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Sonntag, 1. September 2013

... ich knie, ihrem Lichtgesang zu lauschen ... Eduard Mörikes "An die Geliebte"






An die Geliebte 


Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,

mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,

dann hör ich recht die leisen Atemzüge

des Engels, welcher sich in dir verhüllt,


 und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt

auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,

dass nun in dir, zu ewiger Genüge,

mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?


Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,

ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne

die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.


Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,

zum Himmel auf - da lächeln alle Sterne;

ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

                         1830


Bei vielen der großen Lyriker - und zu ihnen zähle ich auch Eduard Mörike - vereint sich die irdische Liebe mit der kosmischen. Das finden wir auf ganz überragende Weise dargestellt in Johann Wolfgang von Goethes Marienbader Elegie inmitten des Gedichtes, das finden wir auch in Hölderlins An die Unerkannte.

Wenn der Mensch wirklich liebt, dann drängt es ihn ins Kosmische. Das ist kein Wunder, denn die Liebe ist ihrem Wesen nach kosmisch; sie ist mit allen Sternen verbunden, mit allen Engeln, mit dem Göttlichen. 
Nur die Liebe erträgt diese Liebe.

Was Menschen auf der Erde als Liebe darstellen, ist oft noch nicht viel mehr als eine hormonelle Gefühlsaufwallung. Sie sollten wir nicht verwechseln, wenn wir auch durchaus Respekt vor den Hormonen und jedweder Art von Gefühlen der Menschen haben wollen.
Denn auch die Liebe entwickelt sich in uns von dem, was wir als Liebe bezeichnen, zu jener kosmischen, die göttlich und menschlich zugleich ist und die wir so wunderbar auch in der Mitte der Bibel dargestellt finden in der Liebe von Salomon und seiner Sulamith in derem Hohelied der Liebe.

Das lyrische Ich in Eduard Mörikes Gedicht - und seine Liebe hatte übrigens eine sehr reale Frau als Hintergrund - kann gar nicht anders, als diese Wendung zu nehmen, diese Erfahrung zu machen:

In den ersten beiden Quartetten dieses Sonetts ist es noch ganz bei dieser Frau, die es betrachtet. Er - ich denke, wir können das lyrische Ich hier mit Mörike gleichsetzen - empfindet sie heilig, als einen Engel, den er sehen darf. Von ewig ist die Rede und von seinem kühnsten Wunsch, einer Vereinigung mit ihr.

Was dann geschieht, ist einmalig, das ermöglicht die Liebe: 
Das lyrische Ich misst die Weiten des Kosmos aus, von Tiefe dann zu Tiefen stürzt sein Sinn. –  Wenn das Leben einen Sinn hat, dann diesen.

Es ist die Tiefe, wie wir sie aus der Romantik kennen, der Urgrund, den auch Hofmannsthal in seinem Weltgeheimnis anspricht. Es ist die Nacht; auch sie ist jedem romantischen Menschen vertraut. 
Nicht von ungefähr war die Nacht die Tageszeit der Epoche der Romantik.
Nacht, das ist das Unbewusste; die Tiefe, das ist das Unbewusste, das, was wir, wenn es gut geht, mit Hilfe der Liebe erfahren dürfen. 
Andernfalls kann es uns in den Wahnsinn, ins Verderben stürzen. 
Doch es ist unsere Aufgabe als Mensch, das, was in uns unbewusst ist, ans Licht des Bewusstseins zu holen. 
Viele Menschen haben davor Angst – übrigens oft unbewusst, oft ist es eine unbewusste Angst; die Romantiker dieser Epoche der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten keine Angst vor ihr; das ist mit ein Grund, warum sich viele Menschen so schwer tun mit dem Romantischen. 
Wahrhaft romantisch zu sein, bedeutet, mutig zu sein!

Die wahrhaft Liebenden sind mutig!
Sie haben den Mut zu erfahren, was auch das lyrische Ich - nennen wir es ruhig Eduard Mörike - erfahren darf: 
Die Erfahrung der Tiefe ermöglicht die der Höhe, des Himmels.
Es setzt voraus, dass man sich der Tiefe hingibt.
Aus dieser Tiefe erfährt man die Höhe, den Himmel.
Möglich ist das, weil nur die Liebe so umfassend ist.
So kosmisch, so grenzenlos.
Nur die Liebe hat diese Dimensionen!

Kann man da etwas anderes, als voller Demut vor diesem Wunder zu knien?

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