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Montag, 7. September 2009

"Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen" - Goethes Faust: aktueller denn je!



Faust zweifelt. Das Volumen, das er aufgeschlagen hat, ist das Neue Testament. Dort steht:

Im Anfang war das Wort.

Logos, wie es im griechischen Text heißt. Das Wort.

Das Wort ward Fleisch, so ist im Johannesevangelium weiter zu lesen.

Es wohnte unter uns.
Die Rede ist von Christus als dem auf der Erde, nämlich in Jesus inkarnierten Wort Gottes, der göttlichen Wahrheit, die sich in Jesu Person manifestierte, nach der Taufe durch den Täufer, drei Jahre lang.

In diesem Moment ist Faust jedoch bereits nicht mehr Herr seiner Sinne, denn, ohne dass er es weiß, befindet sich Mephistopheles, dessen wirksamstes Mittel der Zweifel ist, in seiner unmittelbaren Nähe. Immer, wenn das der Fall ist, ist er in dessen Bann.

Und so sucht Faust nach dem Sinn des Logos und kommt schließlich zu einem Ergebnis, das dieses Wort maßlos reduziert: Im Anfang war die Tat!

In menschlichen Begriffen lässt sich das Wesen Gottes, das Wesen des Logos, kaum erfassen, schon gar nicht, indem man es unterteilt in Geist und Tat, denn: Logos ist alles in einem.

Das ist, als ob man fragen wollte: Was ist jeweils zuerst da, Denken oder Fühlen?

Das ist genauso müßig wie die Frage: Ist Gott Tat oder Geist?

Außerhalb von Zeit und Raum gelten nicht unsere Begriffe von Wirklichkeit. Das muss uns bewusst sein, wenn wir von GOtt oder dem Logos als seiner Offenbarung reden.

Gefühl ist alles, wird Faust im Gespräch mit Gretchen sagen, um eine Antwort auf ihre Frage zu finden, ob er an Gott glaube. Er hätte doch eigentlich auch feststellen können:

Am Anfang war Gefühl.

Erstaunlich, dass wir genau diese Antwort am Schluss des Buches Alles fühlt von Andreas Weber finden, das ich kürzlich besprochen habe, ohne allerdings auf den Schluss des Buches einzugehen; dort heißt es ganz am Ende:
Wagen wir also an dieser Stelle, die Einsichten der Schöpferischen Ökologie zu einem ehrfürchtigen Blick auf den Kosmos auszuweiten. Wir waren auf weiten Reisen. Wie sieht die Heimkehr aus? Am Anfang hatte ich beschrieben, wie die Wissenschaftler zunehmend einsehen, dass ihre Grundannahme, allein die Kausalität regiere das Universum, revidiert werden muss und dass sie noch ein anderes Prinzip anzuerkennen beginnen, damit sie die Wirklichkeit richtig verstehen - das der Innerlichkeit oder des Fühlens. Unser letzter Ausflug in diesem Kapitel führt zu der Vermutung, dass dieses Prinzip nicht auf das Reich der Lebewesen beschränkt ist, sondern dass es als versteckte Fähigkeit aller Materie zu eigen ist.
Das, finde ich, sind faszinierende Gedanken.
Andreas Weber kommt allerdings dann zu dem Ergebnis:
All das heißt, dass am Anfang kein logos war - kein abstraktes Wort. Die Wirklichkeit ist ebenso wenig »eigentlich Geist«, wie sie »bloß Materie« ist. Vielleicht müsste es daher besser heißen, »am Anfang war Gefühl« - gewiss jedoch das Potenzial dazu. Gab sich dieses in der Geburt des Kosmos dem Schicksal der Materie anheim, im blinden Vertrauen, im Begehren nach Sein - bis in unsere Sehnsucht hinein, die so immer wieder ganz zum Anfang zurückführt? Verlieren wir uns noch ein letztes Mal im Sternenhimmel, der im Auge der Kröte aufgegangen ist. Schauen wir. Gefühl ist nichts »rein Geistiges«. O nein, im Gegenteil. Gefühl ist Lust und Tragik der Materie.
Schade. Ich finde viele Gedanken in A. Webers Buch beeindruckend, auch noch in obiger Passage.
Aber am Schluss macht er denselben Fehler wie Faust. Er stellt sich über den Logos, er stellt sich über Gott, weil er meint, Logos und Gott seien ein abstraktes Wort.
Und wie Faust ganz mephistophelisch auf Sinn und Kraft und Tat kommt, so fügt dem Andreas Weber das Gefühl hinzu. Weil eben am Anfang seiner Meinung nach kein Logos war, etwas, was Weber als geistige Kraft nicht wahrhaben will, vielleicht, weil es, wie Paulus, der Apostel, im Brief an die Gemeinde zu Philippi formuliert, höher ist als alle Vernunft.

Schade; es gehört Demut dazu zu bekennen, dass es etwas gibt, was wir nicht begreifen.

Und das ist gut so, denn wenn Menschen etwas zu be-greifen glauben, dann greifen sie - Andreas Weber ist hierfür leider auch ein Beweis - auf eine Weise zu, die keinen Raum mehr für Gott und den Logos lässt.

Ich wollte, Gefühl hätte den Platz auf unserer Welt, der ihm zusteht, und dass Weber zu einer neuen Sicht und Bewertung des Gefühls im Rahmen seines Buches kommt, finde ich klasse. Wie aber kann man ernsthaft den Anfang auf Gefühl reduzieren wollen?!

Oder auf Tat?

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