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Dienstag, 7. Januar 2020

Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse. / Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld? - Georg Trakls "Blutschuld"

Es gibt Leben, die sind fast zu erschütternd, um genau hinzuschauen.
Das betrifft auch das Georg Trakls (1887-1914). Dabei steht uns nicht nur sein schrecklicher Tod vor Augen, als er sich mit einer Überdosis Kokain das Leben nahm, u.a. weil er die Folgen der Schlacht von Grodek nicht aushielt, als er als Sanitäter, alleingelassen in einer Scheune mit nahezu hundert Schwerverletzten, die um Hilfe und Sterbehilfe schrien und baten, zerbrechen musste (einer der Verwundeten, der die Schmerzen nicht mehr aushielt, schoss sich vor Trakls Augen eine Kugel in den Kopf; als er ins Freie lief, sah er in die Gesichter von Ukrainern, die hingerichtet in den Bäumen hingen), sondern auch seine schulischen Misserfolge, die ihn eine Lehre als Pharmazie-Praktikant aufnehmen ließen und - war er doch direkt an der Quelle - für den Rest seines Lebens an Drogen auslieferten; die Tatsache, dass er nicht nur ziemlich sicher ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Schwester hatte, sondern sie auch zum Drogenmissbrauch verführte - was er sich wohl danach nie verzieh -, seine ständigen vergeblichen Versuche, Arbeit zu finden, seine über lange Zeit sich hinziehenden Geldnöte und und und ...

Es gibt Gedichte von ihm, die zeigen, dass Literatur immer wieder auch mahnend uns die dunkle Seite des Lebens vor Augen führt und Menschen, die an ihm zerschellten und anmahnt, dass dankbar sein kann, wen das sogenannte Schicksal in die Lage versetzt, dem Leben helle Seiten abzugewinnen, die es ermöglichen vorwärtszugehen.


Blutschuld

Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse.
Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld?
Noch bebend von verruchter Wollust Süße
Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!

Aus Blumenschalen steigen gierige Düfte,
Umschmeicheln unsere Stirnen bleich von Schuld.
Ermattend unterm Hauch der schwülen Lüfte
Wir träumen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!

Doch lauter rauscht der Brunnen der Sirenen
Und dunkler ragt die Sphinx vor unsrer Schuld,
Daß unsre Herzen sündiger wieder tönen,
Wir schluchzen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
                                                     (ca. 1909)



hier zu diesem Thema mehr. Am Ende der verlinkten Stelle habe ich geschrieben:

In den zahlreichen Werken, in die ich zu der Inzest-Thematik im Hinblick auf Trakl und seine Schwester Grete hineingeschaut habe - es gilt auch für Zeitungsartikel, Essays oder Aufsätze -, wird deutlich, dass es Germanisten, Journalisten und Buchrezensenten, die zu diesem Thema sich geäußert haben, verwehrt ist, daran zu denken, dass diese beiden Menschen natürlich karmisch miteinander zutiefst verflochten gewesen sind - vielleicht gar aufs Höchste -, so hoch, dass durchaus auch in Erwägung zu ziehen ist, dass beide Schwesterseelen sind (bisweilen auch Dual genannt). Wenn Letzteres zutreffen würde, dann wäre nachvollziehbar, warum  Georg Trakl das Verhältnis zu seiner Schwester vor fast unauflösbare Probleme gestellt haben könnte, vor allem, wenn er diese Möglichkeiten nicht einbezieht.

Es ist kein Zufall, dass in seinen Texten bzw. Gedichten er der Fremdling ist, sie die Fremdlingin, er der Jüngling, sie die Jünglingin, er der Mönch, sie nicht einmal die Nonne, nein, die Mönchin.

Im Nachlass Trakls findet sich ein Gedicht - das unter dem Beginn des ersten Verses als Titel firmiert. In diesem Gedicht lässt der Dichter die zwei Menschen aus seiner Erinnerung heraus - sie durften sterben, der Tod für sie gewiss eine Erlösung - als Schuldige durch den Garten wandeln, einst der Garten Eden, in dem sie, wenn es denn zutrifft, was ich annehme, guten Gewsssens und in Reinheit vereint waren, hier nun beider Antlitz im Wasser verschmolzen, "in wilder Umarmung" dem Zorn der Schöpfung verfallen.
Und dennoch weiß die letzte Zeile um einen Engel der Versöhnung, der Liebenden ihre Liebe, die sie doch nie wirklich leben durften, in Reinheit zurückgibt - so möchte ich einfach formulieren . . .


Die blaue Nacht ist sanft

Die blaue Nacht ist sanft auf unsren Stirnen aufgegangen.
Leise berühren sich unsre verwesten Hände
Süße Braut!

Bleich ward unser Antlitz, mondene Perlen
Verschmolzen in grünem Weihergrund.
Versteinerte schauen wir unsre Sterne.

O Schmerzliches! Schuldige wandeln im Garten
In wilder Umarmung die Schatten,
Daß in gewaltigem Zorn Baum und Tier über sie sank.

Sanfte Harmonien, da wir in kristallnen Wogen
Fahren durch die stille Nacht
Ein rosiger Engel aus den Gräbern der Liebenden tritt.



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