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Samstag, 7. Dezember 2019

. . . gewendet / Wie zum Polarstern halt das Eine fest, / Sein Wort, sein heilig Wort, und – Schach dem Rest! Annette von Droste-Hülshoff zum zweiten Advent:


Wo bleibst du, Wolke, die den Menschensohn
Soll tragen?
Seh' ich das Morgenrot im Osten schon
Nicht leise ragen?
Die Dunkel steigen, Zeit rollt matt und gleich;
Ich seh' es flimmern, aber bleich, ach bleich!
Das sind keine Worte, die zum 2. Advent passen wollen. Schon in ihrem Gedicht Am ersten Sonntage im Advent fiel auf, wie wenig vorweihnachtlich die Stimmung der Droste ist.
Ihre Gedichte, die sie für diese Zeit der Ankunft des Menschensohnes schreibt, thematisieren die Not ihrer Zeit und die der Menschen.
Das ist auch in ihren Gedanken zum zweiten Advent nicht anders.
Was aber besticht, ist die Tatsache, dass diese Frau nicht, wie so viele Menschen das gerne tun, jene Not auf äußere Umstände zurückführt, auf Einflüsse also von außen. Nein, sie gibt sich diesem Ablenkunsmanöver nicht hin:

Mein eignes Sinnen ist es, was da quillt
Entzündet,
Wie aus dem Teiche grün und schlammerfüllt
Sich wohl entbindet
Ein Flämmchen und von Schilfgestöhn umwankt
Unsicher in dem grauen Dunste schwankt.
Wir kennen diese Naturtopoi aus den Gedichten der Droste, die in ihrer westfälischen Heimat ganz verwurzelt ist. Aus der Natur schöpft sie die Bilder, die auch das Leben der Menschen und ihre seelische Befindlichkeit kennzeichnen.
So muß die allerkühnste Phantasie
Ermatten;
So in der Mondesscheibe sah ich nie
Des Berges Schatten
Gewiß, ob ein Koloß die Formen zog,
Ob eine Träne mich im Auge trog.
Doch all dem, was von außen und innen sich heranwälzt, Geburten auch ihres Verstandes, setzt sie unbeirrt etwas entegegen:
So ragt und wälzt sich in der Zukunft Reich
Ein Schemen!
Mein Sinnen sonder Kraft, Gedanke bleich:
Wer will mir nehmen
Das Hoffen, was ich in des Herzens Schrein
Gehegt als meiner Armut Edelstein?

Gib dich gefangen, törichter Verstand!
Steig nieder
Und zünde an des Glaubens reinem Brand
Dein Döchtlein wieder,
Die arme Lampe, deren matter Hauch
Verdumpft, erstickt in eignen Qualmes Rauch.
Dieser Verstand ist der armen irdischen Lampe gleich. Ihr Licht jedoch entspringt einer anderen Quelle:
Du seltsam rätselhaft Geschöpf aus Ton
Mit Kräften,
Die leben, wühlen, zischen wie zum Hohn
In allen Säften,
O bade deinen wüsten Fiebertraum
Im einz'gen Quell, der ohne Schlamm und Schaum,

Wehr ab, stoß fort, was gleich dem frechen Feind
Dir sendet
Die Macht, so wetterleuchtet und verneint,
Und starr gewendet
Wie zum Polarstern halt das Eine fest,
Sein Wort, sein heilig Wort, und - Schach dem Rest!

Dann wirst du auf der Wolke deinen Herrn
Erkennen;
Dann sind Jahrtausende nicht kalt und fern,
Und zitternd nennen
Darfst du der Worte Wort, des Lebens Mark,
Wenn dem Geheimnis deine Seele stark.

Und heute schon, es steht in Gottes Hand,
Erschauen
Magst du den Heiland in der Seele Brand,
Glühndem Vertrauen:
Zerfallen mögen Erd' und Himmels Höhn,
Doch seine Worte werden nicht vergehn.

2 Kommentare:

Marikka Schaechtelin hat gesagt…

Ein schönes Gedicht mit einer klaren Ausrichtung und einer großen Bereitschaft die eigene Verantwortung nicht abwälzen zu wollen. Sie muss wirklich eine sehr feinsinnige Frau gewesen sein. Ich mag ihre Ausdruckskraft und Tiefe.

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Ja, das war sie. Tief religiös und mit einer Intensität, zu der sie vielleicht auch durch ihr fast lebenslanges Kränklichsein und Leiden geführt worden ist. Unter dem folgenden Link - https://johannesklinkmueller.wordpress.com/?s=Droste - findest Du noch drei weitere Gedichte von ihr, die Dich interessieren könnten, wenn Dir mal wieder nach einem Gedicht ist ...
Hab eine friedvolle Adventszeit (ich hoffe, in einer Woche hab ich endlich das erste Kolmar-Video fertig - sie ist auf ihre Weise auch eine der ganz großen Dichterinnen; für mich sind beide - Gertrud Kolmar und die Droste - auf ihre Weise fast unerreicht, obwohl ja Deutschland noch einige bemerkenswert dichtende Frauen aufzuweisen hat)!