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Mittwoch, 19. Februar 2020

Große Zeiten? - Für Erich Kästners Verse über die geistige Umnachtung Deutschlands gilt heute: Was anfangen mit dem Geist?


Die Zeit ist viel zu groß, so groß ist sie.
Sie wächst zu rasch. Es wird ihr schlecht bekommen.
Man nimmt ihr täglich Maß und denkt beklommen:
So groß wie heute war die Zeit noch nie. 

Sie wuchs. Sie wächst. Schon geht sie aus den Fugen.
Was tut der Mensch dagegen? Er ist gut.
Rings in den Wasserköpfen steigt die Flut.
Und Ebbe wird es im Gehirn der Klugen. 

Der Optimistfink schlägt im Blätterwald.
Die guten Leute, die ihm Futter gaben,
sind glücklich, daß sie einen Vogel haben.
Der Zukunft werden sacht die Füße kalt. 

Wer warnen will, den straft man mit Verachtung.
Die Dummheit wurde zur Epidemie.
So groß wie heute war die Zeit noch nie.
Ein Volk versinkt in geistiger Umnachtung 

(Erich Kästner, Große Zeiten, 1933)

Ich glaube, dass es heute mehrheitlich nicht mehr zutrifft, was Kästner damals für die Zeiten der Machtergreifung schrieb. Es gibt zwar nach wie vor einige Menschen, die man für geistig umnachtet halten möchte, aber heute scheint mir eher das Problem, wie unterschiedlich Menschen ihren Geist nutzen: Zu viele nörgeln nur herum und finden alles schlecht (und einfach nicht mehr so gut wie früher - ich habe leider festgestellt, dass viele ältere Frau- und Herrschaften zu dieser Spezies gehören); nicht wenige posten ihren Hass, den sie gegen sich und ihr Leben hegen, nach außen; es gibt aber auch die, die dem Leben konstruktiv begegnen und auch, wenn ihnen unterstellt wird, dass sie sich nur freitags um den Unterricht drücken wollten [als ob Fluglotsen, Bahnmitarbeiter und Ärzte immer am Wochenende gestreikt und auf sich aufmerksam gemacht hätten], so sind es gerade junge Leute, die Gott sei Dank endlich vehement verlangen, dass auch ihre Zukunft mitgedacht wird und dieses Land endlich aufhört, vor sich hinzumerkeln.

1 Kommentar:

Rainer hat gesagt…

Ich fürchte, die jungen Leute werden sich von nun an mal solidarisch um unser aller Gesundheit kümmern müssen. Neue Modelle für europäische Produktionsketten bedenken. Wäre m.E. wesentlich nützlicher, als von Deutschland aus das Weltklima retten zu wollen. Der berühmte Clinton-Satz stimmt noch immer: "It's the economy, stupid."