit voller Liebe,
Vor Gottes Antlitz an mein Herz.

Donnerstag, 11. April 2019

Volkslieder vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt und Weisheit einer Volksseele. Sie stärken die Lebensfreude und schützen durch ihre Einfachheit gerade in der heutigen Zeit unser Inneres..

Volkslieder spiegeln die Ausdruckskraft einer Kultur, ihre Tiefe, ihren Reichtum. Wir finden sie in den carmina burana, also den Beurer Gesängen, in Des Knaben Wunderhorn, der legendären Liedsammlung der Romantiker, oder im Zupfgeigenhansl, dem Liederbuch der Wandervogelbewegung. An Wilde Gesellen, vom Sturmwind durchweht oder der Blauen Blume, an deren Lebensauffassung und Geistigkeit, scheiterten und scheitern Nationalsozialisten. - Volkslieder vermitteln Lebensfreude, sie heilen und trösten und weisen den Weg zu unserem wertvollen Inneren.




Von Wir wollen zu Land ausfahren oder Hohe Tannen weisen die Sterne und anderen Liedern nehmen wahrscheinlich nicht wenige an. dass sie im Nationalsozialismus missbraucht worden wären. Doch weit gefehlt. Hohe Tannen zum Beispiel flog im Dritten Reich aus Schulbüchern heraus, weil es ein Lied der Bündischen war und zudem die Edelweißpiraten, eine Gruppierung der Bündischen im Widerstand eine eigene Strophe beifügte, die endete: Schlagt die Hitler-Jugend entzwei.

Davon und von vielem anderen erzählt das Video.

PS Um einem weit verbreiteten Irrtum entgegenzutreten: Gerade die bekannten deutschen Volkslieder wie Kein schöner Land oder Am Brunnen vor dem Tore oder Abend wird es wieder genügen einem hohen künstlerischen Anspruch. Dass scheinbar Einfaches einfach zu schreiben sei, ist eine völlig falsche Annahme.

Hier einige Materialien aus dem Video:


Der folgende Ausschnitt zeigt, warum Wilde Geselllen nicht dem Material entsprach, mit dem Hitler und Konsorten arbeiten wollten:

Dienstag, 2. April 2019

"Versäumter Schlaf von einem vorgen Sein". Heute wenig bekannt, aber als Mensch und Dichter unserer Beachtung wert: Christian Wagner

Durch seinen ca. 20 Kilometer vor den Toren Stuttgarts gelegenen Heimatort Warmbronn bin ich des Öfteren gewandert und auch gefahren, ja, habe dort sogar mehrmals Bekannte besucht; leider habe ich nie daran gedacht, mir mal sein Geburtshaus anzusehen, das Ende des letzten Jahrhunderts mit knapper Not dem Schicksal entging, für einen Supermarkt dahingeopfert zu werden - den Bürgern, die sich einsetzten, sei noch im Nachhinein vielmals gedankt.
Als einfacher Bauer konnte Christian Wagner (1835-1918) kaum für den  Unterhalt seiner vielköpfigen Familie sorgen, musste Schulden machen und sich zusätzlich als Holzfäller verdingen. 
Erst im letzten Drittel seins Lebens, als sich Hermann Hesse und andere für ihn einsetzten und ihm zunehmend eine recht große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde, ging es ihm besser, ja, er konnte finanziell abgesichert leben.

Für nicht wenige war er ein unbequemer Zeitgenosse, setzt er sich doch für den geschundenen Teil der Menschheit, die Schwarzen ein und weigerte sich, die Weltkriegsgegner Deutschlands, insbesondere die Franzosen, zu diffamieren.

Auch seine religiös-ethischen Gedanken fielen aus dem Rahmen, war er doch ein überzeugter Verfechter der Reinkarnation; darauf verweist auch sein Gedicht Spätes Erwachen, das zeigt, dass dieser Mann nicht, wie üblich, sein vorgeburtliches Sein cancelte und sich nicht an das Verdikt der Katholischen Kirche hielt, die durch Konzilsbeschluss allen Erdenbürgern bis heute verboten hat, an Seelenwanderung zu glauben (Lessing, Goethe, Wilhelm Busch, Michael Ende und viele andere haben sich Gott sei Dank auch nie daran gehalten):


So wie ein Mensch nach lärmendem Gelag
Noch spät zu Mitternacht nicht schlafen mag
Und seine Ruh′ erst findet knapp vor Tag,

Und süß erst schläft bei hellem Morgenschein,
So reichte in die Jugend mir hinein
Versäumter Schlaf von einem vorigen Sein.

O wüßt′ ich doch, was mich nicht schlafen ließ!
Ob mich ein Gott vom Bacchanal verstieß?
Ob ich betrunken kam vom Paradies?


PS: Eine meiner Wagner-Lieblingsstrophen lautet:
Dein ist alles, all der Blumen Glühen,
wenn hervor sie aus sich selber blühen.
All die Rosenknospen auf der Erden,
wenn sie Rosen in dir selber werden.