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Freitag, 16. Mai 2008

In Kontakt zu Gefühlen: Die Bedeutung von Vater und Mutter

Die Basis für den Gefühlsreichtum und die Vielfalt der Gefühle wird im Menschen sehr früh angelegt und entscheidet darüber, was ihm später als emotionale Intelligenz und als emotionales Lebensbudget zur Verfügung steht. Ob dieses Budget nachrüstbar ist, dazu möchte ich später Stellung nehmen.
Auf was im Folgenden Joachim Bauer hinweist, gilt nicht nur für frühkindliche Spiegelaktionen, sondern auch für das, was wir die Prägung von Gefühlen nennen können und erklärt, warum Menschen so Unterschiedliches unter Liebe, unter Zorn, unter Mitleid, unter Wärme, unter Sanftmut, unter Freude und vielem anderen verstehen;
es erklärt aber auch, warum wir letzten Endes manche Menschen nicht verstehen: Sie sprechen nicht unsere emotionale Sprache.
Hier noch ein Zitat aus J. Bauers Buch, das ich allen zum Verständnis von sich selbst und für ein Bewusstsein, was in der Erziehung von Kindern wichtig ist, ans Herz legen möchte – eines der wichtigsten und besten Bücher, das ich gelesen habe; es zeigt, dass auch ein Naturwissenschaftler lebendig und leicht verstehbar schreiben kann:
Bei richtig gewähltem Abstand beginnen Säuglinge wenige Stunden bis Tage nach der Geburt, bestimmte Gesichtsaus­drücke, die sie sehen, spontan zu imitieren. Öffnet das ihnen entgegenblickende Gesicht den Mund, tun sie dasselbe. Auf ein Gesicht mit gespitztem Mund reagiert das Neugeborene, indem es selbst die Lippen kräuselt, und es streckt seine Zunge heraus, wenn man ihm dies vormacht. Mit seiner erstaun­lichen Fähigkeit zur Imitation hat der Säugling bereits von den ersten Lebenstagen an die Möglichkeit, sich auf ein wech­selseitiges Spiel einzulassen, welches dazu führt, dass sich erste zwischenmenschliche Bindungen entwickeln können. Die neurobiologisch angelegte Bereitschaft zu spontanen Imitationsakten ist das Grundgerüst, um das herum sich die Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson entwickelt. Zwischen dem Neugeborenen und der Hauptbezugsper­son – in der Regel die Mutter - beginnt nun etwas, dessen Zauber nur noch mit der Situation von Frischverliebten zu vergleichen ist. Und tat­sächlich passiert aus neurobiologischer Sicht in beiden Fäl­len etwas sehr Ähnliches: ein wechselseitiges Aufnehmen und spiegelndes Zurückgeben von Signalen, ein Abtasten und Erfühlen dessen, was den anderen gerade, im wahrsten Sinne des Wortes, bewegt, begleitet vom Versuch, selbst Signale auszusenden und zu schauen, inwieweit sie vom Gegenüber zurückgespiegelt, das heißt erwidert werden. Dieses Spiel steht nicht nur am Anfang einer Liebesbezie­hung, es bildet, in weniger intensiver Form, den Startpunkt jeder zwischenmenschlichen Beziehung […]
Damit das ganze wunderbare Spiegelspiel überhaupt be­ginnen kann, benötigt der Säugling Bezugspersonen, aller­dings nicht irgendein Gegenüber, nicht irgendeine Trai­ningswand, sondern echte »Mitspieler«, die selbst spiegeln können. Die meisten Kinder haben geeignete Mitspieler: Bezugspersonen mit einer normal entwickelten Fähigkeit, mit Liebe, Sensibilität und Wärme auf den Säugling ein­zugehen. Die besten Mitspieler sind die Eltern […]
Das Gegenstück zu den Imitationsübungen des Säug­lings besteht darin, dass die Mutter und Bezugspersonen ihrerseits eine intuitive Tendenz haben, den Säugling zu imitieren und ihm damit die Signale zurückzuspiegeln, die er selbst aussendet. Dabei reflektieren sie sein Verhalten nicht eins zu eins, sondern in einer erweiterten, um zusätz­liche Elemente angereicherten Form, ein Vorgang, der als Markierung bezeichnet wird […]
Frühe Spiegelungen führen also nicht nur zu seelischem, sondern auch zu körperlichem Glück. Umgekehrt ruft eine absichtlich verweigerte Spiegelung massive Unlustre­aktionen hervor. Dies macht ein Experiment deutlich, das in der Fachliteratur als »still face procedure« bezeichnet wird. Die Bezugsperson bringt ihr Gesicht in den richtigen Abstand zum Gesicht des Kindes. Wenn der Erwachsene nun, entgegen seiner eigenen emotionalen Intuition, seine Miene absichtlich völlig regungslos beibehält, dann wen­det sich das Kind impulsiv ab. Wird die Prozedur mehrere Male wiederholt, hat dies einen emotionalen Rückzug zur Folge: Die Bereitschaft des Säuglings nimmt ab, nach wei­teren Möglichkeiten für mimischen Signalaustausch zu su­chen.
Aus Beobachtungen dieser Art darf und muss die Schluss­folgerung gezogen werden, dass Versuche, Neugeborene bzw. Kleinkinder emotionslos, nach rein »rationalen« oder »vernünftigen« Kriterien zu versorgen, verheerende Folgen haben. Sie ruinieren die Fähigkeit des Kindes, mit anderen Menschen in emotionalen Kontakt zu kommen und sich mit ihnen intuitiv verbunden zu fühlen. Das frühe Spiel mit spiegelnden Imitationen schafft die Grundlage dessen, was Daniel Goleman als emotionale Intelligenz beschrieben hat.

Ausführlicher ist diese Passage aus dem Buch Bauers in meinem Blog Spiegelneuronen und Gefühle zitiert.

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