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Mittwoch, 20. September 2017

Im Kind ist Freiheit allein. In ihm ist Frieden. – Friedrich Hölderlins Bemerkungen zur Kindererziehung.

34-jährig bricht Friedrich Hölderlins geistig-seelische Erkankung erkannbar aus. Zwei Jahre später liefert ein Freund ihn - wir schreiben das Jahr 1806 - in das Tübinger Clinicum ein. Nach seiner Entlassung - die Behandlung muss traumatisch und für Hölderlin immer wieder entsetzlich gewesen sein - gewährt ihm ein ortsansässiger Schreinermeister, der ihn sehr verehrte, eine Bleibe im dadurch so bekanntgewordenen Hölderlinturm am Neckar, bis er 73-jährig stirbt.
Am Himmel Deutschlands war er ein Komet, den kaum jemand zur Kenntnis nahm. Erst viel später hat man erkannt, dass er der europäischen Kultur, Europa, den Himmel erhellte. Einmalig in seinem Strahlen.

Mit dem ein oder anderen Post möchte ich ihn Interessierten näherbringen, auch deshalb, weil es keinen Dichter gibt, der seine deutsche, vor allem auch seine schwäbische Heimat so in den Mittelpunkt seines Schaffens rückte mit Gedichten wie Der Neckar, Heidelberg, Stuttgart, Am Quell der Donau, Die Heimat, Der Rhein, Der Main, Unter den Alpen gesungen und zahlreichen anderen mehr.
Wobei man vorsichtshalber anmerken muss, dass nur wenige seiner Gedichte sich einfach so lesen lassen. Hölderlins mit zunehmendem Alter immer eigenwillig werdender Satzbau, sein emphatischer Stil, seine vielen mythologischen Bezüge, die in seine Zeilen integrierten philosophischen Reflexionen, seine Metrik, die sich gern an den griechischen Hexameter oder auch die asklepiadeische Ode anlehnen - von der des Öfteren eigenwilligen Kommasetzung einmal abgesehen -, lassen einen beim ersten Lesen oft etwas oder gar ziemlich ratlos zurück, wobei die spürbare Atmosphäre die meisten Leser dennoch gefangen nimmt.

Einer der wenigen, die ihm in Deutschland zunächst nahestanden und der ihm auch eine Hauslehrerstelle beschaffte, war Schiller. In dessen Zeitschrift Thalia veröffentlichte er 1793 ein Fragment namens Hyperion - übersetzt Der Darüber-Hingehende. Dann jedoch verließ Hölderlin Jena und Schiller fluchtartig, was Letzterer ihm ziemlich verübelte und - gleichsam als beleidigte Leberwurst - in den Horen nicht gerade freundliche Zeilen ihm hinterhersandte, wobei man wissen muss, dass in Deutschland weite Kreise immer wussten, auf wen da jeweils angespielt wurde.

Für Hölderlin war die Trennung ein Segen. Durch sie fand er zu seinem ureigenen Stil, der sich zunächst vor allem in der endgültigen Fassung des Hyperion zeigte, zwar ein Briefroman und damit in Prosa verfasst, vielleicht aber das lyrischste Prosawerk deutscher Sprache.

Vieles ist darin thematisch wichtiger als Hölderlins bzw. Hyperions Zeilen zur Kindheit - zumindest sind sie in der Sekundärliteratur kaum beachtet -, aber ich finde sie dennoch sehr beeindruckend und für manchen, der die aktuelle frühkindlich-erzieherische Gängelei der Kinder so überzogen, ja schädlich findet wie ich, vor allem auch das viel zu frühe Zwingen ins abstrakte Denken, sprechen sie insofern an, als dass sie das Herz erwärmen, wie es sein könnte, was also eine angemessene Erziehung zu beachten hat.
Klar ist manches, gerade auf dem Hintergrund einer Zeit, in der Kinder mit dem Smartphone in der Hand geboren werden, in gewisser Weise idealisiert.
Dennoch wird deutlich, wie wichtig es ist, Kindern möglichst lange Kindheit zu lassen. Den Frieden der Kindheit bringt nichts wieder. 

Man muss kein Montessori-Jünger sein, um zu wissen, wie wichtig zunächst das ist, was das Kind ins Leben mitgebracht hat und was sich entwickeln will, bevor die Erwachsenenwelt - immer noch geschieht dies viel zu oft - dieses wertvolle Gut zertrümmert.

Die zitierte Stelle findet sich zu Beginn des Romans, im zweiten Brief an Bellarmin. Da blickt der Erzähler, blickt Hyperion vom Ende her zurück auf all das, was er erlebt hat, was im Roman geschildert wird: die Freundschaft mit dem weisen Lehrer Adamas, die Erfahrungen einer unendlichen Liebe zu Diotima, das In-den-Krieg-Ziehen, verleitet durch den Freund Alabanda, der Tod Diotimas, die das gern verhindert hätte und an gebrochenem Herzen stirbt, auch weil Hyperion sich meinte, zu Beginn des Krieges von ihr lossagen zu müssen; die Niederlage im Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken; der endgültige Verlust des Freundes. Auf all das blickt der Erzähler zurück, auf die Erfahrungen seiner exzentrischen Bahn, wie Hölderlin das Leben im Thalia-Fragment des Hyperion das Leben nennt und ihm wird bewusst, wie wertvoll Kindheit ist:



Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! Aber wir haben ja nur Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe.

Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgibt, nichts wußte, war ich da nicht mehr, als jetzt, nach all den Mühen des Herzens und all dem Sinnen und Ringen?

Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist.

Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön.

Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht; im Kind ist Freiheit allein.

In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.

Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des Fluchs, daß es, wie sie, im Schweiße des Angesichts sich abarbeite.

Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt.

O es sind heilige Tage, wo unser Herz zum ersten Male die Schwingen übt, wo wir, voll schnellen feurigen Wachstums, dastehn in der herrlichen Welt, wie die junge Pflanze, wenn sie der Morgensonne sich aufschließt, und die kleinen Arme dem unendlichen Himmel entgegenstreckt.

Wie es mich umhertrieb an den Bergen und am Meeresufer! ach wie ich oft da saß mit klopfendem Herzen, auf den Höhen von Tina, und den Falken und Kranichen nachsah, und den kühnen fröhlichen Schiffen, wenn sie hinunterschwanden am Horizont! Dort hinunter! dacht ich, dort wanderst du auch einmal hinunter, und mir war, wie einem Schmachtenden, der ins kühlende Bad sich stürzt und die schäumenden Wasser über die Stirne sich schüttet.

Seufzend kehrt ich dann nach meinem Hause wieder um. Wenn nur die Schülerjahre erst vorüber wären, dacht ich oft.

Guter Junge! sie sind noch lange nicht vorüber.

Daß der Mensch in seiner Jugend das Ziel so nahe glaubt! Es ist die schönste aller Täuschungen, womit die Natur der Schwachheit unsers Wesens aufhilft.

Und wenn ich oft dalag unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte, und hinaufsah ins heitre Blau, das die warme Erde umfing, wenn ich unter den Ulmen und Weiden, im Schoße des Berges saß, nach einem erquickenden Regen, wenn die Zweige noch bebten von den Berührungen des Himmels, und über dem tröpfelnden Walde sich goldne Wolken bewegten, oder wenn der Abendstern voll friedlichen Geistes heraufkam mit den alten Jünglingen, den übrigen Helden des Himmels, und ich so sah, wie das Leben in ihnen in ewiger müheloser Ordnung durch den Aether sich fortbewegte, und die Ruhe der Welt mich umgab und erfreute, daß ich aufmerkte und lauschte, ohne zu wissen, wie mir geschah – hast du mich lieb, guter Vater im Himmel! fragt ich dann leise, und fühlte seine Antwort so sicher und selig am Herzen.
(…)
O ich war ein glücklicher Knabe!

Es ist erfreulich, wenn gleiches sich zu gleichem gesellt, aber es ist göttlich, wenn ein großer Mensch die kleineren zu sich aufzieht.

Ein freundlich Wort aus eines tapfern Mannes Herzen, ein Lächeln, worin die verzehrende Herrlichkeit des Geistes sich verbirgt, ist wenig und viel, wie ein zauberisch Losungswort, das Tod und Leben in seiner einfältigen Silbe verbirgt, ist, wie ein geistig Wasser, das aus der Tiefe der Berge quillt, und die geheime Kraft der Erde uns mitteilt in seinem kristallenen Tropfen.

Wie haß ich dagegen alle die Barbaren, die sich einbilden, sie seien weise, weil sie kein Herz mehr haben, alle die rohen Unholde, die tausendfältig die jugendliche Schönheit töten und zerstören, mit ihrer kleinen unvernünftigen Mannszucht!


Da erübrigt sich jeder Kommentar.

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