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Mittwoch, 16. März 2011

Reinhold Schneiders "Allein den Betern": aktueller denn je!


Gestern sah ich ein Bild im Fernsehen, das mich unglaublich berührt hat.

Dir, lieber Leser, geht es bezüglich Japan ja vielleicht ähnlich wie mir: Ab und an sieht man ein paar Soldaten im Norden des Landes ziemlich planlos - so hat man den Eindruck - in den Trümmern herumstochern. System scheint wenig hinter dieser Hilfe zu sein; vielleicht besteht die größte darin, dass vereinzelte japanische Männer und Frauen, die sich zwischen den Tsunami-Überresten zu verlieren scheinen, das Gefühl haben, nicht allein zu sein.

Jedenfalls nahm das Kamerateam eine ältere Frau auf, die gerade zu den Überresten ihres elterlichen Hauses gekommen war und nur noch die Hände falten und beten konnte. Es war auf eine mit dem Verstand kaum nachvollziebare Weise zu spüren, ja fast zu sehen, wie ihre Erschütterung zur Ruhe kam und um sie und in ihr sich Frieden breitete.

Neben ihr stand ein junger Soldat. Als er sah, wie die älterer Frau die Hände faltete und betete, faltete er ebenfalls seine Hände, neigte den Kopf und betete mit ihr stillschweigend, bis sie ihr Gebet beendete.

Diees Bild werde ich nie vergessen. In diesem Moment war dies der heiligste Ort auf unserer Erde.

Ich glaube an die Kraft des Gebetes; vielleicht ist auch deshalb für mich das Gedicht Reinhold Schneiders so eindrücklich, das der 33-jährige Dichter 1936 schrieb. Fast hätte er 1945 - ihm sollte wegen Hochverrats der Prozess gemacht werden - dasselbe Schicksal erlitten wie Dietrich Bonhoeffer; ihn jedoch konnte das Kriegsende retten.

Die Zeilen seines damals wie heute fast visionären Sonetts lauten:




      Allein den Betern kann es noch gelingen

      Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten

      Und diese Welt den richtenden Gewalten

      Durch ein geheiligt Leben abzuringen.


      Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:

      Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,

      Was sie erneuern, über Nacht veralten,

      Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.


      Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,

      Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,

      Indes im Dom die Beter sich verhüllen,



      Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt

     Und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,

     Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.




Reinhold Schneider spricht von dem Menschenhochmut, der in unserer Welt Triumphe feiert; selbst angesichts der Katastrophe von Japan gibt es immer noch Menschen, die behaupten, gewisse Dinge könnten uns nicht passieren.


Der Mensch allein wird keine Arche bauen können


Als ob dem Menschengeschlecht nicht mit absoluter Regelmäßigkeit bewiesen würde, dass mit diesem Hochmut sich keine Arche bauen lässt, sondern immer wieder nur eine Titanic. Ich verstehe nicht, woher manche Zeitgenossen angesichts all der Katastrophen, die der Menschheit widerfuhr und widerfährt, diese Chuzpe nehmen, andere glauben machen zu wollen, es gäbe eine Sicherheit, für die sie gerade stehen.


Goethe: "Im Atemholen sind zweierlei Gnaden ..."

Für mich ist eindeutig, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht nur im Sinne Mitscherlichs, sondern in zweierlei Hinsicht vaterlos geworden ist, die nicht nur vaterlos geworden ist, sondern auch jede Struktur verloren hat. Wir meinen, wir können gebotene Strukturen wie die Tatsache, dass der Mensch einen Ruhetag braucht, den er heiligt, auch z.B., dass Einatmen und Ausatmen natürliche Prozesse sind, die es zu respektieren gilt, über Bord werfen. Auf diesem Weg sind wir zu einer Gesellschaft der Einatmer geworden. Wir wollen immer nur einatmen, immer nur haben, haben haben.


Wozu noch ausatmen?


Jederzeit muss downgeloadet werden können. Geschäfte müssen möglichst rund um die Ohr geöffnet sein. Wir machen die Nacht zum Tag. Alles auf Strom komm raus grell beleuchtet, um uns vorgaukeln zu können, es gäbe auch in uns kein Dunkel mehr. Jederzeit muss die Möglichkeit bestehen, alles zu haben, was gerade gehabt werden muss. Was machbar ist, muss auch gemacht werden. Permanente Bedürfnisbefriedigung. Flatrate zu jeder Zeit, ob in Bezug auf Suff oder Sex, der große Unterschied besteht ohnehin nicht mehr.


Die Realität: Sinn-Leere statt Sinn-Lehre

Die Aufhebung natürlicher menschlicher Strukturen voller Sinn setzt Ordnungen außer Kraft, die die Menschlichkeit seit Menschengedenken gesichert haben. Deshalb bedeutet eben Kosmos aus dem Griechischen übersetzt Ordnung, Schmuck.

Wir setzen nicht ohne Folgen diese Ordnungen außer Kraft. Unsere Regierungen, unsere Politiker haben nicht das Bewusstsein und die Kraft, der inneren Unordnung, die sich allenthalben breit macht, die Kraft innerer Werte, über die sie so gerne reden, entgegenzusetzen; teilweise verhindert einfach auch ihr Ego, dass sie diesen Werten zuliebe einen äußeren Machtverlust in Kauf nehmen.

Nur vergessen wir nicht: Unsere Politiker sind ein Spiegel von uns. Wenn wir über sie schimpfen, schimpfen wir über uns.


Glaube, Liebe, Hoffnung


Ich setze auf die drei paulinischen Tugenden und auf die innovative Kraft des Menschen, auf seine unglaublichen Möglichkeiten. Ich stehe zu den technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Aber sie müssen im rahmen einer makrokosmischen eine mikrokosmische Ordnung haben. Ein Mensch ohne innere Struktur ist wie ein Körper ohne Skelett und ohne Haut. Haltlos. Schutzlos.

Was die innere menschliche Strutktur betrifft, wird der Mensch mehr und mehr eine Qualle seiner selbst.

Fukushima als pars pro toto - Kernschmelze wertvollster Werte

Ich glaube, wir sind als Menschheit wirklich an einen Punkt gelangt, wo wir vor der endgültigen Kernschmelze unserer wertvollsten Werte stehen. Ihr Bewusstsein im Inneren der Menschen hat womöglich noch nie einen solchen Tiefstand erreicht. Auch wenn Menschen in solchen Zeiten der Not solidarisch handeln: In dem alltäglichen Handeln diffundieren unsere Werte, unsere innere Ordnung in das Schwarze Loch der Strukturlosigkeit, der Ordnungslosigkeit.

Auch wenn die wenigsten einen Zusammenhang mit Fukushima sehen wollen; ich sehe ihn. Was sich in Japan abspielt, steht pars pro toto für die Menschheit. Nur hoffe ich nicht, dass die Zahl derer, die die Menschheit retten, in dem Verhältnis der 50 Männer, die sich opfern, zur Gesamtbevölkerung von Japan, also über 120 Millionen steht.

In unserer Zeit gewinnt dieses Sonett von Reinhold Schneider für mich wieder eine ganz besondere Bedeutung.

Wie sagte der ARD-Korrespondent in Japan heute Abend: In Fukushima hilft nur eins: Glück.

Für mich ist glücklich, wer noch glauben, lieben, hoffen und
betend handeln kann.

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