Seiten

Donnerstag, 10. Oktober 2019

"Vorbei - verjährt - / Doch nimmer vergessen." Was Joachim Ringelnatz wirklich wichtig ist: "Ich hab dich so lieb."

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

ICH HABE DICH SO LIEB

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.


Ich habe dir nichts getan.

Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

 

Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.

Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

 

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.

Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.


Ich lache.

Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

 

Ich habe dich so lieb. 

Natürlch erinnert das Gedicht an Tucholskys Augen in der Großstadt mit dem berühmten vorbei, verweht, nie wieder.

Auch hier finden wir Vergleichbares: Vorbei - verjährt -

Liebe macht höchstens Station. "Ich reise." Im Grunde ist sie immer unterwegs. Wie wir.

Und irgendwie könnte man das Lachen der vorletzten Strophe ernst nehmen wollen. Aber in Wirklichkeit glaubt man dem nicht, dass die Löcher an einem Sieb die Hauptsache seien.
Irgendetwas bleibt eben doch hängen. - Womöglich ist genau das das Entscheidende.
Da kann Ringelnatz so gekonnt wie er will Belanglosigkeiten wie das Bellen eines Hundes einblenden.

Am Anfang und Ende steht nun mal die Wahrheit:

Ich hab dich so lieb.

Solch einen Satz aus tiefstem Herzen zu sagen: Darin besteht nunmal der Sinn der Weltgeschichte.
Das ist es, was bleibt.
Auch wenn Ringelnatz sich immer wieder weidlich bemüht, dem Leben seinen tiefen Ernst zu nehmen. Mit solchen Gedichten zeigt er ihn in Wirklichkeit auf.

Keine Kommentare: