Nun sitze ich in der Patsche, genauer gesagt: am Schreibtisch, und lese und lese.
Und bin mittlerweile ohne Einschränkung dankbar, dass ich zu diesem Buch verdonnert worden bin. Eigentlich bin ich ja ohnehin nach der Lektüre von Zusaks Die Bücherdiebin - die war noch schlimmer, sie hatte 586 Seiten, und auch hier war ich (von den Vorgängern meines derzeitigen Kurses) zur Lektüre überstimmt worden - ein Fan dieses australischen Autors; eigentlich habe ich durch ihn wieder zum Glauben an die zeitgenössische Literatur zurückgefunden.
Man merkt in Der Joker, dass Zusak noch übt. So stilsicher wie in der Bücherdiebin ist er noch nicht. Genial sind ja dort, aber auch schon hier, seine ständigen Personalisierungen - da schwirren die Farben durch Augen, ein Magen zappelt in Ed herum, dessen Atem bricht zusammen oder ein Lachen stolpert von seinen Lippen, die Haare einer Frau winken ihm zu oder Ereignisse stehen am Straßenrand; nur hier kommen sie noch nicht so selbstverständlich und gekonnt rüber wie im Nachfolgewerk, eben der Bücherdiebin.
Und dieser Mann, Markus Zusak, hat eine Fülle von Einfällen, eine Bandbreite von Wahlmöglichkeiten, wie sich Geschehen entwickelt, wie ich sie nur bisher bei Goethe und Michael Ende erlebt habe. An jeder Ecke gibt es eine neue Überraschung; nichts verläuft in gewohnten Bahnen, eigentlich ein Entwicklungsroman modernster Prägung, denn vor den Augen des Lesers entwickelt sich ein Mensch vom Mauerblümchen zur Ed-Kennedy-Blume, so der Name des Progatonisten.
Es gibt Szenen in diesem Buch, in dem jener Ed in einen Banküberfall hineingezogen wird und den Täter stellt, um dann kuze Zeit später von einem Unbekannten Spielkarten zu erhalten, die jeweils Aufgaben enthalten und sein Leben vollkommen verändern - Szenen also gibt es in diesem Buch, die so umwerfend komisch, rührend, berührend, voll von Leben und Menschlichkeit sind, dass man einfach dasitzt und wie in einem Film alles miterlebt.
Ich denke nur an jene Kapitel, in denen Ed auf einen Priester trifft und noch nicht weiß, welche Aufgabe ihm hier zukommt: bis es ihm dämmert, dass er ihm die Kirche zu füllen hat.
Wie er das zustandebringt, das ist einfach urkomisch und genial zugleich. Und wie glücklich die Gottesdienstteilnehmer sind, der Priester und Ed selbst (meine Güte, wie voller Leben ein Gottesdienst sein kann) ...
Oder wie er seine Aufgaben in der Havanna Road Nummer 114 löst, in der eine polynesische Familie, Lua Lua Tatupu mit seiner Marie und ihren fünf Kindern, unter ärmsten Verhältnissen wohnt - ich werde an anderer Stelle darüber schreiben und es hier verlinken -, das ist einfach zu Herzen gehend.
Gegen Ende dieser Sequenz finden wir im Kapitel "Pik 6 - Ein Moment der Schönheit" folgende Sätze:
Während die Kinder unter dem Nachthimmel um die Veranda und die bunten Lichter herumtanzen, sehe ich etwas.
Lua und Marie halten sich an den Händen.
Sie sehen so glücklich aus, im Innern dieses einen Moments, während sie ihre Kinder betrachten und die Lampen an ihrem alten Haus.
Lua küsst sie.
Ganz sanft auf die Lippen.
Und sie erwidert den Kuss.
Manchmal sind Menschen wunderschön.
Nicht durch ihr Äußeres.
Nicht durch das, was sie sagen.
Nur durch das, was sie sind.
Da möchte man fast nur noch Amen sagen.
Ein weiterer Post zum Buch:
Mama, warum hasst Du mich so sehr?
Über die schwarze Seite der dunklen Mutter. –
Fast eine Familienaufstellung in Markus Zusaks Der Joker
Über die schwarze Seite der dunklen Mutter. –
Fast eine Familienaufstellung in Markus Zusaks Der Joker