Denn der Ew´ge herrscht auf Erden,
Über Meere herrscht sein Blick;
Löwen sollen Lämmer werden,
Und die Welle schwankt zurück;
Blankes Schwert erstarrt im Hiebe;
Glaub´ und Hoffnung sind erfüllt;
Wundertätig ist die Liebe,
Die sich im Gebet enthüllt.
Kein Zufall, dass diesen Gesang drei Menschen singen, Vater, Mutter, Sohn.
Es ist der Gesang, der ein unglaubliches Geschehen begleitet: Ein Kind bezähmt einen Löwen mit seinem Gesang und seinem Flötenspiel.
Ein Feuer war ausgebrochen, ein Tiger und ein Löwe waren entsprungen.
Den Tiger hatte ein junger Edelmann mit seiner Pistole erschossen. Nicht notwendig, wie sich später erwies. Nicht nur, dass dieser Tiger der Schausteller-Familie, die ihn mit sich führte, gehorchte. Er war ein wunderbares Tier, der schönste Tiger seiner Art.
Doch Honorio war in Leidenschaft zur Fürstin entbrannt, und als der Tiger sich auf diese zubewegte, erkannte er nicht - vielleicht konnte er auch nicht erkennen, dass dieser für die Fürstin, in die er verliebt war, keine Gefahr war.
Er erschoss ihn.
Der Tiger, möglicherweise ein Opfer für menschliche Leidenschaften.
Der Löwe hatte sich in die alte Stammburg des Fürsten zurückgezogen. Auch er sollte liquidiert werden. Doch die oben erwähnten Fremden, Menschen aus einer anderen Welt, in völliger Übereinstimmung mit der Natur lebend, konnten den Fürsten überzeugen, dass der Löwe dem Knaben gehorche.
Und so war es auch.
Goethes Novelle ist hochsymbolisch. Unglaublich weise gibt sie Auskunft über das Verhältnis von Kunst und Natur, von Altem und Neuem, von Realem und Idealem, von Leidenschaften und deren Überwindung.
Sie lehrt, wie wir Menschen leben könnten und wenn man sie liest, ahnt man, was es mit der deutschen, der Weimarer Klassik auf sich hat; in ihr und in dem Alterswerk Goethes geht es darum, wie Ideale, wie Ideales, wie die höhere Natur des Menschen sich in unserem Leben verwirklichen lässt.
In dem Kind spiegeln sich die Eigenschaften unserer inneren Kindes, wenn es von ihm und dem Löwen, der knapp am Knie des Kindes hinliegt, heißt:
"... und wirklich sah das Kind in seiner Verklärung aus wie ein mächtiger siegreicher Überwinder, jener zwar nicht wie der Überwundene, denn seine Kraft blieb in ihm verborgen, aber doch wie der Gezähmte, wie der dem eigenen friedlichen Willen Anheimgegebene. Das Kind flötete und sang so weiter, nach seiner Art die Zeilen verschränkend und neue hinzufügend:
Und so geht mit guten Kindern
Sel´ger Engel gern zu Rat,
Böses Wollen zu verhindern,
So beschwören, fest zu bannen
Liebem Sohn ans zarte Knie
Ihn, des Waldes Hochtyrannen,
Frommer Sinn und Melodie.
Frömmigkeit und Liebe gehen bei Goethe immer Hand in Hand, und wer so lebt, dem sind, wie diesem Knaben und z.B. Daniel in der Löwengrube - und Dir, liebe Leserin, lieber Leser, wenn Du willst - Löwen zugetan.
* Euch allen wünsche ich ein löwenstarkes Osterfest *
über den Zauber des inneren Kindes und die Novelle hier mehr