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Dienstag, 11. Dezember 2018

Romantik kann gefährlich sein, wenn sie träge macht, wenn Stille zur Totenstlle wird.

Friedrich Lenaus Gedichte - der österreichische Autor lebte von 1802 bis 1850 - zeigen dieses Dilemma auf. In seinen Sonetten, die vom Wind, vom Regen von den Glocken und vom Kind erzählen, spricht er beispielsweie von einem vor sich hinschlummernden Wald, in dem sogar die Vögel schweigen, er spricht von regungslosen Disteln, von Himmel und Erde, welche diffus ineinander versunken sind. Nichts hat das gemein mit der so erwünschten Hochzeit von Himmel und Erde. Beispiehaft sei hier das Sonett Stimme des Windes zitiert:

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1.  Stimme des Windes

In Schlummer ist der dunkle Wald gesunken,
Zu träge ist die Luft, ein Blatt zu neigen,
Den Blütenduft zu tragen, und es schweigen
Im Laub die Vögel und im Teich die Unken.

Leuchtkäfer nur, wie stille Traumesfunken
Den Schlaf durchgaukelnd, schimmern in den Zweigen,
Und süßer Träume ungestörtem Reigen
Ergibt sich meine Seele, schweigenstrunken.

Horch! überraschend saust es in den Bäumen
Und ruft mich ab von meinen lieben Träumen,
Ich höre plötzlich ernste Stimme sprechen;

Die aufgeschreckte Seele lauscht dem Winde
Wie Worten ihres Vaters, der dem Kinde
Zuruft, vom Spiele heimwärts aufzubrechen.
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Wind ist in den Mythen immer mit Geistigem verbunden, und so darf man, wenn von dem Vater die Rede ist, durchaus an den göttlichen denken, der seinem Menschenkind zuruft: Komm heim!

In seinem 4. Sonett nimmt Lenau Bezug darauf, dass Kinder aus einer geistigen Welt kommen, nicht einfach, wie mancher annehmen mag, ein physisches Produkt sind, in das sich eine Seele verirrt. 
Lenaus Bezugnahmen zum Paradies und zum Himmel sind allerdings nur als Möglichkeit und als Vergleich gestaltet, doch hat man  den Eindruck, dass er im Lauschen des Kindes mehr als nur ein Möglichkeit, die der Konjunktiv II suggeriert, sieht:
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4. Stimme des Kindes

Ein schlafend Kind! o still! in diesen Zügen
Könnt ihr das Paradies zurückbeschwören;
Es lächelt süß, als lauscht es Engelchören,
Den Mund umsäuselt himmlisches Vergnügen.

O schweige, Welt, mit deinen lauten Lügen,
Die Wahrheit dieses Traumes nicht zu stören!
Laß mich das Kind im Traume sprechen hören
Und mich, vergessend, in die Unschuld fügen!

Das Kind, nicht ahnend mein bewegtes Lauschen,
Mit dunklen Lauten hat mein Herz gesegnet,
Mehr als im stillen Wald des Baumes Rauschen;

Ein tiefres Heimweh hat mich überfallen,
Als wenn es auf die stille Heide regnet,
Wenn im Gebirg die fernen Glocken hallen.


Ja, Lenau deutet es an, die Welt muss schweigen, damit dieses Kind zu hören ist. 

Wovon er zu seiner Zeit noch nicht sprechen kann - deshalb der versteckte Konjunktiv II in lauschte, der immer auch Nicht-Wirklichkeit souffliert - ist, dass die Menschheit sich auf eine Stufe hin zu entwickeln beginnt, auf der sie die Stimme des inneren göttlichen Kindes nicht mehr nur im Traume hört. Die Stille der Erde wird transparenter; denn auch wenn genau das Gegenteil der Fall zu sein scheint, wenn Lüge im Weißen Haus hoffähig geworden ist und weltweit immer mehr dominiert: genau dann ist auch die Gegenbewegung da, nämlich, dass in Menschen Stille spricht. 

Lenau weiß darum, weil in der Romantik die Stille auch eine dunkle Seite zeigt – genau deshalb! Das ist ein großes Verdienst der Romantik. Weil die Stille dadurch sich in ihrer wahren ganzheitlichen Gestalt zeigt, kann auch ihre klare Seite deutlicher zutage treten. Noch geschieht es bei Lenau in Form einer Ankündigung, die Wortwahl des zweiten Terzetts macht es deutlich: Das Heimweh hat überfallen – noch ist es ein zu passiver Vorgang, der dem Menschen widerfährt, noch hallen in seinem zweiten Sonett die Glocken, die aus der Stille kommen, in der Ferne, aber sie sind spürbar, fast vor dem Durchbruch, im Menschen klar zu tönen.

Auf diesem Weg zu klarem Bewusstsein, das Romantiker oft so sehr herbeisehnten, aber noch nicht ganz verstanden – mit Ausnahme von einem Novalis, möchte ich sagen – sind die Menschen unserer Tage und sie sollten sich von den Trumps und Putins dieser Erde, die morden und lügen, und denen, die so blitzgescheit daherreden wie ein Harald Lesch oder ein Bestseller-Philosoph wie Richard David Precht, aber nichts von der Kraft des Geistes verstehen, der in den Menschen zur Entfaltung kommen kann – oder keinen Mut haben, sich zu ihm zu bekennen -, nicht irritieren lassen. Es ist ein inneres Vermögen der Menschen, das sich mehr und mehr entwickelt, das im Übrigen die Enge der Konfessionen und die Falschheiten einer dubiosen Esoterik hinwegfegen wird.
mehr zu allen vier Sonetten: hier

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