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Montag, 12. Oktober 2020

Wie Goethe Sterben und Tod des lieben Freundes erlebte. - Nicht nur literarisch - beide waren auch menschlich groß! – Gerade in unseren Zeiten ein wertvolles Dokument.

Im damaligen Deutschland – auch eben in Weimar – waren bekanntlich Männerfreundschaften en vogue; dennoch aber war Goethes Beziehung zu Schiller etwas Einmaliges, nicht nur, weil keiner von beiden alleine das für die deutsche Kultur geworden wäre, was beide durch ihr Einander-Ergänzen und Sich-gegenseitig- Anregungen-Geben miteinander geworden sind.

Goethe war ja in Bezug auf das Outen persönlicher Gefühle, jedenfalls, was Männer betraf, durchaus zurückhaltend. Doch was Schiller betrifft, durchbrach Liebe und Wertschätzung des Freundes alle möglichen selbstauferlegten Barrieren.
So lässt uns der junge Heinrich Voß, der gerade auf Empfehlung Goethes eine Professorenstelle am Weimarer Gymnasium angetreten hatte, teilhaben an einem Treffen der beiden, als Schiller Goethe endlich wieder – beide waren seit längerer Zeit krank – am Frauenplan aufsuchen konnte; deutlich wird, wie erleichtert beide waren, den Freund wieder in den Arm nehmen zu können:

„Sie fielen sich um den Hals und küssten sich in einem langen herzlichen Kusse, ehe einer von ihnen ein Wort herausbrachte.“

Schiller sollte sich bekanntlich nicht wieder von seiner Krankheit erholen und für mich ist es eine der bewegendsten Dokumente menschlichen Miteinanders – auch übermittelt durch Heinrich Voß -, zu lesen, wie nicht anders Goethe mit dem Sterben und Tod seines Freundes umgehen konnte:

„In der letzten Krankheit Schillers war Goethe ungemein niedergeschlagen. Ich habe ihn einmal in seinem Garten weinend gefunden; aber es waren nur einzelne Tränen, die ihm in den Augen blinkten: sein Geist weinte, nicht seine Augen, und in seinen Blicken las ich, daß er etwas Großes, Überirdisches, Unendliches fühlte. Ich erzählte ihm vieles von Schiller, das er mit unnennbarer Fassung anhörte. „Das Schicksal ist unerbittlich und der Mensch wenig!“ Das war alles, was er sagte und wenige Augenblicke nachher sprach er von heiteren Dingen. Aber als Schiller gestorben war, war eine große Besorgnis, wie man es Goethen beibringen wollte. Niemand hatte den Mut, es ihm zu melden. Meyer war bei Goethen, als draußen die Nachricht eintraf, Schiller sei tot. Meyer wurde hinausgerufen, hatte nicht den Mut, zu Goethen zurückzukehren, sondern ging weg, ohne Abschied zu nehmen. Die Einsamkeit, in der sich Goethe befindet, die Verwirrung, die er überall wahrnimmt, das Bestreben, ihm auszuweichen, das ihm nicht entgehen kann — alles dieses läßt ihn wenig Tröstliches ermatten. „Ich merke es,“ sagt er endlich, „Schiller muß sehr krank sein,“ und ist die übrige Zeit des Abends in sich gekehrt. Er ahnte, was geschehen war; man hörte ihn in der Nacht weinen. Am Morgen sagte er zu einer Freundin: „Nicht wahr, Schiller war gestern sehr krank?“ Der Nachdruck, den er auf das „sehr“ legt, wirkt so heftig auf jene, daß sie sich nicht länger halten kann. Statt ihm zu antworten, fängt sie laut an zu schluchzen. „Er ist tot?“ fragt Goethe mit Festigkeit. — „Sie haben es selbst ausgesprochen,“ antwortete sie. „Er ist tot!“ wiederholte Goethe noch einmal und bedeckte sich die Augen mit den Händen. —