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Donnerstag, 7. Juni 2012

♡ Wie mit Worten zart doch Liebe sein kann! – Über ein offenes Stübchen in Eduard Mörikes "Begegnung"

Ich weiß nicht, ob jemand noch weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, dass mit das Schönste an der Liebe ist, dass sie nicht alles aufs Butterbrot schmiert oder zwanghaft schmieren muss, dass sie sich nicht ständig outen, vertwittern oder facebooken muss, sondern dass sie ihre süßen Geheimnisse hat, die nur zwei etwas angehen, dass die Liebe ihre Laubhütte im Wald hat, ihre Baumhütte im letzten Winkel des Parks, dass sie das kleines Floß ist, das immer wo anders treibt, die Flaschenpost, die gleich hinter der ersten Biegung im Geäst hängen bleibt und wartet, bis der eine, genau der eine kommt und sie findet ...
Ich glaube, die Liebe ist auf der Flucht, sie ist so vielfach beleidigt und verletzt, so vielfach ausgestellt, dsds-offeriert, gedschungelcampt, schönheitsoperiert, gepeelt und was weiß ich worden, dass man auf kleine Schatzkästlein zurückgreifen muss, um sie und das Gefühl, das sich mit ihr vermittelt, zu finden.
Eines davon ist Mörikes Gedicht 

Begegnung

Was doch heut nacht ein Sturm gewesen,
Bis erst der Morgen sich geregt!
Wie hat der ungebetne Besen
Kamin und Gassen ausgefegt!

- Nein, das erste Wort ist kein Druckfehler, Mörike (Gott hab ihn selig, den lieben Pfarrer, der alles andere sein wollte als so ein württembergisches Pfarrerlein) hat es wirklich so gewollt; nacht wird klein geschrieben, isch korrekt, kann auch nix daavühr. Und ja: Es gab wirklich einen Sturm, ja, der Besen ist wirklich eine Metapher für die Arbeit, die der Sturm geleistet hat, aber nicht nur das, der Besen ist noch mehr ... es wird noch fast obszön werden ... für damalige Verhältnisse ... eins nach dem anderen ... bitte, lieber Leser, liebe Leserin, Du musst jetzt nicht schneller lesen, die Obszönität kommt auf jeden Fall (vielleicht) ... erst kommt mal was anderes:

Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,
Das halb verschüchtert um sich sieht;
Wie Rosen, die der Wind zerblasen,
So unstet ihr Gesichtchen glüht.

Okay, das Gesichtchen glüht, Mörike konnte die Finger von Alliterationen nicht weglassen, hier überzeugt das g ...g mal, liegt aber vor allem am Glühen.
Warum hat das Mädchen die Glut im Gesicht? Warum ist sie nur halb verschüchtert?
Da wird doch nicht ...
Ja, Mörike hat den Wind personifiziert, und der hat sich erlaubt, einen Vergleich zu bringen, der fast schon unanständig ist: Man muss sich das mal vorstellen: Rosen (Rosenblätter haben nicht in die Zeile gepasst) können vom Wind zerblasen werden; hier ist das geschehen, und zwar so außerordentlich, dass die Rosen einzig  und allein dazu in der Lage sind, auszudrücken, wie das Gesichtchen glüht ... nein, der Glutofen eines Stahlkochers muss ein Eis-Schrank dagegen sein.
Was ist los mit dem Mädchen? Es kommt ja just im Präsens ums Eck. Um Himmels willen ... schnell weiterlesen ...

Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,
Er will ihr voll Entzücken nahn:
Wie sehn sich freudig und verlegen
Die ungewohnten Schelme an!

Kennen die sich jetzt oder nicht? ... Was geht da am frühen Morgen ab? Ist der Jugend von heute nicht einmal mehr der Morgen heilig ... voll Entzücken ... da stimmt was nicht ... am frühen Morgen holt man Brötchen und ist nicht entzückt ... was das überhaupt für ein Wort ist ... gibt´s das noch im Duden ... und nahen ... man fällt übereinander her oder so irgendwie ... aber nahen ... was für ein altertümliches Gebaren (falls jemand noch weiß, was ich damit meine ...) ... okay, okay, es sind Schelme, klingt echt neutrinomäßig ... nur, was soll die Frage Wie sehn sich ... und dann kommt ein Ausrufezeichen ... ungewohnte Schelme ... geht´s ein bisschen klarer, Eduard ... nein, Du machst grad so verschwommen weiter mit Schein und fragen und ob und Liebchen und Stübchen ... Er ist nicht Eduard sondern dieser Pursche von grad eben ...

Er scheint zu fragen, ob das Liebchen
Die Zöpfe schon zurecht gemacht,
Die heute Nacht im offnen Stübchen
Ein Sturm in Unordnung gebracht.

Heute würd´ der Typ echt Poker spielen und zwar auf Sport1 und wahrscheinlich würde er statt Boris für Sportwetten werben ... kann der bluffen, das gibt´s doch gar nicht ... meine Güte, Mädchen pass auf ...

Ach nein, lieber Mörike, so war´s nicht ... es war einfach erste Liebe, einfach ehrliche erste Liebe ... mit einem offenen Stübchen ... mehr wollen wir gar nicht wissen ...
Ja, ich geb´s zu, ich lieb das, wenn, wie gesagt, nicht alles gezeigt und geschrieben sein muss nach dem Motto: Mehr Sex ins Vorabendprogramm ... Präservative für Vorschulkinder oder so ähnlich ... in Bremen oder Berlin gibt´s das bestimmt bald ... ich hör schon Wowereit auf seine unnachahmlich gefühllose Art - der Mann kann wirklich wie ein Fisch sprechen und gucken - das Projekt verteidigen ... sondern wenn ein Diminutiv wie Liebchen Bände sprechen kann ... wenn das offene Stübchen tatsächlich eine liebenswerte Metapher sein darf genauso wie der Sturm  ... und man bedenke: Mörike hat sogar den Besen vom Anfang weggelassen ... den hätte sich zum Beispiel mein lüsterner Provider freenet nicht entgehen lassen ... da wäre bestimmt im Angebot gewesen: die 10 attraktivsten Männerbesen ... mit Foto und ... na ja ... es widert einfach maßlos an ... kein Wunder sterben die Deutschen aus ... wer will das noch wirklich ... waren das noch Zeiten mit Stübchen und Liebchen und Zöpfen und Anmut und hingerissen sein ...

Der Bursche träumt noch von den Küssen,
Die ihm das süße Kind getauscht,
Er steht, von Anmut hingerissen,
Derweil sie um die Ecke rauscht.

Nicht nostalgisch werden, Johannes, gell ... okay, okay, aber was ich noch sagen möchte ... dass in manchem Volklied mit seinen Röslein und seinem Feinsliebchen mehr von Liebe die Rede ist und dass mir so ein Feinsliebchen lieber ist als zehntausend nackte Busen ... im Dutzend gibt´s die billiger ... im Dutzend? ... 

Hier nochmal das Gedicht zum Genießen als Ganzes :-)) :
Begegnung

Was doch heut nacht ein Sturm gewesen,
Bis erst der Morgen sich geregt!
Wie hat der ungebetne Besen
Kamin und Gassen ausgefegt!

Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,
Das halb verschüchtert um sich sieht;
Wie Rosen, die der Wind zerblasen,
So unstet ihr Gesichtchen glüht.

Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,
Er will ihr voll Entzücken nahn:
Wie sehn sich freudig und verlegen
Die ungewohnten Schelme an!

Er scheint zu fragen, ob das Liebchen
Die Zöpfe schon zurecht gemacht,
Die heute Nacht im offnen Stübchen
Ein Sturm in Unordnung gebracht.

Der Bursche träumt noch von den Küssen,
Die ihm das süße Kind getauscht,
Er steht, von Anmut hingerissen,
Derweil sie um die Ecke rauscht.


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