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Freitag, 6. Februar 2015

Hölderlins "Die Unerkannte": . . . die im Kampfe, wenn das Herz verwildert / uns besänftigend den Harnisch löst!

Eigentlich sollte er Pfarrer werden, der arme Hölderlin, wie man ihn späterhin immer wieder nannte, aber er wollte es nicht. Nur, die Auflagen waren für ihn als Absolventen des Tübinger-Stifts, der Elite-Schule der Landeskirche Baden-Württembergs, sehr streng: Wer keine kirchliche Stelle antrat, musste sich beurlauben lassen und zudem eine andere Stelle nachweisen. Da blieb bei dieser Qualitfikation nicht viel: Manche wurden Hofmeister, also Erzieher bei betuchten Familien - kein Traumjob, wenn die Brötchengeber womöglich launisch und die Kinder verzogen waren. 
Hölderlin wurde Hofmeister, und eine seiner Stellen wurde ihm zur Seligkeit und zum Verhängnis.
Für mich ist er einer der faszinierendsten und magischsten Gestalten, über die ich je gelesen habe. Und es geht nicht nur mir so, war er doch einer jener, die so dichteten, wie das auf seine Weise kaum einer vor ihm und nach ihm tat, Hölderlins Gedichte sind Unikate. Nur kann man sie nicht einfach lesen. Man muss sie - und das sage ich, der nun kein großer Freund des Meditierens ist - meditieren, meditierend lesen.
Für seine Gedichte und für Hölderlin als Menschen gelten die Worte seines Dichterkollegen Jean Paul: Wer nicht zuweilen zu viel empfindet, der empfindet immer zu wenig.
Hölderlins Schicksal berührt unglaublich und ist verbunden mit einem Gedicht aus der eigenen Feder, überschrieben Hälfte des Lebens, meines Wissens 1804 geschrieben, da war Hölderlin 34. Die zweite Strophe lautet:
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Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
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Man stelle sich vor: Zwei recht bekannte Dichter, Schwab und Uhland ließen dieses Gedicht aus der von ihnen herausgegebenen ersten Sammlung von Hölderlin-Gedichten weg, weil sie glaubten, es sei Zeichen der damals wohl schon beginnenden Geisteskrankheit Hölderlins.
Ja, ziemlich genau in der Mitte des Lebens - Hölderlin wurde 1770 geboren und starb 1843 - wendet sich das Blatt: Etwas, was die Menschen Geisteskrankheit nennen, inneres Zerrüttetsein, bahnt sich den Weg in Hölderlins Wirklichkeit. Das hängt gewiss zusammen mit dem Verlust seiner unsterblichen Liebe, die er Diotima nennt. Es ist Susette Contard, die Frau eines sehr erfolgreichen Frankfurter Bankiers. Hölderlin  wird in dessen Familie 1796 Hofmeister, hätte aber wohl nicht lange durchgehalten, hätte es SIE  nicht gegeben. Allerdings schaut sich der Ehemann die Beziehung der beiden nicht zu lange an, immerhin tratscht man in Frankfurt schon. Es kommt zum Eklat zwischen den beiden. Hölderlin zieht zu einem Freund nach Bad Homburg und läuft zwei Jahre lang einmal im Monat - immer am ersten Donnerstag, so verabredeten es die beiden - die wohl fast 30 Kilometer nach Frankfurt. Dort um 10 Uhr trafen sich Susette und Holder, wie er manchmal genannt wurde, wenn auch nur kurz, manchmal fast nur für Augen-Blicke. Dann lief Hölderlin wieder zurück. 
Wer mag, gehe einmal den auf 22 Kilometer angelegten Hölderlin-Pfad, der zu seinen und zur Ehre dieser großen Liebe von Frankfurt nach Bad Homburg 2008 verwirklicht worden ist.
Hölderlin muss diese Strecke oft gegangen sein. 1800 sieht er seine Diotima zum letzten Mal. Beide ringen sich zu diesem Ende durch und die Dokumente beider, die um diesen Abschied ranken, sind erschütternd. Man spürt die Liebe dieser Königskinder so sehr, die zueinander nicht finden durften:
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Es waren zwei Königskinder
die hatten einander so lieb,
sie konnten zusammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief
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Für Hölderlin folgen ein Aufenthalt in der Schweiz und dann in Bordeaux. Es ist nicht sicher, ob er dort von der Krankheit seiner Susette schon gehört hat. Er eilt zurück und überquert in völlig verwirrtem und aufgelöstem Zustand den Rhein; die Freunde erkennen ihn kaum wieder. Nach dem Tod Susettes, sie stirbt 1802 an Röteln oder Schwindsucht - ganz klar ist das nicht, vor allem aber stirbt sie für mich wohl auch, weil ihr Hölderlin ihr fehlte - geht es mit Hölderlin nur noch eine Weile gut; er stürzt sich in Arbeit, aber sein Zustand verschlechtert sich. 1806 wird er zwangsweise in das Tübinger Universitätsklinikum eingewiesen und schlussendlich 1807 als unheilbar entlassen. Er findet eine liebevolle Aufnahme bei dem Tübinger Tischler Zimmer, einem Bewunderer seines Dichtens. Zu seinem Ende hin lebt er in dessen Turmstube. Diese letzte Bleibe kennt man heute als Hölderlin-Turm und in seiner gelben Farbe ist er von Tübingens Eberhardsbrücke nicht zu übersehen. 
In dieser seiner zweiten Lebenshälfte schreibt Hölderlin nur sehr wenig. Noch heute ist unklar, was Hölderlin nun wirklich hatte. Gewiss war er, der früh seinen Vater verloren hatte, schon von Kindheit an launisch, unstet und depressiv; auch neigte er offensichtlich zur Hypochondrie. Einer, dessen Hölderlin-Buch mir unvergessen ist, Pierre Bertaux, meint sogar, Hölderlin habe seinen Wahnsinn nur gespielt. Für mich ist da zumindest, bei allem tatsächlichen Kranksein, ein Kern Wahrheit enthalten, denn er konnte sich über seine Situation sehr klar äußern.
Heute nimmt man die wenigen Gedichte der zweiten Lebenshälfte auch wieder ernst. Oder wie sollte man, wenn er noch einmal - es mag um 1809 gewesen sein, als er also schon etliche Schübe von Raserei und Wahnsinn hinter sich hatte - ganz offensichtlich seiner Diotima gedenkt, nicht spüren können, welches wehmütige Bewusstsein, welches wehmütige bewusste Sein da mitschwingt:
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Wenn aus der Ferne, da wir geschieden sind,
ich dir noch kennbar bin, die Vergangenheit
O du Theilhaber meiner Leiden!
Einiges Gute bezeichnen dir kann,
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So sage, wie erwartet die Freundin dich
In jenen Gärten, da nach entsetzlicher
und dunkler Zeit wir uns gefunden?
Hier an den Strömen der heilgen Urwelt.
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Wenn Hölderlin das lyrische Ich an den Strömen der heilgen Urwelt sein lässt, so nehmen wir eine offensichtliche Distanzierung, eine Sicht wie von ferne wahr.
Wenn man allerdings genauer in sein Werk sieht, dann war diese Sicht schon immer da, der Blck in die Weite und der Blick aus der Weite auf das Leben.
Was ich aber unglaublich finde, ist dass er 1795, ungefähr ein Jahr, bevor er Susette kennenlernte, ein Gedicht geschrieben hat, dass die Liebe in den Mittelpunkt stellt auf eine Weise, die mich unglaublich fasziniert.
Dieses Gedicht ist überschrieben An die Unerkannte und es beginnt:

Kennst du sie, die selig, wie die Sterne,
Von des Lebens dunkler Woge ferne
Wandellos in stiller Schöne lebt,
Die des Herzens löwenkühne Siege,
Des Gedankens fesselfreie Flüge
Wie der Tag den Adler, überschwebt?
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Wunderschön, wie Hölderlin von des Herzens löwenkühnen Siegen schreibt und von ihr, die er in kosmische Dimensionen rückt, wenn er sie mit Sternen vergleicht und sie überzeitlich ewig sein lässt, wenn er von ihrem wandellosen Sein spricht.
Und was diese Unerkannte noch tut: Sie verhilft dem, der schon fast aufgegeben hat, zurück in die Heimat zu finden: Der Dulder ist Odysseus, dessen Schiff vor Alkinoos´ Küste zertrümmert worden war. 
Oft haben wir Menschen fast aufgegeben, doch da gibt es EINE, eine unerkannte Kraft, die uns nicht fallen lässt:
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Die, wenn uns des Lebens Leere tötet,
Magisch uns die welken Schläfe rötet,
Uns mit Hoffnungen das Herz verjüngt,
Die den Dulder, den der Sturm zertrümmert,
Den sein fernes Ithaka bekümmert,
In Alcinous Gefilde bringt?
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Und in den letzten beiden Strophen heißt es:
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Die der Kindheit Wiederkehr beschleunigt,
Die den Halbgott, unsern Geist, vereinigt
Mit den Göttern, die er kühn verstößt,
Die des Schicksals ehrne Schlüsse mildert,
Und im Kampfe, wenn das Herz verwildert,
Uns besänftigend den Harnisch löst?
.
Die das Eine, das im Raum der Sterne,
Das du suchst in aller Zeiten Ferne
Unter Stürmen, auf verwegner Fahrt,
Das kein sterblicher Verstand ersonnen,
Keine, keine Tugend noch gewonnen,
Die des Friedens goldne Frucht bewahrt?
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Wenn wir diese Zeilen lesen, denken wir an das Ewig-Weibliche, von dem Goethe am Ende seines Faust spricht, als Margarete, die große Liebe des Faust, dessen Seele in den Himmel holt.
Wir denken an die nordischen Walküren, jene Göttinnen, die den Helden, wenn er im Kampf auf dem Schlachtfeld gestorben war, von seinem Harnisch, seiner Rüstung befreite und nach Walhall holte.
Wir denken an Siegfried, der sich in der Eddha von seiner Walküre verabschiedet,  um noch einmal eine Reise zu tun, und dessen Reise so grässlich und tödlich endet.
Im deutschen Nibelungenlied ist nicht klar, dass jene Brunhilde, die er für Gunter auf Island erobert, damit sie dessen Frau werde, im Grunde seine, Siegfrieds Frau ist. Das verschweigt das mittelhochdeutsche Nibelungenlied.
Siegfried erkannte sie nicht, weil die Mutter Kriemhilds wollte, dass dieser große Held ihre Tochter heirate; deshalb gab sie ihm einen Vergessenstrank.
So blieb Brunhilde, die er so sehr kannte, die Unerkannte. Wie sehr beide aber einander gehören, zeigt sich auch im mittelhochdeutschen Nibelungenlied daran, dass beide im Grunde gleichstark waren. Für Gunter war Brunhilde zu stark. Sie wusste auch, dass sie eigentlich zu Siegfried gehört.
Hölderlin hat wohl seine Unerkannte erkannt, nur wenig später, nachdem er dieses Gedicht geschrieben hatte. Doch konnten beide diese Liebe nicht leben. In Liedern, Märchen und Mythen ist von diesem Schicksal immer wieder die Rede.
Mögen wir nicht unerkannt bleiben!
Mögen wir erkennen!

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