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Mittwoch, 12. Dezember 2012

Grammatikunterricht ist Menschenkunde.

Eigentlich hätte ich, so mag mancher denken, besser schreiben sollen: Grammatikunterricht beinhaltet auch Menschenkunde.

Aber ich meine tatsächlich: Grammatikunterricht ist Menschenkunde.

In jeder Klasse, in der wir Grammatik machen, frage ich unvermttelt zwischendrin, wenn wir gerade Fälle bestimmen, Adverbiale benennen oder Objektsätze aufspüren:

Mit was ist ein Satz, mit was sind Sätze, die in ihrem Aufbau so unterschiedlich sein können, vergleichbar?

Tatsächlich – Sätze sind wie Menschen:

Es gibt einfache, klare, kurze Sätze.
Auch Menschen können so sein: unkompliziert, klar und gerade heraus.

Es gibt Sätze mit logischen Beziehungen: Da wird eine kausaler Zusammenhang hergestellt ( ... weil er es eilig hatte) oder ein finaler (... damit es auch jeder sieht) oder es wird ein Gegengrund aufgezeigt (... obwohl alle dagegen waren).
Das sind Menschen, die Wert darauf legen, dass etwas transparent ist, in einen logischen Zusammenhang gestellt wird. Manchmal sind es auch Menschen, die zwanghaft alles begründen müssen ...

Es gibt Sätze, die sind unvollständig oder lassen einfach ein Verb weg.
Menschen sind gern auch emotional und dann pfeifen sie auf Korrektness.
Manche sind  n u r  so. Von denen merken es einige nicht und manche sind absichtlich so, weil sie ein Leben lang ein Kind bleiben wollen :-))

Und dann gibt es natürlich die total überfrachteten Sätze à la Thomas Mann. Sie sind bisweilen - das empfindet jeder ein bisschen anders - schrecklich aufgeplustert. Wenn die Verständlichkeit auf der Strecke bleibt, ist das natürlich für die, die so schreiben und sprechen, ein notwendiges Opfer für die Selbstdarstellung, denn viele können nicht so schreiben, geschweige denn denken; und darauf möchte man schon aufmerksam machen: Schau, ich kann es!
Und so gibt es auch Menschen, die gar nicht unbedingt verstanden sein wollen, die vor allem ihr Ich zur Schau stellen und erwarten, dass sie dafür, wie Thomas Mann, schon den Nobelpreis bekommen.

Dann gibt es Texte, die spielen mit Sprache. Da kommt auf einmal ein Punkt. Und nach dem Punkt geht der Satz in der nächsten Zeile weiter. Markus Zusak macht das hin und wieder.
Das ist sein inneres Kind, das spielt mit Sprache und freut sich und klopft sich auf die Schenkel und lacht, weil es weiß: Da stolpert der ein oder andere, stutzt, findet das komisch ... 
Übrigens sind solche Sätze nicht nur dem Spaß geschuldet; dahinter steckt auch oft Sinn ... wenn Verstehen nämlich zu selbstverständlich wird, dann wird es gefährlich.

Natürlich gibt es noch viele Zwischenstufen und mehr Satzformen, so viele eben wie Menschentypen ... :-))
Gewiss gibt es darunter Menschen, die haben für die jeweilige Situation die richtige Sprache, die können sich auch auf ihren Gegenüber einstellen, finden die richtigen Worte ... ehrliche Worte, auch das ist wichtig ... wir spüren das ...

Belassen wir es dabei einmal.

Wie die Menschen die Welt ergreifen und auf sie zugehen, das zeigt sich in ihrer Sprache.
Und an ihr zeigt sich auch, dass man dieses Zugehen verändern kann. Denn Sprache kann man verändern.
Wenn man sie sich bewusst macht, ist das eine relativ gute Übung, das Unbewusste aus seinem Dunkel zu ziehen ins Licht. 
Und dann ist Veränderung möglich.
Das ist mit das Wichtigste, um was es im Leben geht: Unbewusstes aus dem Dunkel zu holen, damit es  uns nicht dominiert, ohne dass wir es merken.

So kann man sich in der Sprache von überflüssigem Schnick-Schnack befreien. Man kann sich eine Zeitlang wirklich auf das Wesentliche konzentrieren, indem man nicht das rote Auto mit seinem Schiebedach und dem aufgemotzten Auspuff, der ständig silbergraue Wölkchen austößt, elanvoll und mit Schwung in die eigentlich zu enge Garageneinfahrt einfahren lässt, sondern einfach ein Auto.
Manchmal ist es gut, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nicht umsonst sagt Angelus Silesius: Mensch werde wesentlich!
Oder die Bibel: Eure Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein, und was darüber ist, das ist von übel.

Nur darf man ruhig viele Möglichkeiten haben, denn bisweilen schlägt die Sprache Purzelbäume, und es ist gut, wenn das ein Mensch auch kann, sich einfach auch mal gehen zu lassen, zu purzeln, zu lachen, zu ...

In jedem Fall ist es gut, wenn die Sprache nicht mit den Menschen macht, was sie will, sondern wenn dem Menschen Sprache zur Verfügung steht. 
Im Sport ist das auch so: Wenn Kinder Basketball spielen lernen, dann macht der Ball oft mit ihnen, was er will. Er prellt durch die Halle und dahinter sieht man einen Jungen, der schaut, dass der Ball nur annähernd bei ihm bleibt ...
Später ist es dann so, dass der Basketball wie mit dem Magneten angezogen wieder in die Hand zurückkehrt und sie verlässt, wann der Junge das möchte. 

Deshalb - und damit wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt - ist Sprachbetrachtung Menschenkunde, und die ließe sich fortsetzen, z.B. wie Menschen die Tempora gebrauchen. Davon vielleicht ein andermal mehr. Aber es ist wichtiger als man denkt, denn manche Menschen sind zum großen Teil ihre eigene Vergangenheit, ja manche sind es ausschließlich ...

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