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Dienstag, 9. Februar 2016

Ketzer wie Erich Fomm, Meister Eckehart, Masaharu Taniguchi: Was wir für wirklich halten, ist nur die Wirklichkeit unserer Gedanken!


Was zeichnet einen Ketzer aus?
Dass er viel radikaler als der religiöse Mainstream denkt.
Dass er keine Denkverbote kennt.
Dass er womöglich über Gott hinausdenkt.

So auch Erich Fromm, dessen Ausführungen in Die Kunst des Liebens ich mit betulichem Wohlgefallen las, auch seine Gedanken zu unserer monotheistischen Gottesvorstellung. Bis er nach all dem Erbaulichen verkündete, dass er sich zu einer nicht-theistischen Vorstellung der Wirklichkeit bekenne, also einer, die ohne die Vorstellung von einem oder mehreren Göttern auskommt.
Schade, dachte ich bei mir, das passt nun gar nicht zu meinen Vorstellungen einer metaphysischen Wirklichkeit. Bis er Laotse aus dem Taoteking, der Spruchsammlung, die jenem zugeschrieben wird, zitierte:
Der Sinn, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige Sinn. Der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name.
Gott - griechisch theós, wovon sich das Adjektiv theistisch ableitet - einen Namen oder eine Buchstabenfolge zu geben, macht also keinen Sinn. Ohnehin ist nach Laotse der Sinn, den wir ersinnen, nicht der ewige, mithin nicht der wahre Sinn . . . Das nun kann ich gut nachvollziehen, ja, glaube ich auch; als Menschen überschätzen wir uns nur zu gern. Dass die Menschheit in den letzten Jahren unglaublich viel entdeckte, hat ja wenig mit Sinnfindung zu tun, denn was wir entdecken, erfinden wir ja nicht, es ist ja schon längst da, nur wussten wir nicht davon.
Zudem entspricht auch Laotses Ansicht jüdisch-christlichem Denken, wenn es in dem Alten Testament heißt, wir sollen uns kein Bild von Gott machen.
Kein Bild, kein Name, keine Sinnzuweisungen. So weit bin ich von Fromms nicht-theistischen Vorstellungen also gar nicht entfernt.

Und jener 1980 verstorbene Psychoanalytiker und Philosoph weist dem Sokratischen Ich weiß, dass ich nichts weiß eine neue Sicht zu, indem er auf dessen Parallelität mit taoistischem Denken hinweist, wiederum aus dem Taoteking zitierend:
Wissen, dass man nichts weiß, ist das Höchste. Nichtwissen für Wissen achten, ist Leiden. (Fromm, 102)
Der berühmte Satz des Sokrates erweist sich also nicht nur als eine superbescheidene Geste philosophischer Gelassenheit, sondern resultiert aus der tiefsten Erkenntnis, die ein Mensch haben kann: Wissen ist Leiden.

All das Wissen um Gott ist Leiden.

Ich hatte schon immer den Verdacht, dass, Theologie zu studieren, dazu führen könne, nicht mehr glauben zu können, zu angereichert ist der Kopf mit den diversesten Thesen und Theorien, aber könnten dazu auch die Äußerungen eines Bonhöffer, Paulus und Salomo gehören? Auch die eines Erich Fromm?
Finden wir nicht ihre Gedanken wirklich und zu Recht wertvoll?

Wenn nun aber alles Wissen über Gott Leiden bedeutet?
(Nicht alle tun ja so, als wüssten sie über Gott Bescheid; ich habe allerdings schon Theologie-Professoren gehört, von denen man den Eindruck hatte, die wüssten mehr von Gott, als jener selbst über sich. Gerade liegt im Übrigen Christa Mulacks Gewalt im Namen Gottes auf meinem Tisch; da wird schon auf den ersten Seiten deutlich, wie gewaltvoll Wissen sein will! Will! Anders kann man es nicht sagen).

Erich Fromm schreibt in der Folge über die Philosophie der Brahmanen:
Auf ihrer Suche nach der hinter der Mannigfaltigkeit verborgenen Einheit kamen die brahmanischen Denker zu dem Schluss, dass das sichtbare Gegensatzpaar das Wesen nicht der Dinge, sondern das des wahrnehmbaren Geistes widerspiegelt. (Fromm, 103)
Das nun sind in ihrer Konsequenz unerhörte Sätze.
Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, ist gar nicht wirklich; sie ist nur ein Erzeugnis unseres Geistes, nicht aber die eigentliche Wirklichkeit

Unsere Wirklichkeit ist nun einmal geprägt von Gegensätzen, von Männlichem und Weiblichem, oben und unten, links und rechts, Hartem und Weichem, Physischem und Metaphysischem.

Aufgrund dieser Wirklichkeit existieren wir. Ohne Mann und Frau gäbe es keine Kinder, ohne Krankheit wüssten wir nicht, wie wertvoll Gesundheit ist.
Wie kann man all das in Frage stellen?

Gegensätze konstituieren unser Leben, ohne sie ist es nicht denkbar. 
Existieren Leben und Tod nur aufgrund der "Wirklichkeit" unserer Gedanken?

Offensichtlich.

Weder Erich Fromm noch die Brahmanen schließen unsere Wirklichkeit aus, wir brauchen Fromm weder posthum noch die Brahmanen aktuell ins Irrenhaus stecken.
Was Fromm tut:
Er stellt die Logik in Frage, der wir seit Aristoteles huldigen, indem wir mittels des Satzes der Identität sagen: A = A;
mittels des Satzes des Widerspruchs sagen: A ≠ Nicht-A, A ist also nicht gleich Nicht-A; 
und in einem dritten Schritt sagen: A kann nicht A und Nicht-A zugleich sein.

Solch eine paradoxe Logik schließen wir aus.

Anders das chinesische und indische Denken (wie übrigens auch Heraklit), das in den Worten des im 4. vorchristlichen Jahrhundert lebenden chinesichen Dichters und Philosophen Tschuangtse seinen Ausdruck findet:
Das, was eins ist, ist eins. Das, was nicht eins ist, ist auch eins.
Offensichtlich müssen wir uns in unseren Wirklichkeitsvorstellungen neu orientieen.

Beziehungsweise: Von müssen kann keine Rede sein.

Es gibt nur eine Wirklichkeitsbetrachtung, die besagt, dass Wirkliches und Nicht-Wirkliches existieren, dass es eine Wirklichkeit gibt, die nicht den Gesetzen unserer Wirklichkeit entspricht.

Wir, die wir glauben, Wirklichkeit bestehe aus Gegensätzen, müssen wissen:
Dieses Wissen bedeutet Leid.
Es ist kein Wissen.
Nicht-Wissen ist Wissen.

Und wenn wir glauben, wir verstehen das alles, dann bedeutet das für uns: Leid.

All das ist schwer zu verstehen, aber einer hat das verstanden, und das ist jener mittelalterliche Mystiker, den wir als Meister Eckehart kennen. Er wusste, dass der Mensch nur wirklich lebt, wenn er von Grund auf tot ist. Das hat zu tun mit dem, was er das absolute Nichts nennt, zu dem wir vordringen, ja, über das wir hinausgelangen müssen. (Nigg, 293)
Alles Gute, was alle Heiligen besessen haben und Maria, Gottes Mutter, und Christus nach seiner Menschheit, das ist alles schon von Natur aus mein eigen.
So lässt uns Meister Eckehard wissen. Es bedeutet nichts anderes, als dass unsere tatsächliche Wirklichkeit nicht jene ist, die unserer Vorstellung von Wirklichkeit entspricht.
Wir haben eine, die wir offensichtlich nicht haben.
A kann offensichlich auch Nicht-A sein.

Oder, wie es Masaharu Taniguchi, ein japanischer Dichter, den man der sogenannten Neugeist-Bewegung (über die ich persönlich wenig bis nichts weiß) zuordnet und der von 1893 bis 1985 lebte, formuliert:
Seinem innersten Wesen ist der Mensch Geist und Liebe, Weisheit und ewiges Leben, darum kann er weder übeltun noch krank sein, weder leiden noch vergehen und sterben. Sünde, Krankheit und Tod sind bloße Gespinste seines Denkens, solange er noch nicht zu sich selbst erwacht ist
So einfach ist das: Wir sind gar nicht krank, wenn wir krank sind - wenn es da nur nicht die klitzekleine Einschränkung gäbe: seinem innersten Wesen nach.
In gewisser Weise aber ist das durchaus doch auch beruhigend: Wir sind nicht nur krank, wenn wir krank sind; wir sind auch gesund.
Ob wir tatsächlich zu sehr der aristotelischen Logik vertraut haben?
Ob A doch auch Nicht-A sein kann?
Immerhin wäre doch nicht krank und gesund zugleich zu sein besser, als nur krank zu sein.

Tatsächlich habe ich übrigens, wenn ich mich recht entsinne - es ist schon einige Jahre her - in Taniguchis Buch Die geistige Heilkraft in uns die Empfehlung gelesen, man möge, wenn man krank ist, sich in Wirklichkeit als nicht-krank ansehen. 
Wem das zu simpel erscheint, möge sich dort näher informieren.

Mit den Gedanken Masaharu Taniguchis sind wir jedenfalls wieder bei Erich Fromm, seinem nicht-theistischen Ansatz und dem Wissen der Brahmanen angelangt:

Was wir für wirklich halten, ist die Wirklichkeit unserer Gedanken. Es ist nicht die Wirklichkeit.

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