Die Basis für den Gefühlsreichtum und die Vielfalt der Gefühle wird im Menschen sehr früh angelegt und entscheidet darüber, was ihm später als emotionale Intelligenz und als emotionales Lebensbudget zur Verfügung steht. Ob dieses Budget nachrüstbar ist, dazu möchte ich später Stellung nehmen.
Auf was im Folgenden Joachim Bauer hinweist, gilt nicht nur für frühkindliche Spiegelaktionen, sondern auch für das, was wir die Prägung von Gefühlen nennen können und erklärt, warum Menschen so Unterschiedliches unter Liebe, unter Zorn, unter Mitleid, unter Wärme, unter Sanftmut, unter Freude und vielem anderen verstehen;
es erklärt aber auch, warum wir letzten Endes manche Menschen nicht verstehen: Sie sprechen nicht unsere emotionale Sprache.
es erklärt aber auch, warum wir letzten Endes manche Menschen nicht verstehen: Sie sprechen nicht unsere emotionale Sprache.
Hier noch ein Zitat aus J. Bauers Buch, das ich allen zum Verständnis von sich selbst und für ein Bewusstsein, was in der Erziehung von Kindern wichtig ist, ans Herz legen möchte – eines der wichtigsten und besten Bücher, das ich gelesen habe; es zeigt, dass auch ein Naturwissenschaftler lebendig und leicht verstehbar schreiben kann:
Bei richtig gewähltem Abstand beginnen Säuglinge wenige Stunden bis Tage nach der Geburt, bestimmte Gesichtsausdrücke, die sie sehen, spontan zu imitieren. Öffnet das ihnen entgegenblickende Gesicht den Mund, tun sie dasselbe. Auf ein Gesicht mit gespitztem Mund reagiert das Neugeborene, indem es selbst die Lippen kräuselt, und es streckt seine Zunge heraus, wenn man ihm dies vormacht. Mit seiner erstaunlichen Fähigkeit zur Imitation hat der Säugling bereits von den ersten Lebenstagen an die Möglichkeit, sich auf ein wechselseitiges Spiel einzulassen, welches dazu führt, dass sich erste zwischenmenschliche Bindungen entwickeln können. Die neurobiologisch angelegte Bereitschaft zu spontanen Imitationsakten ist das Grundgerüst, um das herum sich die Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson entwickelt. Zwischen dem Neugeborenen und der Hauptbezugsperson – in der Regel die Mutter - beginnt nun etwas, dessen Zauber nur noch mit der Situation von Frischverliebten zu vergleichen ist. Und tatsächlich passiert aus neurobiologischer Sicht in beiden Fällen etwas sehr Ähnliches: ein wechselseitiges Aufnehmen und spiegelndes Zurückgeben von Signalen, ein Abtasten und Erfühlen dessen, was den anderen gerade, im wahrsten Sinne des Wortes, bewegt, begleitet vom Versuch, selbst Signale auszusenden und zu schauen, inwieweit sie vom Gegenüber zurückgespiegelt, das heißt erwidert werden. Dieses Spiel steht nicht nur am Anfang einer Liebesbeziehung, es bildet, in weniger intensiver Form, den Startpunkt jeder zwischenmenschlichen Beziehung […]
Damit das ganze wunderbare Spiegelspiel überhaupt beginnen kann, benötigt der Säugling Bezugspersonen, allerdings nicht irgendein Gegenüber, nicht irgendeine Trainingswand, sondern echte »Mitspieler«, die selbst spiegeln können. Die meisten Kinder haben geeignete Mitspieler: Bezugspersonen mit einer normal entwickelten Fähigkeit, mit Liebe, Sensibilität und Wärme auf den Säugling einzugehen. Die besten Mitspieler sind die Eltern […]
Das Gegenstück zu den Imitationsübungen des Säuglings besteht darin, dass die Mutter und Bezugspersonen ihrerseits eine intuitive Tendenz haben, den Säugling zu imitieren und ihm damit die Signale zurückzuspiegeln, die er selbst aussendet. Dabei reflektieren sie sein Verhalten nicht eins zu eins, sondern in einer erweiterten, um zusätzliche Elemente angereicherten Form, ein Vorgang, der als Markierung bezeichnet wird […]
Frühe Spiegelungen führen also nicht nur zu seelischem, sondern auch zu körperlichem Glück. Umgekehrt ruft eine absichtlich verweigerte Spiegelung massive Unlustreaktionen hervor. Dies macht ein Experiment deutlich, das in der Fachliteratur als »still face procedure« bezeichnet wird. Die Bezugsperson bringt ihr Gesicht in den richtigen Abstand zum Gesicht des Kindes. Wenn der Erwachsene nun, entgegen seiner eigenen emotionalen Intuition, seine Miene absichtlich völlig regungslos beibehält, dann wendet sich das Kind impulsiv ab. Wird die Prozedur mehrere Male wiederholt, hat dies einen emotionalen Rückzug zur Folge: Die Bereitschaft des Säuglings nimmt ab, nach weiteren Möglichkeiten für mimischen Signalaustausch zu suchen.
Aus Beobachtungen dieser Art darf und muss die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Versuche, Neugeborene bzw. Kleinkinder emotionslos, nach rein »rationalen« oder »vernünftigen« Kriterien zu versorgen, verheerende Folgen haben. Sie ruinieren die Fähigkeit des Kindes, mit anderen Menschen in emotionalen Kontakt zu kommen und sich mit ihnen intuitiv verbunden zu fühlen. Das frühe Spiel mit spiegelnden Imitationen schafft die Grundlage dessen, was Daniel Goleman als emotionale Intelligenz beschrieben hat.
Ausführlicher ist diese Passage aus dem Buch Bauers in meinem Blog Spiegelneuronen und Gefühle zitiert.
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