Seiten

Dienstag, 3. April 2012

Rumpel-di-pumpel, weg ist der Kumpel ... Was mir an Wolfgang Herrndorfs "tschick" missfällt und gefällt.


Rumpel-di-pumpel ... An diesen Eintrag, den ich mal auf 2800 Meter Höhe in einem Gipfelbuch in der Schweiz gelesen habe, musste ich denken, als ich gerade in Wolfgang Herrndorfs tschick las, wie die drei, Maik, Isa und Tschick auf dem Gipfel eines ostdeutschen Berges sitzen und Tschick in das Holzkreuz mit dem Taschenmesser eingraviert: AT MK IS 10, die Initialien der drei und 2010 ...
100 Seiten lang hab ich mich durch dieses hoch gelobte Buch eher hindurchgequält, immerhin erhielt es ja den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 - für mich so eine Art Orientierung à la könnte sich zu lesen lohnen
Dieser Möchte-gern-Jugend-nah-Stil Herrndorfs mit auf mich ziemlich verkünstelt wirkenden Versatzstücken aus der Jugendsprache hat mich überhaupt nicht angemacht. Für mich kam vieles relativ hölzern daher und ich hätte das Buch beiseite gelegt, wenn ich es nicht als Unterrichtsvorbereitung hätte lesen wollen/müssen.
Das änderte sich schlagartig, als ich den Beginn von Wolfgang Herrndorfs Bericht über seine Erkrankung (Google unter "Arbeit und Struktur") las. Da wurde mir ganz anders, davon abgesehen, dass mir wieder mal bewusst wurde, wie gut es mir eigentlich geht.
Jedenfalls hab ich ab da das Buch mit anderen Augen, mit anderen inneren Augen gelesen, immer wieder auch mit den Augen eines sterbend Schreibenden (wobei ich hoffe, Wolfgang Herrndorf lebt noch lange ... und irgendwie glaube ich auch, er kann noch gesund werden ...).
Allerdings glaube ich, dass ab diesen Seiten auch das Buch sich verändert. Irgendwie gelingt es Herrndorf ab dem Beginn der Fahrt der beiden Protagonisten mit ihrem geklauten Lada, Maik und Tschick näher an den Leser heranzubringen und allein die Szene, wo Maik dem Dorfpolizisten das Fahrrad klaut und dieser immer näher heransprintet, bevor Maik die viel zu hohe Übersetzung endlich ins Rollen bringt ... das ist klasse geschrieben ...

Was ich absolut nicht mag, ist, wenn Herrndorf so Sätze ablässt wie "Hast du schon mal gefickt?"
Und wenn er das noch dazu ein Mädchen fragen lässt, ist mir das nochmal zu viel (warum, ist ein anderes Thema).
Bestimmt erhöht das die Verkaufszahlen, aber es bestätigt auch so und so viel Jugendliche darin, dass das schon in Ordnung ist, wenn sie über etwas, was für mich mit das Heiligste, was es auf der Erde gibt, ist, auf diese Weise sprechen und es in die Gosse ziehen.
Isa ist 14; also nix wie angefangen mit diesem Wortschatz und dem f.....
Unter anleitender Aufsicht eines Erwachsenen, sozusagen literarisch supervisiert ...
Ich finde, das muss man als Erwachsener nicht lancieren.
Es sei denn, man findet das okay ... das erklärt dann manches andere ...

Auf der anderen Seite aber gibt es in diesem Buch kurze Zeit später eine Stelle, die ist wunderbar ehrlich geschrieben und balanciert die Gosse von vorher ...
Da lässt uns Herrndorf nämlich an den Gedanken Maik Klingenbergs teilhaben:
...tatsächlich wollte ich gar nicht mit ihr schlafen. Ich fand Isa zwar toll und immer toller, aber ich fand es eigentlich auch vollkommen ausreichend, in diesem Nebelmorgen mit ihr dazusitzen und ihre Hand auf meinem Knie zu haben, und es war wahnsinnig deprimierend, dass sie die Hand jetzt wieder weggenommen hatte. Ich brauchte eine Ewigkeit, bis ich mir einen Satz zurechtgelegt hatte, den ich sagen konnte. Ich übte diesen Satz in Gedanken ungefähr zehnmal, und dann sagte ich mit einer Stimme, die klang, als würde ich gleich einen Herzinfarkt kriegen:"Aber ich fand es schön mit deiner ... ähchrrm. Hand auf meinem Knie." 
"Ach?" 
"Ja." 
"Und warum? 
Und warum, mein Gott. 
Der nächste Herzinfarkt. Isa legte ihren Arm um meine Schulter. 
"Du zitterst ja", sagte sie. 
"Ich weiß", sagte ich. 
"Viel weißt du nicht." 
"Ich weiß." 
"Wir könnten ja auch erstmal küssen, wenn du magst." 
Und in dem Moment kam Tschick mit zwei Brötchentüten durch die Felsen gestiegen, und es wurde nichts mit Küssen. (Kapitelende)

Gedankenkino weit  nach innen. Unglaublich einfühlsam. Kein Wort zu viel. Einfach mit der Hand wenige Bilder in den Sand von Zeit und Wirklichkeit gemalt ...

Mittlerweile habe ich das Buch fertig gelesen; es lässt mich nachdenklich zurück. Mein Herz haben Tschick und Maik gewonnen ... wie sicherlich das vieler Leser.
Das Buch endet mit einer Option Maiks auf zwei Frauen, in die er verliebt ist, mit einem Tschick, der im Erziehungsheim sitzt, und der aktuellen Situation, dass Maik mit seiner alkoholkranken Mutter auf dem Boden des Pools sitzt und beide die Luft unter Wasser anhalten, nachdem sie zuvor Fernseher, Stereoanlage, China-Lampe, Beistelltisch, Couch-Sessel und anderes mehr in das Schwimmbad geschmissen haben; am Rand, an der Wasseroberfläche, warten zwei Polizisten, von den Nachbarn, den "Scheiß-Stasi-Kacker(n)" alarmiert.
Eine Lösung ist das nicht.
Muss auch nicht sein.
Allerdings, ich liebe Bücher, die Hoffnung auf das Leben machen ... es gibt so wenige davon ...

Keine Kommentare: