Man stelle sich folgende Situation vor:
Ein Vater kommt in die Sprechstunde eines Lehrers und er möchte diesem ganz offensichtlich die Meinung sagen und – sagen wir: - den Kopf waschen.
Als Strategie wählt er sich ein seiner Biographie entsprechendes Verhalten:
Als Strategie wählt er sich ein seiner Biographie entsprechendes Verhalten:
Er schaut den Lehrer einerseits streng, andererseits etwas von oben herab an und es ist offensichtlich, dass er ein Eltern-Ich spielt und will, dass sein Gegenüber die Kind-Rolle übernimmt. In seiner Inszenierung ist die Rollenverteilung so vorgesehen. Um dies zu erreichen verwendet er mimische Droh- und Überlegenheitsgebärden.
Als ihn sein Gesprächspartner darauf aufmerksam macht, dass er auf ihn sehr angestrengt streng wirke und dass er doch einfach die Inszenierung beenden möge, damit sie doch lieber von Mann zu Mann ganz natürlich miteinander sprächen, geschieht etwas, was mit Menschen geschieht, die nicht ihr wirkliches Erwachsenen-Ich leben können: Der Vater wird zum Kind.
Sein Eltern-Ich ist als Rolle, als Fassade enttarnt, er kann aber auf Grund seiner seelischen Verfassung nun nicht in den Erwachsenen-Status gehen, also aus der Energie eines erwachsenen Mannes heraus sprechen, sondern seine vielen verletzten Kinder melden sich schlagartig zu Wort.
Nach diesen so nicht erwarteten offenen Worten beginnen diese innerlich zu toben und es gelingt dem Vater nur mühsam, diese um sich schlagenden verletzten inneren Kinder, die voller Zorn nach dem Gegenüber geifern, unter Kontrolle zu halten. Es brodelt in ihm und es schlägt den Deckel des Topfes immer wieder nach oben, aus dem Topf, seinem Ego gleich, qualmt es, zischt es, brodelt es. Gut, dass der Deckel frei beweglich war, sonst wäre der Topf geplatzt.
Was war geschehen: Da er das Eltern-Ich nicht platzieren konnte und dieses sich erkannt sieht – in der aktuellen Situation erkennt das der Vater nicht unbedingt bewusst, aber seine Seele weiß es – schlägt das Eltern-Ich ins Gegenteil um: Er geht ins Kind-Ich, ins verletzte Kind-Ich, das so vielfach von den eigenen Eltern verletzt wurde.
Das ist ein Phänomen, was wir aus vielerlei psychischen Bereichen kennen: Jemand, der z. B. als Kind immer wieder körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen ist, steht in Gefahr, Konfliktlösungen mittels Gewalt zu suchen. Das findet sich bekanntermaßen in der Biografie von Vergewaltigern des Öfteren, dass sie selbst vergewaltigt wurden. Ein Mensch, der das erleiden musste, kann also möglicherweise sein Leben lang Opfer bleiben – womöglich mit entsprechenden Schuldgefühlen, die damit unlogischerweise (aber wo ist die Seele linear und rational, wie wir es erwarten?) einhergehen – oder er wird selbst zum Täter.
So kann jemand, der unter einem oder zwei strengen Eltern-Ichs aufwuchs, später selbst so werden oder er bleibt in der Kind-Rolle. Oft aber findet er in seinem Leben nicht die Mitte und in belastenden Situationen fällt er entweder Richtung Eltern-Ich oder Richtung verletztes Kind-Ich, bisweilen, wie in dem vorliegenden Fall, pendelt er zwischen beiden hin und her.
Für den Menschen selbst ist es ein beklagenswerter Zustand und ich finde es wichtig, ihn darauf aufmerksam zu machen, auch auf die Gefahr hin, dass er anschließend die Messer wetzt, intrigiert, verleumdet.
Eine große Hilfe für uns ist, wenn wir unser Eltern-Ich und unser Kind-Ich identifizieren können. Wenn wir erkennen, wo wir uns gerade befinden, kann unser Erwachsenen-Ich recht schnell wieder seinen Platz einnehmen und keine Frage: Es ist schön und gesund, wenn man mit einem erwachsenen Mann oder/und einer erwachsenen Frau sprechen kann.
Hilfestellung und damit Möglichkeiten zur Identifizierung bietet ein verständlich und verständnisvoll geschriebenes Buch. Der entsprechende Buchauszug findet sich in meinem Blog "Inneres Kind" unter dem Post Die Identifikation von Erwachsenen-Ich, Eltern-Ich und Kindheits-Ich. - Möglichkeiten der Selbstfindung. Lebensskripte und Traktionsanalyse.
Er entstammt angezeigtem Buch, das 1976 im Amerikanischen erschien und 1998 in seiner deutschsprachigen Ausgabe seine fünfte Auflage erlebte.