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Dienstag, 7. Mai 2019

Aus dem „Veilchenlied” Neidharts (oder: wie aus einem Veilchen zum Entsetzen einer Herzogin ein stinkender Haufen wird) . . .

Hier die erste Strophe des Veilchenliedes, zunächst in mittelhochdeutsch:
Urlaub hab der winter
und auch der kalte snee!
Uns kumt ein sumer linder:
man siht anger unde klee
gar sumerlich bestellet.
Ir ritter und ir frauen,
ir sult auf des maien plan
den ersten veihel schauen,
der ist wunniglich getan.
Die zeit hat sich gesellet.
Ir sult den sumer grússen
und all sein ingesinde.
Er kann wol swere pússen
und fert da her so linde.
So will ich auf des maien plan
den ersten veihel suchen.
Gott geb, das es mir wol muß ergan!
der zeit soll wir gerúchen,
seit sie mir wol gefellet.
                        
Strophe 1, übersetzt:
Urlaub hab der Winter,
und auch der kalte Schnee.
Uns kommt ein linder Sommer
man sieht schon Gras und Klee
gar sommerlich bestellet.
Ihr Ritter und ihr Frauen,
sollt auf des Maien Plan
das erste Veilchen schauen,
wie es ist wunderbar erwacht.
Die Zeit hat sich eingestellt
grüßt nun den Sommer
und all seine Gehilfen.
Er kann wohl Leid ausgleichen
und fährt so sanft einher.
So will ich auf der Maienwiese
das erste Veilchen suchen.
Gott geb mir ein Gelingen
dass wir der Zeit entprechen
nun sie mir wohl gefällt.
Der weitere Verlauf des Liedes ist allerdings ziemlich dramatisch. Neidhart stülpt seinen Hut über das Veilchen und führt von ihrer Burg die bayrische Herzogin zu jener Stelle, um ihr den Frühlingsgruß zu zeigen. Was er nicht weiß, ist, dass ihn Bauernlümmel beobachtet haben und einen übelriechenden Haufen auf der Stelle unter dem Hut zurücklassen. Verständlich, dass die Dame not amused ist und glaubt, Neidhart habe das absichtlich getan: „Bei allen meinen tagen / geschah mir nie so leidt” - so sehr nimmt sie es sich zu Herzen, dass sie sagt: „Ich wolt, das ich wer todt”!
Die 5. Strophe des Liedes deutet an, dass all die Beteiligten, 32 an der Zahl, ihr linkes Bein einbüßten („It waren zwen und dreissig / die verlorn doch ir linkes bein”). Ob es faktisch so war, sei dahingestellt, die linke Seite steht ja auch für die des Teufels, allerdings endet das Lied mit der Aussage eines der Übeltäter namens Wissigk: „Nu múg wir nimmer spríngen.” - Dass Neidhart offensichtlich ganz und gar verquer mit den Bauern, den Bauerntölpeln lag, ist bekannt; es wird überliefert, dass sein Grab in Wien von Bauern mit Heugabeln traktiert worden sein soll.

Neidhart von Reuental, wie er genannt wird (wobei nicht ganz klar ist, ob nicht vor allem die Herkunftsbezeichnung allegorisch zu verstehen ist, kann man doch „Reuental” mit „Jammertal” übersetzen, wobei übrigens auch „Neidhart” als eine Bezeichnung des Teufels gilt), lebte und wirkte zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der Gegend um Salzburg, Hallstein, Berchtesgaden, Bad Reichenhall. Er ist eine der prägenden dichterischen Gestalten dieser Zeit, wenn nicht DIE prägende. Seine Lieder wurden bis in die Zeit des Buchdrucks überliefert, er selbst wurde zu einer immer wiederkehrenden Gestalt der Fastnachtsspiele und nach ihm wurde ein eigenes Genre, ein Gattungstyp genannt - Ein Neidhart -, wenn also auf seine typische Weise gedichtet wurde. Seine Texte ließen auch zum Teil an sexuell-schlüpfriger Offenheit nichts zu wünschen - bei Gelegenheit vielleicht mal ein Beispiel.

(HIER gibt´s das ganze Veilchenlied - am Ende findet sich dort auch die nicht immer sehr lyrische Übersetzung)

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