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Freitag, 23. Dezember 2011

An Weihnachten berührt der Himmel die Erde!

Vielleicht geht es Ihnen auch so, wenn Sie am Weihnachtsabend auf den Balkon, die Terrasse oder einfach ins Freie treten:
Es liegt ein Frieden in der Luft, der fast mit Händen zu greifen ist, eine Stille, so still, dass sie tief unsere Sinne berührt.
Joseph von Eichendorff hat sie empfunden, wenn er dichtet:


Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Hehres Glänzen, heilges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!


Doch man muss nicht unbedingt aufs freie Feld sich begeben, auch in der Großstadt ist diese Stille spürbar.
Sie ist jener Stille, jenem Frieden vergleichbar, den wir an jedem Sonntagmorgen erleben, wenn auch nicht so intensiv wie an Weihnachten; da emfinde ich diesen Frieden, diese Stille als ganz besonders. Nicht von ungefähr singen so viele Menschen an Weihnachten "Stille Nacht, heilige Nacht" und davon, dass der See still und klar ruhe. 
Wie Kinder, die gestillt werden, möchte unsere Seele an Weihnachten zur Ruhe kommen.


Sonntagmorgen und Weihnachtsabend


Wie gesagt, wir spüren jeden Sonntag in der Frühe, wie sehr doch werktags die Hektik unseres Lebens die Luft aufwirbelt, wie sehr sie unter der Woche die Unruhe unserer Zeit transportiert. Wir spüren den Kontrast. Und wir sind dankbar für den sonntäglichen Frieden. Wenn nämlich in den Menschen etwas zur Ruhe, in Frieden kommt, dann ist es auf dem Hintergrund der alltäglichen, gegenteiligen Erfahrung so wertvoll. 
Wir verstehen dann auch, warum es so katastrophal wäre, wenn der Sonntag ein Werktag würde - die Tendenzen, ihn zu vulgarisieren, sind ja unübersehbar - und nicht mehr dieser besondere Tag der Woche sein könnte. Es würde unserem wöchentlichen Sein das innere Zentrum fehlen, wie es in der Kreisgeometrie im Zusammenhang mit der Sieben sich spiegelt:


Die Symbolik des Kreises


Wenn wir bei einem Kreis - und es gilt für jeden Kreis - ein Drittel seines Kreisdurchmessers nehmen, können wir genau sieben Kreise in diesen Kreis mit Hilfe des Drittels seines Kreisdurchmessers zeichnen; der siebte Kreis aber liegt genau in der Mitte, von 6 Kreisen umgeben.
Dieses Bild versinnbildlicht die Bedeutung des Sonntags: Er ist jener siebte Kreis in der Mitte der sechs; er ist das innere Zentrum unseres wöchentlichen Seins, ein Tag der Besinnung, des Schauens.
In Bezug auf diese Besinnung haben sich selbst große Philosophen wie Karl Jaspers, neben Martin Heidegger einer der führenden Existenzphilosophen im Deutschland des vergangenen Jahrhunderts, geirrt, und zwar gewaltig geirrt. Er schrieb in seiner "Einführung in die Philosophie":


"Gott ist kein Gegenstand des Wissens, er ist nicht zwingend erschließbar. Gott ist auch kein Gegenstand der sinnlichen Erfahrung. Er ist unsichtbar, kann nicht geschaut, sondern nur geglaubt werden."


Gott kein Gegenstand sinnlicher Erfahrung?


Über unsere Sinne finden wir Sinn


Da bin ich ganz anderer Meinung und ich halte Karl Jaspers Meinung für eine der meistgeglaubtesten und irreführendsten Meinungen unserer Zeit; für mich ist es wirklich eine Meinung und keine Wahrheit. Genau mit den Sinnen erfahren wir Gott, wir erfahren ihn, wenn wir auf die Weite des Meeres schauen oder in der Bergwelt deren Wunder sehen. Jeder Wasserfall, jedes Bachglucksen kann uns von ihm erzählen.
Auch der Frieden, die Stille eines Weihnachtsabends erzählen auf diese sinnliche Weise von Göttlichem. Es ist dies kein Spezifikum von Weihnachten. Nur an Weihnachten spüren es viele Menschen, und auch wenn sie dieses Spürbare nicht einordnen können, dass nämlich der Himmel die Erde berührt, so ist es wichtig - für das ganze folgende Jahr. Denn immer wieder muss auch der kranke Gralskönig Anfortas - er symbolisiert den Menschen unserer Zeit - den Gral sehen, um am Leben bleiben zu können, bis sein Erlöser, Parzival, kommt, der nichts anderes ist, als sein eigenes neues Bewusstsein.
Dieses neue Bewusstsein beginnt mit Weihnachten, dort wird es geboren.
Davon, von diesem damit einhergehenden neuen Bewusstsein weiß wiederum Joseph von Eichendorff zu schreiben, der um dieses Berührtwerden, diese wiederkehrenden Hochzeit von Himmel und Erde weiß und in der dritten Strophe von Mondnacht davon schreibt:


Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.


Über den Konjunktiv zum Indikativ, über die Möglichkeit zur Wirklichkeit


Freilich traut sich dieser Romantiker nur den Konjunktiv II zu verwenden, wenn er davon schreibt, dass die Seele nach Hause fliegt. Ich glaube, für sich selbst weiß er, dass sie es tut.
Aber es ist wie mit der Schluss-Zauberformel der Märchen, wenn wir dort lesen:
Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Natürlich leben die Märchenfiguren heute. Wenn Menschen diesen inneren Prozess machen, den Märchenhelden vollziehen, dann lebt dieses neue Bewusstsein in ihnen, eben wenn die Prinzessin den Frosch gegen die Wand knallt und damit zu seiner und ihrer eigenen Erlösung beiträgt, wenn Schneewittchen wieder aufwachen darf und auch mit und in Dornröschen das neue Bewusstsein erwacht.
Nur möchten die Märchen, möchte Joseph von Eichendorff niemanden überfordern. Denn dass der Himmel die Erde berührt, das ist noch zu unwahrscheinlich für viele.
Und doch geschieht es immer wieder, gerade an Weihnachten. In dem Kind in der Krippe wird dieses Bewusstsein auf die Erde geboren, wiedergeboren. Ein Bewusstsein, das schon immer da war, aber nun, für jeden, der nach Bethlehem sehen mag, mit einer niemals vorher vorhandenen Intensität in sein Bewusstsein hineingeboren sein will. 
Ganz im Sinne des Angelus Silesius:


Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in Dir:
Du bleibst doch ewiglich verloren.


Möge diese Zeit des Verlorenseins, die ewig anmuten muss, solange sie währt, für immer mehr Menschen für immer vorüber sein!


In Dir: Weihnachten ist ein Geschehen in uns!


Das Kind in der Krippe ist der puer aeternus der Mythologie, der Urgrund unseres Seins. Wir erfahren sein Bewusstsein nur in einem Stall, das heißt, wenn unser innerer Raum so frei von Ballast ist, wie es die Weihnachtsbilder der großen Maler zum Ausdruck bringen. 
Was sie allerdings bisweilen zeigen:
die Hirten; die benötigen wir:
ihre Andacht. 
Ebenso die Wertschätzung des Kindes; es sind die Heiligen Drei Könige in uns.


Und endlich hat dieser puer aeternus einen Namen bekommen: Jesus.


Ich wünsche meinen Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest.