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Mittwoch, 8. Juni 2022

* Bereit sein für leitende Ideen * Bereit sein zur Umwandlung der Denkungsart *

Nicht das Warten auf ein Wunder, das — niemand weiß woher — kommen soll, sondern allein der Wille zu leitenden Ideen kann uns weiterführen. Der Fatalismus, bei dem wir angekommen sind, ist das allerbedenklichste Zeichen der Zeit. Denn er lähmt den Willen zu den leitenden Ideen. Und geht diese Lähmung weiter, dann treten die zerstörenden Instinkte an die Stelle der aufbauenden Vernunft. Und aus dieser Willenslähmung kann zuletzt nur der völlige Untergang kommen. Weiter, als sich viele gestehen, sind wir bereits auf dem Wege, den die zerstörenden Instinkte gehen. Es gibt einen Punkt auf diesem Zerstörungswege, auf dem nicht das «Wunder» entstehen wird, sondern auf dem so viele Ohren taub sein werden für die Vernunft, daß diese sich nicht mehr wird hörbar machen können. Heute sind wohl noch nicht die Ohren taub; aber der Wille läßt die Hörkraft nicht zur Geltung kommen. Deshalb muß immer von neuem betont werden: Die Rettung kann nur kommen,wenn eine genügend große Anzahl von Menschen von dem Willen ergriffen wird, an der Umwandlung der Denkungsart mitzuarbeiten.Wer vor dieser Arbeit zurückschreckt,kann nicht in Betracht kommen gegenüber dem,was in der Gegenwart für die Entwickelung der Menschheitnotwendig ist.
(...)
Es genügt heute nicht, bloß zu wissen, was an die Stelle des Bisherigen an Einrichtungen treten soll; es ist notwendig, daran zu arbeiten, die neuen Ideenbildungen in eine solche Richtung zu bringen, daß sie die Auflösung des alten Parteiwesens so schnell als möglich bewirken und zum Streben der Menschen nach neuen Zielen führen. Wer dazu nicht den Mut hat, der kann nichts beitragen zur Gesundung des sozialen Lebens; und wer den Aberglauben hat, solches Streben sei eine Utopie, der bautauf einen Boden, der im Einsinken ist.
(Rudolf Steiner, GA 24, 167ff)

Vor allem seit Angela Merkel ist deutlich geworden - und Olaf Scholz setzt dieses Verhalten noch intensiver fort - dass Politik darin besteht, zu schauen, wohin der Volkswille sich wendet, um dann im Sinne des Volkes und der eigenen Umfragewerte zu entscheiden. Aber die Ideen, die die Welt wirklich verändern, sind noch nie aus dem Volkswillen herausgekommen, so sehr dieser auch zu respektieren ist.
Was man bemerken muss, ist eine fatale Angst, Ideen zu gebären oder solchen, die da sind, eine neue Bedeutung zu geben.
Es fehlt unseren Führungsfiguren die Erkenntnis, dass Ideale führen können, dass sie unser Denken bestimmen.
Stattdessen bestimmen Sätze wie "Wandel durch Handel" unser Leben und an Stelle leitender Ideen sind die Gesetze des Marktes getreten, und ein mammonartiges Gebilde, genannt Börse, bestimmt unser Leben in einem Ausmaß, wie das niemand für möglich gehalten hätte. Es ist, als ob, wie man zu sagen pflegt, die Menschheit den Löffel abgegeben hätte ...
Worauf ich setze, ist, dass diese verkrustete Art zu leben, die heute das Leben der Menschheit kennzeichnet, so in sich zusammenbricht wie der Eiserne Vorhang, dessen Ende niemand vorauszusagen wagte.
Vielleicht geschieht mehr durch die Kraft unserer Gedanken, als wir zu denken wagen; denn schon immer setzten sich Gedanken in Taten um, weil sie im Kleinen unser Leben und unser Handeln bestimmen und wenn die vielen kleinen Gedankenfelder sich zusammenfinden, verändern sie unsere Welt und es geschieht, dass Eiserne Vorhänge fallen, ohne dass ein Schuss fallen muss.
Der nächste Eiserne Vorhang fällt; ich bin mir sicher; Gedankenfelder, die noch und wieder an die Kraft von Idealen und Ideen glauben, finden sich ...

Mittwoch, 1. Juni 2022

"Tiefer als der Mann." - Über weibliche Empfindungsfähigkeit und deren Bedeutung für eine Beziehung.

[Diesen Artikel habe ich zuerst veröffentlicht in meiner Facebookgruppe. Er ist etwas lang, aber vielleicht interessiert sich der oder die ein oder andere für die Thematik]

„Tiefer als der Mann“, so ist in dem von Shuttle/Redgrove verfassten und 1978 erschienenen „Die weise Wunde Menstruation“ ein Unterkapitel überschrieben. Dort heißt es:
Bei der Frau sind die Genitalien tief im Körper verwurzelt, wie ein nach innen gerichtetes Empfinden. Die >weibliche< Struktur ist die grundlegende embryonale Struktur. Im Mutterleib sind wir anfänglich alle weiblichen Geschlechts, bis die Zirkulation der männlichen Hormone einsetzt, die Klitorisstruktur sich verändert und der Penis entsteht. Er wächst nach außen, seine Nervenstruktur wird geringer ausgebildet, wodurch eine weniger intensive Verbindung zwischen erotischem und geistigem Erleben bedingt ist. Es muss festgehalten werden, dass die erotische Kapazität der Frau, ihre Fähigkeit, die Welt und die Natur der Menschen zu erfühlen – und zwar im Sinne des Verfahrens im Gegensatz zu einem abstrakten oder >geistigen< Erfassen –, größer ist als die des Mannes. Sie hat ein tieferes sexuelles Vermögen zur Wahrnehmung der realen Welt als der Mann und ist aufgrund ihrer nervlichen Organisation fähiger, körperliche und geistige Erfahrung miteinander in Beziehung zu setzen. Die Überlegenheit der Klitoris als eines Sinnesorgans gegenüber dem Penis ist physiologisch und empirisch bewiesen, da eine Frau durch klitorale Stimulation während eines einzigen Sexualaktes zu vielen Orgasmen fähig ist, der Mann aber nur zu einem, höchstens zweien. Hat ein Mann eine Frau zur Partnerin, die zu mehreren Orgasmen fähig ist, dann werden auch seine sexuellen Erlebnisse tiefer und seine Orgasmen vielfältiger sein als mit einer unerfahrenen Partnerin. Es ist festzuhalten, dass eine Frau, die sich nicht davor scheut, auch während ihrer Periode zu lieben, und sich damit nicht dem häufig vorgetragenen männlichen Tabu unterwirft, mehr Befriedigung erleben wird, weil die Orgasmuserfahrungen während der Menstruation eine andere Schwingung haben. Natürlich ist auch die Schwangerschaft eine ausgezeichnete Zeit für sexuelles Erleben, was aber lange verschwiegen wurde, aus dem oben erwähnten Interesse heraus, Sexualität von Mutterschaft zu trennen, so wie die Madonna in unserem westlichen, christlichen Glauben von der Magdalena getrennt wurde.

Die Ereignisse im Zyklus sind also weitaus tiefer verwurzelt und physiologisch gewichtiger als das, was der Mann gewöhnlich erfährt. Obgleich dies heißt, dass die weibliche Erfahrung des Lebens tiefer ist, ist die Frau, wenn sie sich diesen Ereignissen öffnet, damit aber auch ungleich verwundbarer gegenüber Aggressionen und Entwürdigungen. Aus dem Mann, der der Hüter und Schüler dieser weiblichen Fähigkeit sein sollte, ist in unseren Tagen der stolze und neidische Angreifer geworden.
(…)
Es ist durchaus möglich, dass sich der Zyklus von Zeit zu Zeit ändert und die Wissenschaftler in Verwirrung bringt. Die meisten Ärzte sind nach wie vor der Meinung, dass der >normale< Zyklus 28 Tage dauert und der Eisprung auf halbem Wege zwischen zwei Perioden, zwischen dem 14. und 17. Tag, eintritt. Bei den meisten Frauen beträgt der Zyklus jedoch nicht exakt 28 Tagen; bei vielen Frauen ist er sogar sehr viel kürzer. Um die Dinge noch mehr zu komplizieren, kann der Eisprung mit oder ohne messbaren Temperaturanstieg jederzeit während des Zyklus auftreten, manchmal sogar auch zweimal im selben Zyklus. Kurz gesagt, obwohl also der Eisprung regelmäßig in der Mitte des Zyklus auftreten kann, reagiert er aber ebenso auf bislang unbekannte Gesetze. (…)
Bis jetzt gibt es in den herkömmlichen Wissenschaften kaum Ansätze dafür, den Menschen in seiner Einheit von Körper und Geist zu begreifen, und dies betrifft besonders die Frauen, gerade weil beim Menstruationszyklus Bauch und Kopf so intensiv zusammenwirken. (..)

(..) Die weibliche Physis ist ein so empfindliches Sensorium für die verschiedensten Einflüsse, dass durchaus Grund zu der Annahme besteht, ein starker Stimulus könne den Zyklus aus dem für Frauen allgemein gültigen Rhythmus bringen; es wurde nachgewiesen, dass dies möglich ist. (…) 
Die Annahme, dass Frauen einen unregelmäßigen Zyklus haben müssen, ist so unwissenschaftlich, wie das Gegenteil zu vermuten, besonders da bereits nachgewiesen wurde, dass das zeitliche Einsetzen der Menstruation fein auf die gesamte innere und äußere Situation der Frau abgestimmt ist.
Breeda in Ruhe bluten lassen
Als Mann, der für Frauen geschriebene Bücher über den Menstruationszyklus liest, komme ich mir ein wenig vor wie einer, der am Gartenzaun steht (er reicht mir bis ans Kinn) und auf den Menstruationszyklus wie auf das Innere eines Gartens schaut und Früchte und Bäume und Blumen, auch einen Brunnen, Petersilie, Schafgarbe, Sauerampfer und eine Bank sowie ein Gartenhäuschen sieht und sich überlegt, ob er das alles kennt - oder doch nicht …
Alexandra Popes und Svanje Hugo Wurlitzers Buch „wild power. Dein Zyklus als Quelle weiblicher Kraft“ hätte ich unter normalen Umständen wohl kaum mehr als bis zur Hälfte gelesen - warum, dazu mehr in meinem nächsten Beitrag - und hätte mir damit das 7. Kapitel („Der Heilige Gral“) mitsamt dem Abschnitt „Der Gral in der Partnerschaft“ erspart, aber wer weiß, vielleicht wäre das ein Fehler gewesen und ich wäre nicht Mark begegnet, der die Macht des Zyklus zu respektieren weiß:
Das ist ein Mysterium, etwas Tiefgreifendes, das du nie wirklich verstehen wirst. Immer hörst du nur ein Flüstern … Ich vertraue darauf – es ist sehr stark. Und wenn ein Mann eine starke Frau nicht aushalten kann, sollte er sich verabschieden.
Wenn der Partner die Realität des Zyklus akzeptiert und sogar schätzen kann, so lese ich, können dadurch dieselbe beruhigende Intimität und das gleiche Verständnis in die Beziehung einfließen wie bei der Erfahrung einer Frau mit dem Zyklus selbst, mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter, jenen Abschnitten, in die Pope/Wurlitzer den Zyklus untergliedern, wobei der Eisprung im Sommer stattfindet, die Menstruation im Winter. Ausführlich gehen die Autorinnen auf diese Abschnitte ein (und ich etwas ausführlicher im nächsten Beitrag).
Breeda jedenfalls weiß, dass ihr Mann anfänglich gewisse Schwierigkeiten damit hatte, sich auf seine Frau und ihren Zyklus einzustellen,
doch mit der Zeit entdeckte er seinen eigenen Einfluss und seine Rolle in diesem Prozess.
Er entwickelte großen Respekt davor:

„Es ist etwas derartig Offensichtliches und Kraftvolles, das es doch verrückt wäre, dagegen anzukämpfen. Das ist etwas, dass auch mich verändert.“ 

Sein Wissen hilft ihm, Breeda besser zu verstehen und zu erkennen, wann sie seine Nähe wünscht und wann sie mehr Freiraum braucht. Es verleiht der ganzen Beziehung mehr Struktur und Rhythmus, macht sie harmonischer und nimmt ihr viel Konfliktpotenzial.

Marc kommt sich dabei interessanterweise wie ein Gärtner vor. „Wer pflanzt schon im Winter?“, meint er. Mit anderen Worten: Warum ein Wochenendtrip einplanen, wenn Breeda ihren inneren Winter erlebt?

„Das ist, wie ewig gegen die Natur anzukämpfen, wenn es doch viel einfacher ist, sich ihrem Lauf anzupassen. Der Zyklus ist eine so starke Kraft.“ 

Dank Max´ Respekt vor dem Zyklus gelingt es ihm zunehmend besser, Breeda abzuholen, denn ihr wahres Selbst registriert die leisen Signale seiner Bereitschaft sehr genau.
Ehrlich gesagt war ich in meinen Beziehungen frevelhaft weit davon entfernt, mich nach Frühling, Sommer Herbst und Winter in der Urlaubsplanung zu richten, ja, ich habe meine Terminvorstellungen nicht ein einziges Mal mit den Zyklusgegebenheiten meiner Partnerinnen abgestimmt.
Gut, ich war auch kein Zahnarzt und hatte keine Gattin, die wie Subpreet hätte schreiben können:
Ich helfe gerade meinem Mann beim Umzug seiner Zahnarztpraxis und stimme alle Teamsitzungen und die Architekten-Termine auf meinen Zyklus ab. Das klappt super: mein Mann hält sogar vorher mit mir Rücksprache und es tut so gut, mich im eigenen Tempo zu bewegen.
Obwohl ich mit den vorangegangenen Inhalten durchaus ziemliche Schwierigkeiten habe und mich u.a. frage, ob es noch viele Frauen gibt, die - wie eine Zahnarztgattin - die Möglichkeit haben, ihr Zyklustagebuch zur Grundlage ihrer Terminplanungen zu machen, geht es mir dennoch so, dass ich das Gefühl habe, hier etwas begegnet zu sein, dass mein Leben, wenn ich mich früher damit beschäftigt hätte, durchaus hätte bereichern können.
Natürlich lese ich auch die genannten Bücher, weil mich interessiert, auf welche Art und Weise Frauen zu diesem Thema Bücher verfassen und damit umgehen. Mit Pope/Wurlitzers Buch tue ich mir allerdings sehr schwer. Das liegt auch daran, wie sie - krass formuliert - die Mythe vom Heiligen Gral missbrauchen. Es gehört fast zum guten Ton, dass in Büchern zu diesem Thema der Gral vereinnahmt wird - in gewisser Weise zurecht. Zwar ist er bei Wolfram von Eschenbach ein Stein, aber im unvollendet gebliebenen Versroman des Chrétien de Troyes ist er eine goldene Schale und bei Robert de Boron ein Kelch, die jeweils die Blutstropfen Jesu auffingen. Noch heute wird von den Rosenkreuzern der Gral in den Pyrenäen vermutet.
Kelch und Schale sind weibliche Symbole und es liegt nahe, ihn als weiblich zu vereinnahmen.
In wildpower ist der Gral die erste der fünf Kammern, die die Tage der Menstruation ausmachen: Trennung, Hingabe, Erneuerung, Eingebung, klare Anwendung - das sind sie und über die Trennungheißt es:
In Klammer 1, Trennung, geht es um den Rückzug von der Welt. Es ist der Moment des „Todes“, eine Amputation des Egos und damit der Übergangsmoment, in dem wir den inneren Tempel betreten. Das ist der wohl spirituell mächtigste Ort im gesamten Zyklus, den wir als den Heiligen Gral bezeichnen.
Jede Frau, so heißt es, fühlt oder spürt die fünf Kammern im Einklang mit ihrer Natur und ihren Bedürfnissen- und:
Diese Eintrittskarte öffnet sich einige Stunden bis Tage vor dem ersten Tag der Blutung. Nachdem Sie sich von ihrer üblichen Alltagsrolle gelöst haben, folgt die am wenigsten körperliche und zugleich sensibelste, verlässlichste und schrankenloseste Zeit im ganzen Zyklus.
Potentiell bietet die erste Kammer die gesamte Palette der spirituellen Kräfte der Menstruation. Alles ist grenzenlos, möglich und perfekt. Normalerweise sind wir jedoch nicht ausreichend geerdet, um alles auf einmal zu erfassen. Spirituell ist dies ein besonders exponierte Art, weshalb die erste Kammer auch als die gefährlichste, gefräßigste, verstörendste Zeit empfunden wird. Es ist ein absolut heiliger Moment, der uns in tiefste Finsternis versinken lassen kann.
Der archetypische Tod des Egos kann plötzliches Entsetzen auslösen, ein Gefühl der Verlassenheit, das umso schlimmer ist, weil man sich plötzlich selbst von allen Göttern und Göttinnen im Stich gelassen fühlt. Dieses Gefühl des Verrats ist ein sicheres Zeichen, dass das Ego gestorben ist und man sich mutterseelenallein dem großen Unbekannten stellen muss.

Der gesamte Zyklus bereitet Sie auf diesen Moment des Ausgeliefertseins vor und die folgenden Kammern ermöglichen Ihnen, ihn voll zu integrieren. Wenn Sie den Weg in diese erste Kammer sehr bewusst gehen, während des Erlebnisses in der Präsenz bleiben und sich die Zeit und den Raum geben, darin zu versinken, können Sie die folgenden Kammern noch intensiver erfahren.
Ehrlich gesagt blutet mir das Herz, wenn der Weg unserer Seele vom todkranken Gralskönig Anfortas zum neuen Bewusstsein, das im Parzivalweg heranreift, wobei jene Frau, die auf Parzival wartet und die nicht von ungefähr den Namen Condwiramur, die ihn also zur Liebe führt, trägt, eine nicht unwichtige Rolle spielt, der ersten Kammer, der „Trennung“ gleichen soll.
Aber ich habe nicht nur hier, was dieses Buch betrifft, immer, wenn Spirituelles angesprochen wird, subjektiv wahrgenommen, dass alles ziemlich hohl für mich klingt und gar nicht in mir resoniert.

Ich werde in einem weiteren Beitrag auf das Buch eingehen, das natürlich auch wertvolle Informationen enthält und die Frage aufwirft, ob es nicht generell gut wäre, wenn mehr Männer genauer wüssten, wie wichtig der Menstruationszyklus für die Frau ist - und damit doch auch für die Partner, den Mann ... wäre es nicht sinnvoll, Männer wären gründlicher darüber informiert?