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Sonntag, 17. März 2013

Die Zweiseelen-Natur, genauer: die Vielseelen-Natur des Menschen. Über Kain und Abel und das Kains-Mal


Seit Goethe im Faust den gleichnamigen Protagonisten die Worte Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust hat sprechen lassen, die sich auf die derbe Liebeslust auf der einen und und auf das Sehnen zu den Gefilden hoher Ahnen andererseits bezogen, gehört diese Aussage sozusagen zum mitteleuropäischen Bildungsgut. – Zu Recht.
Zu einer notwendigen inneren Bildung.

Wer sich mit der Faustischen Aussage beschäftigt, wird allerdings rasch verstehen, dass mit den zwei Seelen im Grunde Seelenrichtungen gemeint sind: die eine führt abwärts, letztendlch in den tosenden Höllenrachen, den der Edelknappe in Schillers Taucher sieht, und den wir in Bezug auf viele Einzelne, aber auch im Hinblick auf Gesellschaften gesehen, vor mehreren Jahrzehnten in Europa erlebten.

Auf diesem Weg dahin finden wir Etappen, Möglichkeiten der Umkehr, der Besinnung. So wie man aus einer S-Bahn aussteigen kann, die in den Höllenrachen führt, so hat der Mensch die Möglichkeit, auszusteigen und die Fahrtrichtung zu wechseln. Auf der Fahrt abwärts fällt das zunehmend schwerer. Die rasende Fahrt und das Dröhnen nehmen zu, die Besinnungslosigkeit wird mächtiger und mächtiger. 
Wir finden auch auf den Stationen Seelen, die es geschafft haben auszusteigen aus dem nach unten rasenden Zug und sich in einem erbärmlichen Zustand befinden, auch deshalb, weil sie nicht die Kraft haben, allein in den Zug nach oben zu gelangen. Deshalb sind die Papstworte des heutigen Angelus-Gebetes so wichtig: Es bedarf der Barmherzigkeit, eines barmherzigen Menschen, der den Schwachen auf die Beine zieht und ans richtige Gleis bringt, ihn stützt und in den Zug führt.

Kain und Abel spiegeln die Seelenstruktur des Menschen wieder. Niemand ist nur Kain, niemand ist nur Abel. Wir haben alle beides in uns. Und von allem beiden viele Facetten. Selbst Mutter Theresa oder Gandhi, Albert Schweitzer oder die Heiligen sind hier keine Ausnahme.

Lediglich Jesus, Maria, Buddha, Zarathustra und der ein oder andere noch haben in reiner Liebe gelebt. Für Maria wäre ansonsten die sogenannte Jungfrauengeburt nicht möglich gewesen; sie hat meines Erachtens durchaus körperlich ihren Joseph geliebt, aber in reiner Liebe – dafür verwendet die Bibel die Metapher Jungfrauengeburt.

Die Aufgabe dieser Menschen war es, Wege zu bahnen, damit aus einem Bodhisattva, der vielleicht auch einmal ein Mörder war, ein Buddha werden kann, aus einem, der das Kreuz trägt und gekreuzigt wird, ein Auferstandener, aus einem, der das Kreuz nur vom Wahlzettel her kennt, einer wird, der ahnt, dass es nicht darum geht, ein Kreuz zu machen, sondern Kreuzritter im und für den Kampf um die eigene LIebe zu werden und zu sein.

Selbst aber der, der bewusst das Kreuz trägt, wird immer wieder auf seine Kains-Natur zurückgeworfen werden, zumal aus unseren vielen Leben uns Programme angeheftet sind, die wir ablösen müssen.

Die Augen vor unserer Kains-Natur zuzumachen, kann bedeuten, dass wir im Zug nach unten sitzen und es nicht merken, weil wir denken, wir fahren ja, allerdings nicht bemerken, nicht sehen, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind.

Etwas mag sehr tröstlich sein: Das Kains-Merkmal ist kein göttliches Verdikt auf der Stirn. Kain hatte es ja bekommen, weil er voller Angst war, dass andere Menschen, die auf der Erde leben, von seiner Untat wissen und ihn umbringen.

Mit dieser Angst wandte er sich an Gott.

Und dieser schützte ihn durch dieses Mal. Keiner darf Hand anlegen an Kain!

Das ist auch, was gegen alle Todesstrafe spricht. Auch ein Mörder ist geschützt – durch Gott.

Niemand darf Hand an ihn legen.

Für uns gilt es, unsere Kains-Natur zu respektieren. Sie gehört zu unserem Mensch-Sein.


Deshalb lautet das berühmte Bibelwort Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst auch, von manchem Theologen so übersetzt:

Liebe Deinen Nächsten, er ist wie Du.

In dieser Kain- und Abel-Natur sind wir, Gottes Kinder, alle gleich.

In der Tatsache, wie sie mit beiden Naturen umgehen, können Menschen sehr unterschiedlich sein.

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