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Dienstag, 2. September 2008

Das kalte Licht der Esoterik

Hans im Glück bringt sein Gold, das er als verdienten Lohn erhalten hat, wie wir im letzten Post gelesen haben, im Grunde seiner Mutter Erde zurück. Am Schluss ist das Gold zu Steinen geworden, die in den Feldbrunnen fallen, zufällig, ohne Absicht, und doch ist es so. Gold wäre nicht in den Brunnen gefallen. Das verwandelte Gold fällt als Steine in den Brunnen, zur Erde.
Der scheinbare Abstieg des Hans im Glück ist der Weg zu seinen Wurzeln.
Als er den Batzen Gold für seine Arbeit erhält, kann er ihn nicht integrieren. Er stört, entweder das Gold oder der Kopf, aber beide passen nicht da oben auf die Schultern. Und doch will Gold doch glänzen; alle dürfen, ja sollen es sehen …
Hans aber wird mit diesem Gold nicht glücklich; irgendetwas stimmt nicht …
Dieses Gold, das nicht passen will, erinnert mich an das Gold, das Licht der Esoterik, das nicht passen will. Immer wieder bin ich auf Menschen aus der esoterischen Szene getroffen, sei es, dass sie Reiki machten, besonders spirituelle Heilpraktiker waren, sich an amerikanischen Richtungen wie Shaumbra oder Kryon orientierten oder einfach jede Menge Bücher gelesen hatten und sehr bewusst waren. Seltsam, dass ich jenes Licht, von dem sie sprachen, das Bewusstsein, das sie vorgaben, oft nicht wirklich als integriert empfand; auch bei Theologen erging es mir häufig so. Zu oft war es eher wie ein Ausstellungsstück, wie jene Goldmedaille, von der ich im letzten Post sprach, die der Goldmedaillengewinner stolz zeigt, durchaus berechtigt stolz zeigt; ihr geht eine respektable Leistung voraus.
Immer wieder finden wir auch, dass sich in der esoterischen Szene Menschen in Foren oder Chaträumen Nicks geben, die ihre besondere Qualität herausstellen sollen; geerdete Nicks und Namen gibt es wenig. – Hans ist einfach ein Hans, ein Hans im Glück, er ist kein ´Lichtengel´, kein ´Samadhi´, kein ´Sternenengel´oder sonst etwas; in seiner Ungewöhnlichkeit scheint er ganz gewöhnlich.
Oft bezeichnen sich Menschen als auf dem spirituellen Weg befindlich, nur: Wer atmet nicht?
Spirituell: Das Wort kommt vom lat. spirare und bedeutet u.a wehen, hauchen, seufzen, brausen, schnauben, ausatmen, leben ...
Dies nun ist allen Menschen eigen.
Wenn also jemand sagt: Ich bin spirituell - was sagt er in Wahrheit damit?
Zeigt er dem anderen sein Gold?
Vielleicht aber ist derjenige, dem er es sagt, ein Hans, der es schon integriert hat, ohne es zu wissen, denn auch Hans weiß es nicht, nur seine Freude wird immer größer. Fest steht, dass er nicht jammert, lamentiert oder sich über seine Kuh oder seine Gans aufregt. - Er nimmt, was kommt, dankbar an.
Plötzlich ist er zu Hause.

Das erinnert mich an ein wunderbares Gedicht von Richard Dehmel, es ist überschrieben Manche Nacht:

Wenn die Felder sich verdunkeln,
fühl ich, wird mein Auge heller;
schon beginnt ein Stern zu funkeln
und die Grillen wispern schneller.

Jeder Laut wird bilderreicher,
das Gewohnte sonderbarer,
hinterm Wald der Himmel bleicher,
jeder Wipfel hebt sich klarer.

Und du merkst es nicht im Schreiten,
wie das Licht verhundertfältigt
sich entringt den Dunkelheiten.
Plötzlich stehst Du überwältigt.



Was hier für eine Nacht gilt, kann auch für das Leben gelten.
Wichtig ist das Schreiten, nicht das Gold-Zeigen.
Spricht Hans von seinem Gold, das er mehr und mehr in sich trägt?
Nein, er bemerkt es nicht, er ist unterwegs.
Und da erlebt er die ein oder andere merkwürdige, des Merkens würdige Überraschung:
Schon als er das Gold gegen ein Pferd tauscht, ist der Glanz weg.
Am Schluss hat er nicht mal mehr sein Schwein oder die Gans.
Er ist schlussendlich sozusagen Steinehüter … und dennoch ist er überwältigt!
Heute fällt mir auf, dass dieses Licht der Esoterik und der esoterischen Szene, dass die vielen Hinweise auf die eigene Spiritualität im Grunde darauf hinweisen, dass dieses Licht in Wirklichkeit oft nicht integriert ist, so wie das Gold von Hans im Glück, als das Märchen beginnt.
Hans spricht nicht mehr über sein Gold, als er in seine Heimat zurückkehrt; es ist seine Freude, die alles überstrahlt; es ist das innere Licht, das leuchtet, und diejenigen, denen es eigen ist, die können auch gar nicht verhindern, dass es leuchtet.
Dieses Licht, das von innen leuchtet, das ist warm, das äußere Licht ist kalt.
Dieses warme innere Licht finden wir in den Augen von Albert Schweitzer, von Gandhi, von Nelson Mandela, wir finden es in den Augen einer Marktfrau, einer Hausfrau, eines Schusters.
Schauen Sie ruhig nach ihm in den Augen eines Wissenschaftlers, eines Pfarrers, eines Theologen, also Menschen, die über das Licht sprechen … nicht, dass nicht auch ein Kardinal, ein Papst, ein Theologe jenes warme innere Licht besitzt … na ja, schauen Sie einfach selbst …
Und denken Sie dabei auch an das Wort Goethes zu Beginn seines Faust:

Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt …